Montag, 29. Mai 2017

Über die „Faktenbasierte Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrags“

1) Erstmals haben Wissenschaftler den 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrag (GlüÄndStV) unter Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse und internationaler Erfahrungswerte evaluiert. Das Ergebnis dieser ersten faktenbasierten Untersuchung: Die Regulierung ist auf ganzer Linie gescheitert; alle Ziele des Staatsvertrags werden verfehlt. 

Die Studie der drei Professoren orientiert sich an den selbstgesteckten Zielen der Regulierung: Spielsuchtprävention, Kanalisierung und Schwarzmarktbekämpfung, Jugendund Spielerschutz, Betrugs- und Kriminalitätsbekämpfung sowie Schutz der Integrität des sportlichen Wettbewerbs. Sie wurde erstellt von:

- Prof. Dr. Justus Haucap, Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,

- Prof. Dr. Martin Nolte, Direktor des Instituts für Sportrecht an der Deutschen Sporthochschule Köln,

-  Prof. Dr. Heino Stöver, Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences.

Die Studie beinhaltet zudem einen Beitrag von Prof. Dr. Gregor Kirchhof, LL.M., Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Steuerrecht an der Universität Augsburg.

Die Professoren haben für ihre Untersuchung sozialwissenschaftliche, ökonomische und juristische Methoden eingesetzt, außerdem Mitglieder des Sportbeirates sowie Glücksspielanbieter befragt. Erstmals wurden damit auch die Fachexpertise des Breiten- und Profisports sowie von Dach- und Fachverbänden in eine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema Glücksspiel einbezogen. Mit ihrem faktenbasierten Ansatz möchten die Wissenschaftler zu einer Versachlichung der Debatte beitragen.

2) Deutschland gelingt es im europäischen Vergleich besonders schlecht, den Grauund Schwarzmarkt beim Glücksspiel einzudämmen. Die erfolgreiche Kanalisierung des Spiels in geordnete Bahnen ist allerdings die Grundvoraussetzung, um die weiteren Ziele des GlüStV zu erreichen.

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist der so genannte „DICE Kanalisierung-Index“. Dieser beschreibt, wie gut das Bündel aller Maßnahmen eines Landes zur Glücksspielregulierung geeignet ist, die Kanalisierung des Spiels in geordnete Bahnen zu erreichen. Deutschland erreicht nur 67 von 185 möglichen Index-Punkten und liegt damit im internationalen Vergleich auf dem letzten Platz – hinter Polen (85 Punkte), Frankreich (117), Spanien (136), Großbritannien (155) und Spitzenreiter Dänemark (169).

Beim Kanalisierungsziel scheitert der GlüÄndStV vollumfänglich. Im Sportwettenbereich ist bis heute keine einzige staatliche Lizenz vergeben worden. Das Totalverbot im Bereich von Online-Poker und -Casinoangeboten hat sich als völlig ineffektiv herausgestellt; es existiert ein veritabler Markt ohne jegliche staatliche Kontrolle. Laut aktuellem Jahresreport der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder ist der nicht-regulierte Markt im Jahr 2015 allein im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent angewachsen. Für das Segment privater Sportwetten berichten die Länder von einem Wachstum in 2015 von zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der 2. GlüÄndStV, der am 1. Januar 2018 in Kraft treten soll, wird das Kanalisierungsproblem nicht beheben, da er an dem Totalverbot für Online-Poker und - Casinoangeboten sowie an restriktiven Regelungen beim Sportwettprogram – etwa bei LiveWetten – festhält. Jedoch besteht gerade für diese Glücksspielformen eine wachsende Nachfrage, weshalb Verbraucher weiter auf attraktivere Angebote des unregulierten Marktes ausweichen werden.
Scheitert das Kanalisierungsziel, können jedoch auch die anderen Ziele des GlüÄndStV nicht erreicht werden. Maßnahmen der Suchtprävention und des Spielerschutzes, des Jugendschutzes, der Betrugs- und Kriminalitätsbekämpfung und zur Wahrung der Integrität des Sportes können sachlogisch nur im regulierten Markt Wirkung entfalten.

3) Wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen anderer EU-Mitgliedstaaten werden im deutschen Regulierungsansatz abermals ignoriert: Der Staat muss legales Glücksspiel ermöglichen – und sogar attraktiv machen –, um seine selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Insbesondere die Verbote von Online-Poker/-Casino und von Ereigniswetten sowie die Einschränkungen bei Live-Wetten sind mit Blick auf die Ziele der Suchtprävention, des Jugend- und Spielerschutzes sowie der Wahrung der Integrität des sportlichen Wettbewerbes kontraproduktiv und gehören auf den Prüfstand. 

Der Verbraucher verbleibt nur dann im regulierten Markt, wenn er ein attraktives Angebot vorfindet, das die gesamte nachgefragte Produktpalette abbildet. Die Erfahrungen aus erfolgreichen Regulierungsregimen zeigen, dass dafür die folgenden Maßnahmen erforderlich sind:

a) Eine zentrale Glücksspielregulierungsbehörde ist zu errichten, um das verfassungswidrige Glücksspielkollegium abzulösen und mittels gebündelter und umfassender Kompetenzen effektive Marktkontrolle auszuüben.

b) Das ineffektive Totalverbot für Online-Poker und-Casinospiele ist durch ein staatliches Lizenzierungsverfahren zu ersetzen. Restriktive Einschränkungen des Produktangebotes in den genannten Spielformen und bei der Sportwette sind nicht zielführend, da sie von den Verbrauchern nicht akzeptiert werden und sie so in unregulierte Angebote abwandern.

c) Stattdessen sollte der Regulierer ein engmaschiges und zentrales Kontroll- und Monitoringsystem für Glücksspielanbieter einrichten – etwa mittels eines revisionssicherer Safe-Servers, auf den die zuständigen Behörden Zugriff haben.

d) Für Online-Glückspiele sind adäquate kundenfreundliche Identifizierungs- und Authentifizierungsverfahren zu etablieren, die auf unnötige Medienbrüche verzichten.

e) Das bisherige Einsatzlimit von 1.000 Euro pro Monat sollte abgeschafft und in ein System freiwilliger Selbstlimitierungen umgewandelt werden.

f) Eine bundesweite länder-, anbieter- und spielformübergreifende Sperrdatei sollte installiert werden.

Keine dieser notwendigen Maßnahmen wird durch den 2. GlüÄndStV umgesetzt. Angesichts eines digitalen und dynamischen Glücksspielmarktes ist es zudem dringend geboten, auch die Regulierung dynamischer und innovationsoffener zu gestalten. Das statische Regulierungsinstrument des Staatsvertrags hat sich in der Vergangenheit nicht bewährt.

Quelle: gluecksspielstudie.de 

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