In einem Strafverfahren gegen einen Sportwettenvermittler hat das Landgericht (LG) Berlin grundlegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des staatlichen Sportwettenmonopols geäußert und die Frage der Vereinbarkeit dieses bislang von den Ländern beanspruchten Monopols mit dem Grundgesetz (GG) dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt. Das LG Berlin bittet damit das Bundesverfassungsgericht um eine Entscheidung, ob Art. 10 Abs. 2 des Glücksspielstaatsvertrags in Verbindung mit dem dazu ergangenen Berliner Ausführungsgesetz mit Art 2 Abs. 1 GG „unvereinbar ist, als Sportwetten im Sinne von § 21 des Berliner Ausführungsgesetzes zum Glücksspielstaatsvertrag im Land Berlin nur von diesem veranstaltet werden dürfen“ (Beschluss vom 19. Januar 2012, Az. 526 Qs 8/11).
Mit dieser Einschätzung folgt das LG Berlin mehreren Gerichten, die von einer Verfassungswidrigkeit des Monopols augegangen sind, aber wegen des Vorrangs des Europarechts die Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht nicht mehr weiter prüfen bzw. die Entscheidung darauf stützen mussten. Im zu entscheidenden Fall war dies nach Ansicht des LG Berlin anders, da sich der Vermittler als türkischer Staatsanhöriger nicht auf Europrecht berufen könne.
Nach Überzeugung des Landgerichts ist das Sportwettenmonopol verfassungswidrig. Eine Strafbarkeit nach § 284 StGB (unerlaubtes Glücksspiel) komme deswegen nicht in Betracht. Bei einer Verfassungswidrigkeit des Monopols entfalle der staatliche Strafanspruch aus § 284 StGB und zwar auch dann, wenn keine Erlaubnis beantragt worden bzw. diese rechtswidrig abgelehnt worden sei (Rn. 12, zitiert nach juris):
„Ein Verstoß gegen §
284 Abs. 1 StGB liegt dann vor, wenn ein öffentliches Glücksspiel ohne
behördliche Erlaubnis veranstaltet wird. Allerdings kann die Frage der
Strafbarkeit nach §
284 StGB nicht losgelöst von der verfassungsrechtlichen Beurteilung
der landesrechtlichen Gesamtregelung des Sportwettenrechts beantwortet werden;
dies folgt aus der verwaltungsakzessorischen Natur des §
284 StGB (…). Das bedeutet, dass derjenige Anbieter von Sportwetten,
der nicht zunächst den Verwaltungsrechtsweg beschritten hat, um eine
behördliche Erlaubnis i.S.v. §
284 StGB zu beantragen, dann nicht nach dieser Vorschrift strafbar
ist, wenn die fehlende Erlaubnis auf einem Rechtszustand beruht, der
seinerseits die Rechte des Betreibers von Glücksspielen in verfassungswidriger
Weise verletzt (vgl. BGH,
Urteil vom 16. August 2007, 4 StR 62/07, Rn. 22 – juris). Das ist dann der
Fall, wenn überhaupt nicht die Möglichkeit bestand, eine derartige Erlaubnis zu
erhalten und wenn dieser Ausschluss in Widerspruch zu höherrangigem Recht steht
(vgl. OVG
Lüneburg, Beschluss vom 08. Juli 2008, 11 MC 71/08 m.w.N. – juris)
bzw. wenn die zuständige Behörde es unter Verletzung geltenden Rechts abgelehnt
hatte, die Erlaubnis zu erteilen (vgl. EuGH, Urteil vom 06. März 2007, C-338/04
u.a. (Placania u.a.), NJW
2007, 1515, 1519). Dagegen ist der Tatbestand des §
284 Abs. 1 StGB nicht bloßer verwaltungsaktsakzessorischer Natur (so
aber BGH,
Urteil vom 14. März 2002, I ZR 279/99 – juris, NJW
2002, 2175, 2176; Dehne-Niemann wistra 2008, 361, 362). Würde auf das
schlichte Fehlen einer behördlichen Erlaubnis – gleich aus welchem Grund –
abgestellt werden, so würde bloßer Verwaltungsungehorsam bestraft werden. Darin
besteht jedoch nicht der Strafzweck des §
284 StGB. (…)
Das verwaltungsaktsakzessorische Verständnis des Tatbestandes würde im
Übrigen – konsequent zu Ende gedacht – dazu führen, dass es für die
Strafbarkeit nach §
284 Abs. 1 StGB gleichgültig wäre, ob und inwieweit die landesrechtlichen
Regelungen der Sportwette überhaupt eine Erlaubnispflicht enthalten und ob
Privatpersonen überhaupt eine Erlaubnis erteilt werden kann (…). Das ist jedoch
nicht der Fall, wie eine (einstimmige) Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts über Verfassungsbeschwerden gegen die Anordnung der
Durchsuchung von Geschäftsräumen wegen des Verdachts der unerlaubten
Veranstaltung von Glücksspielen zeigt (Beschluss vom 15. April 2009, 2
BvR 1496/05, Rn. 33 f. – juris, BVerfGK
15, 330).“
Zur Verfassungswidrigkeit des staatlichen Monopols und des mit ihm einhergehenden Ausschlusses gewerblicher Wettveranstaltung durch private Wettunternehmen sowie des Ausschlusses der Vermittlung von Wetten, die nicht vom Land Berlin bzw. von der DKLB veranstaltet werden, hält das LG Berlin fest:
„Nach Auffassung der Kammer ist das in § 10 Abs. 2 GlüStV in Verbindung
mit § 5 Satz 1 AG GlüStV geregelte staatliche Sportwettenmonopol mit Art.
