Sonntag, 12. Oktober 2008

Ende des staatlichen Sportwettenmonopols? - VG Berlin erklärt Glücksspielstaatsvertrag für verfassungswidrig und nicht mit Europarecht vereinbar

von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Wie bereits vor den Sommerferien gemeldet (Sportwettenrecht aktuell Nr. 109) hatte das Verwaltungsgericht (VG) Berlin in einer Hauptsache die Untersagungsverfügung des Landes Berlin gegen einen Sportwettenvermittler als rechtswidrig aufgehoben (Urteil vom 7. Juli 2008, Az. VG 35 A 167.08). In den nunmehr vorliegenden, am 11. Oktober zugestellten Urteilsgründen (113 Seiten) setzt sich das VG Berlin umfassend mit der Rechtslage, der einschlägigen Rechtsprechung und dem Marktverhalten der staatlichen Monopolanbieter auseinander. Es erklärt sehr detailliert die mit dem Glücksspielstaatsvertrag geschaffene neue Rechtslage und das von ihm als „sog.“ gezeichnete Sportwettenmonopol für verfassungswidrig. Nur weil das VG Berlin darüber hinaus auch eine durchgreifenden Verstoß gegen das europäische Gemeinschaftsrecht annimmt, hat es die Sache nicht – wie im Eilverfahren überlegt – dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.

Der von der Kanzlei ARENDTS ANWÄLTE (www.wettrecht.de) vertretene Kläger kann somit weiter Verträge über Sportwetten an einen in dem EU-Mitgliedstaat Malta staatlich zugelassenen und dort behördlich überwachten privaten Buchmacher vermitteln. Damit ist das staatliche Sportwettenmonopol zumindest hinsichtlich des Landes Berlin bis auf Weiteres faktisch beendet, da das binnengrenzüberschreitende Sportwettenangebot privater Wettanbieter nicht mehr verboten werden darf. Die Behörden können dem Marktzugang nicht mehr abschotten.

Das neue Urteil betrifft eine auf den Glücksspielstaatsvertrag und das dazu ergangene Ausführungsgesetz (AG GlüStV) gestützte Untersagungsverfügung des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin vom 6. März 2008. Das Gericht hält diese gesetzliche Grundlage aufgrund einer umfassenden Analyse für verfassungswidrig. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dessen Sportwettenurteil vom 28. März 2006 habe es keine hinreichende gesetzliche Neuregelung gegeben (s. die nachfolgenden Leitsätze). Grundstrukturen zu Art und Zuschnitt der Sportwetten seien nicht gesetzlich festgelegt. Gesetzliche Beschränkungen zu dem vom Bundesverfassungsgericht kritisierten Vertrieb von Sportwetten als „Gut des täglichen Lebens“ gebe es nicht. Das staatliche Sportwettenmonopol sei daher als erheblicher Eingriff in die Berufsfreiheit der privaten Anbieter und Vermittler von Sportwetten unverhältnismäßig und verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.

Das Monopol verstoße darüber hinaus auch gegen die durch den EG-Vertrag garantierte Dienstleistungsfreiheit. Das Ziel der Suchtbekämpfung werde weder kohärent noch systematisch verfolgt. Dem Vermittler privater Sportwetten könne daher die formelle Illegalität seiner Tätigkeit nicht entgegengehalten werden,

Das Urteil des VG Berlin ist noch nicht rechtskräftig. Angesichts der Tragweite der Entscheidung, mit der das durch den Glücksspielstaatsvertrag verschärfte staatliche Monopol für rechtlich nicht haltbar erklärt wird, ist davon auszugehen, dass das Land Berlin gegen dieses Urteil Berufung einlegen wird.

