Pressemitteilung des EuGH
NACH ANSICHT DES GENERALANWALTS BOT KANN DIE PORTUGIESISCHE REGELUNG, DIE SANTA CASA DAS MONOPOL FÜR INTERNET-WETTEN EINRÄUMT, MIT DEM GEMEINSCHAFTSRECHT VEREINBAR SEIN, WENN BESTIMMTE VORAUSSETZUNGEN EINGEHALTEN WERDEN
In seinen Schlussanträgen stellt er jedoch klar, dass der Entwurf der portugiesischen Regelung der Kommission hätte notifiziert werden müssen. Da dies nicht geschehen sei, könne die Regelung Bwin und der Liga nicht entgegengehalten werden.
Die portugiesischen Rechtsvorschriften räumen der Santa Casa da Misericórdia de Lisboa, einer jahrhundertealten Einrichtung ohne Gewinnerzielungsabsicht, die mit der Finanzierung von Angelegenheiten des öffentlichen Interesses betraut ist, das ausschließliche Recht ein, Lotterien und Wetten im gesamten Staatsgebiet zu veranstalten und zu betreiben. Die portugiesische Regelung hat dieses ausschließliche Recht auf alle elektronischen Kommunikationsmittel einschließlich des Internets ausgedehnt. Sie sieht auch Sanktionen in Form von Geldbußen für diejenigen vor, die unter Verstoß gegen das genannte Ausschließlichkeitsrecht derartige Spiele veranstalten und für sie werben.
Gegen Bwin, ein Unternehmen für Online-Wetten mit Sitz in Gibraltar, und die Liga Portuguesa de Futebol Profissional wurden Geldbußen in Höhe von 75 000 Euro bzw. 74 500 Euro verhängt, weil sie elektronische Wetten angeboten und für diese Wetten geworben hatten. Das Tribunal de Pequena Instância Criminal Porto, vor dem Bwin und Liga die Geldbußen angefochten haben, stellt sich die Frage, ob die neue portugiesische Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.
In seinen heute vorgelegten Schlussanträgen vertritt Generalanwalt Bot die Auffassung, dass die Ausdehnung der portugiesischen Regelung auf Lotterien und Wetten mittels elektronischer Kommunikationsmittel unter die Richtlinie über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften 1) fällt. Denn die betreffende Regelung verbiete die Erbringung oder Nutzung eines Dienstes und stelle damit eine „technische Vorschrift“ im Sinne der genannten Richtlinie dar.
Da die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie verpflichtet sind, der Kommission jeden Entwurf einer technischen Vorschrift zu übermitteln, hätte nach Ansicht des Generalanwalts der Entwurf der portugiesischen Regelung der Kommission mitgeteilt werden müssen. Sollte die portugiesische Regierung diese Mitteilung nicht vorgenommen haben, könne die portugiesische Regelung weder Bwin noch der Liga entgegengehalten werden und das nationale Gericht dürfe sie nicht anwenden. Es sei Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob der Entwurf der portugiesischen Regelung der Kommission mitgeteilt wurde. Es habe auch alle sich daraus ergebenden Konsequenzen im Hinblick auf die gegen Liga und Bwin verhängten Geldbußen zu ziehen.
In einem zweiten Schritt prüft der Generalanwalt, ob die neue portugiesische Regelung mit dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs vereinbar ist.
Vorab legt er dar, dass die Dienstleistungsfreiheiten keine Öffnung des Marktes im Bereich der Glücks- und Geldspiele bewirken sollen. Nur wenn ein Mitgliedstaat die Glücks- und Geldspiele als eine echte wirtschaftliche Tätigkeit behandle, bei der es um die Erzielung möglichst hoher Gewinne gehe, sollte er verpflichtet sein, diese Tätigkeit für den Markt zu öffnen.
Im Rahmen seiner Untersuchung ist der Generalanwalt der Auffassung, dass die portugiesische Regelung eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt, da sie es einem in einem anderen Mitgliedstaat als Portugal ansässigen Anbieter von Online-Spielen verbietet, Verbrauchern, die in Portugal ansässig sind, Lotterien und Wetten im Internet anzubieten. Eine derartige Beschränkung sei jedoch mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: Sie muss aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie muss geeignet sein, die Erreichung ihrer Ziele zu garantieren, und sie darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist. Auf jedem Fall muss die Beschränkung überdies in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden.
Was die Rechtfertigung der portugiesischen Regelung angeht, konnte Portugal nach Auffassung des Generalanwalts zu Recht die freie Erbringung von Lotterie- und Wettdienstleistungen im Internet zum Schutz der Verbraucher und der öffentlichen Ordnung einschränken. Das vorlegende Gericht habe für die Feststellung, ob die portugiesische Regelung geeignet ist, einen wirksamen Schutz der Verbraucher und der öffentlichen Ordnung zu gewährleisten, Untersuchungen in zweierlei Hinsicht anzustellen.
Zum einen könnten Ziele, wie sie die portugiesische Regelung verfolgt, durch die Vergabe eines Ausschließlichkeitsrechts an eine einzige Einrichtung nur erreicht werden, wenn diese Einrichtung unter staatlicher Aufsicht stehe. Es sei Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob dies bei Santa Casa der Fall ist.
Zum anderen habe das vorlegende Gericht auch zu prüfen, ob Portugal die in Rede stehende Regelung im Rahmen ihrer Anwendung nicht offenkundig ihrem Zweck entfremdet und nach größtmöglichem Gewinn strebt. Im Hinblick auf die zusätzlichen Spiele, die die portugiesische Regierung im Bereich der Lotterien und Wetten eingerichtet hat, sowie auf die für diese Spiele durchgeführte Werbung erinnert der Generalanwalt an die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach ein Mitgliedstaat in dieser Weise vorgehen kann, um Spieler, die verbotenen Spieltätigkeiten nachgehen, dazu zu veranlassen, zu erlaubten Tätigkeiten überzugehen. Es sei
jedoch Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die Ausweitung des Spielsortiments und das Maß der betreffenden Werbung offenkundig über dasjenige hinausgehen, was zur Verfolgung der dem Monopol von Santa Casa zugrunde liegenden Ziele erforderlich war. Bezüglich der auf eine Ausweitung der Kasinospiele gerichteten Politik, die die portugiesischen Behörden nach dem Vorbringen der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens verfolgen, ist der Generalanwalt der Auffassung, dass ein Mitgliedstaat für unterschiedliche Spiele unterschiedliche und mehr oder weniger einschränkende Organisationsformen vorsehen darf.
Schließlich meint der Generalanwalt, dass die Vergabe eines Ausschließlichkeitsrechts an eine einzige Einrichtung, die unter der Aufsicht des Mitgliedstaats steht und keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, eine Maßnahme sein kann, die im Hinblick auf die Verfolgung der Ziele der portugiesischen Regelung verhältnismäßig ist. Die fragliche Regelung sei auch nicht diskriminierend, da sie keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthalte.
HINWEIS: Die Ansicht des Generalanwalts ist für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
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1) Richtlinie vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. L 204, S. 37) in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 (ABl. L 217, S. 18).
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