Die Kontroverse zwischen der Europäischen Kommission und der deutschen Politik über die Zulassung privater Anbieter von Sportwetten geht weiter.
Das vor zwölf Monaten eröffnete Vertragsverletzungsverfahren wird in vollem Umfang fortgeführt: In einem „zusätzlichen Aufforderungsschreiben“ erklärte jetzt EU-Kommissar Charlie McCreevy zum bestehenden staatlichen Wettmonopol, „dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 49 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft verstoßen hat“. Die Kommission macht in dem Schreiben an Bundesaußenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier damit erneut auf Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs aufmerksam. Die Berliner Politik hat nun zwei Monate Zeit, die Argumentation in der 24seitigen Vorlage zu entkräften. Es droht weiterhin eine ultimative Aufforderung der EU-Kommission zu Rechtsänderungen oder anderenfalls eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.
Bereits am 10. April 2006 hatte die Kommission ihren Standpunkt nach Berlin übermittelt, dass mit dem Lotterie-Staatsvertrag die Bundesrepublik gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoße. Wie es heißt, sollen bei der Kommission zwischen 2003 und 2006 einige in anderen EU-Mitgliedsstaaten zugelassene Anbieter von Glücksspielen über ihre Ausgrenzung vom deutschen Markt Beschwerde erhoben haben. Dabei rügen die Privaten vor allem, dass sich nach Paragraph 284 Strafgesetzbuch jeder strafbar macht, der ohne behördliche Erlaubnis Glücksspiele anbietet. Einige Strafverfahren seien in Deutschland bereits anhängig.
Verbraucherschutz und Bekämpfungvon Spielsucht kann "nur bedingt geltend" gemacht werden
„In den finanziellen Interessen eines Mitgliedsstaates und der Finanzierung gemeinnütziger Zwecke sieht die Kommission keine zulässige Rechtfertigung der von § 284 StGB ausgehenden Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit“, heißt es wörtlich. Die deutsche Politik könnte Rechtfertigungsgründe wie Verbraucherschutz und Bekämpfung der Spielsucht „nur bedingt geltend“ machen, „da die deutschen Behörden die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Lotterien teilzunehmen“.
Brüssel rügt, dass Sportwetten in Deutschland nicht von Privaten veranstaltet werden können. Dass Rheinland-Pfalz an ein privates Unternehmen „ohne bedeutende staatliche Beteiligung“ eine Konzession für ein „privates Glücksspielmonopol“ erteilt habe, sei „de facto diskriminierend, da sie ohne eine öffentliche Ausschreibung erteilt wurde“. Allgemein heißt es: „Die Tatsache, dass ein ausländischer Betreiber, der in Deutschland seine Dienste anbietet, über eine ausländische Konzession verfügt bzw. die ausländischen Glücksspielbestimmungen erfüllt, wird für die Durchführung von Glücksspielen in Deutschland nicht als relevant betrachtet.“ Das sei nicht hinnehmbar, denn: „Nach Artikel 49 EGV sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedsstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, verboten.“
Einschränkung von Sportwettenwerbung behindert des Export von Medienverkaufsdiensten
Der EG-Vertrag sei so auszulegen, „dass er nationale Vorschriften wie § 284 StGB ausschließt, die strafrechtliche Sanktionen für Personen vorsehen, die die Tätigkeit der Annahme von Wetten ohne eine im nationalen Recht vorgesehenen Lizenz betreiben, wenn es diesen Personen unmöglich ist, in den Besitz derartiger Lizenzen und Erlaubnisse zu gelangen, weil ein Mitgliedsstaat im Rahmen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht diesen Personen die Lizenz oder die Erlaubnis verweigert hat“.
Auch einschränkende Maßnahmen für die Werbung von Sportwetten „behindern eindeutig den Export von Medienverkaufsdiensten durch die deutsche Presse und andere Medien“; deutsche Presseunternehmen dürften nicht beschränkt werden, Anzeigen aus dem Ausland anzunehmen.
Allerdings wären „zulässige Beschränkungen“ möglich, es müssten dann „diskriminierungsfreie Maßnahmen“ sein. „Zwingende Gründe des Allgemeininteresses“, soweit sie nicht bereits in dem EU-Staat geschützt sind, in dem der Anbieter ansässig ist, müssten jedoch „verhältnismäßig“ sein. Die Stellungnahme der Bundesregierung auf das erste Aufforderungsschreiben könne nicht überzeugen - die deutschen Behörden hätten die Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht als einzigen Rechtfertigungsgrund für die Beschränkungen genannt. Der Kommentar von der Kommission: „Soweit nun aber die Behörden eines Mitgliedsstaats die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen, können sich die Behörden dieses Staates nicht im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern und die Spielsucht zu bekämpfen, auf die öffentliche Sozialordnung berufen, um derartige Maßnahmen zu rechtfertigen.“
EU-Kommission äußert Bedenken zum Entwurf des neuen Glücksspielstaatsvertrags
Überhaupt betreibe Deutschland „keine konsistente und systematische Politik zur Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht“. Dies werde allein schon aus dem Geschäftsbericht von Lotto-Toto GmbH Sachsen-Anhalt deutlich, der aufzähle, dass 2004 17 neue Verkaufsstellen an Standorten hoher Nachfrage eröffnet wurden und sich die Zahl der Internetspieler verdoppelt hat.
Die EU-Kommission hat zudem im Verfahren zur Notifizierung des Entwurfs des neuen Glücksspielstaatsvertrages Bedenken geäußert, der ab 2008 gelten soll. In einer so genannten „ausführlich begründeten Stellungnahme“ wird das vorgesehene Internetverbot als europarechtswidrig eingestuft. Kommissar Günter Verheugen bittet die deutschen Behörden um eine Überprüfung dieses Verbots. Die Bekämpfung der Spielsucht und der Jugendschutz seien zwingende Gründe des öffentlichen Interesses, die Einschränkungen der Ausübung einer europarechtlichen Grundfreiheit rechtfertigen könnten. Allerdings, so heißt es, sei das vollständige Verbot von Lotterien und Sportwetten im Internet keine geeignete Maßnahme zum Erreichen dieser Ziele und sei überdies nicht verhältnismäßig. Die Bundesregierung hat bis Ende Mai Gelegenheit, die EU-Behörde von der europarechtlichen Unbedenklichkeit des neuen Staatsvertrages zu überzeugen.
Bericht des Deutschen Olympischen SportBundes (DOSB) vom 8. April 2007 (www.dosb.de)
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