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VG Berlin, Urteil vom 7. Juli 2008, Az. VG 35 A 167.08

Leitsätze:

1. Das Veranstalten und das Vermitteln von Sportwetten unterfallen dem Schutz des Grundrechts der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, auch wenn diese Tätigkeiten einfachgesetzlich verboten sind und das Veranstalten von Sportwetten dem Staat vorbehalten ist. Eine gegen einen Sportwettenvermittler ergangene Untersagungsverfügung stellt damit einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in dessen Berufsfreiheit dar.

2. Das durch den Glücksspielstaatvertrag und dem Berliner Gesetz über das öffentliche Glücksspiel ausgestaltete sog. Sportwettenmonopol des Landes Berlin ist verfassungswidrig, da es als Eingriff in die Berufsfreiheit der privaten Veranstalter und Vermittler von Sportwetten verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen ist.

3. Nach Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Sportwettenurteil vom 28. März 2006 – 1 BvR 1054/01 – gesetzten Übergangsfrist zum 31. Dezember 2007 ist nunmehr eine vollständige Konsistenz zwischen dem gesetzlichen Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung des staatlichen Monopols andererseits erforderlich. Es ist kein Raum für einen weiteren Aufschub bis zur Schaffung einer mit der Berufsfreiheit zu vereinbarenden Rechtslage, wie die in § 25 Abs.1 GlüStV vorgesehene Übergangsfrist für die administrative Umsetzung des Glücksspielstaatvertrags.

4. Es ist nicht ausreichend, die von dem Bundesverfassungsgericht geforderte Regelung fast vollständig der Exekutive zu überlassen. Vielmehr sind zur Herstellung der Konsistenz nach der Wesentlichkeitslehre detaillierte gesetzliche Regelungen, insbesondere Grundstrukturen zu Art und Zuschnitt der Sportwetten, festzulegen. Zu diesen gehören ausreichende strukturelle Vorgaben zur Begrenzung der Werbung für Sportwetten sowie die verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Spielerschutz berücksichtigende gesetzliche Regelungen (wie etwa eine Höchstgrenze für Spieleinsätze).

5. Der Mangel an gesetzlichen Strukturen kann nicht durch die Installation einer Glücksspielaufsicht kompensiert werden, da diese auf kein wirksames normatives Kontrollsystem zurückgreifen kann.

6. Der Gesetzgeber hat nicht gestaltend auf den Vertrieb von Sportwetten eingewirkt. Hinsichtlich des maßgeblichen Vertriebswegs über Annahmestellen ist kein Neugestaltung gegenüber der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten gesetzlichen Ausgestaltung erkennbar. Sportwetten werden in Berlin weiter durch das engmaschige Netz von Annahmestellen des staatlichen Anbieters als „Gut des täglichen Lebens“ vermarktet. Es sind keine inhaltlichen Beschränkungen der zulässigen Standorte von Annahmestellen und keine gesetzlichen Vorgaben zum zulässigen sonstigen Warenangebot erfolgt.

7. Der Ausschluss eines Vermittlers privater Sportwetten von der nach § 4 Abs. 1 S. 1 GlüStV erforderlichen Erlaubnis durch die Regelungen des § 10 Abs. 5 und Abs. 2 GlüStV i.V.m. § 5 S. 1 AG GlüStV stellt eine unverhältnismäßige und damit gemeinschaftsrechtswidrige Beschränkung seiner Dienstleistungsfreiheit dar. Ihm kann somit die zwangsläufig formelle Illegalität seiner Tätigkeit nicht entgegengehalten werden, so dass für eine Untersagungsverfügung nicht auf § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 i.V.m. § 4 Abs. 1 GlüStV als Ermächtigungsgrundlage gestützt werden kann.

8. Die derzeitige rechtliche und tatsächliche Ausgestaltung des sog. Sportwettenmonopols des Landes Berlin genügt nicht den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen, weil es das Ziel insbesondere der Suchtbekämpfung nicht durch einen kohärenten und systematischen Beitrag zur Begrenzung der Wetttätigkeit verwirklicht
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aus: Sportwettenrecht aktuell Nr. 113

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