2 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
Das staatliche Sportwettenmonopol ist ein nicht gerechtfertigter und
damit unverhältnismäßiger Eingriff in die durch Art.
2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit des
Angeschuldigten. (…)
Die fehlende Erlaubnisfähigkeit für die Veranstaltung und Vermittlung
von Sportwetten durch Privatpersonen stellt einen Eingriff in die allgemeine
Handlungsfreiheit des Angeschuldigten als privatem Sportwettenvermittler dar.
Mit der Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 1, § 10 Abs. 2 GlüStV i.V.m. § 5 AG
GlüStV wird ein staatliches Monopol für die Veranstaltung von Glücksspielen
geschaffen, da die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV erforderliche Erlaubnis für
die Veranstaltung von Glücksspielen nur den Ländern oder juristischen Personen
des öffentlichen Rechts oder privatrechtlichen Gesellschaften, an denen
juristische Personen des öffentlichen Rechts maßgeblich beteiligt sind, erteilt
werden kann (§ 10 Abs. 2 GlüStV). Im Land Berlin dürfen öffentliche
Glücksspiele nur vom Land Berlin selbst veranstaltet werden (§ 5 Satz 1 AG
GlüStV), das sich zur Durchführung der Deutschen Klassenlotterie Berlin (DKLB) bedient
(§ 5 Satz 2 AG GlüStV), einer Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 1 Satz 1
DKLBG). (…)
Zwar besteht für die Vermittlung von staatlichen
Glücksspielen kein staatliches Monopol (…), da die nach § 4 Abs. 1 Satz 1
GlüStV erforderliche Erlaubnis für die Vermittlung von Glücksspielen auch an
andere nicht dem Land Berlin zuzuordnende Stellen erteilt werden kann
(Umkehrschluss aus § 10 Abs. 2 GlüStV i.V.m. § 5 Satz 1 und Satz 2 AG GlüStV,
sowie die Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 6 GlüStV und die Regelungen in § 19
GlüStV i.V.m. §§ 13 f. AG GlüStV). Das Erlaubnisverfahren nach § 4 Abs. 1 Satz
1 GlüStV ist aber nur für die Vermittler staatlicher Wettangebote geschaffen
worden; die Erteilung einer solchen Erlaubnis an Vermittler privater
Sportwettangebote ist nach § 4 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 10 Abs. 5 und Abs. 2
GlüStV dagegen ausgeschlossen: Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 GlüStV darf eine
Erlaubnis für das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele nur für solche
Glücksspiele erteilt werden, deren Veranstaltung nach dem Glücksspielstaatsvertrag
erlaubt ist, d.h. wegen der Regelung in § 4 Abs. 1 AG GlüStV i.V.m. § 10 Abs. 5
und Abs. 2 GlüStV nur für vom Land Berlin veranstaltete Glücksspiele.
(Gewerblichen) Vermittlern von Glücksspielen, die nicht (auch) vom Land Berlin
bzw. von der DKLB veranstaltet werden (vgl. § 19 GlüStV, §§ 6, 13 f. AG
GlüStV), wird die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV erforderliche Erlaubnis nicht
erteilt. (…)
Dieses somit im Land Berlin bestehende sog. staatliche Wettmonopol
stellt wegen des mit ihm einhergehenden Ausschlusses gewerblicher
Wettveranstaltung durch private Wettunternehmen sowie des Ausschlusses der
Vermittlung von Wetten, die nicht vom Land Berlin bzw. von der DKLB
veranstaltet werden, einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die
Berufsfreiheit der privaten Sportwettenveranstalter und -vermittler
(Sportwettenanbieter) dar (ebenso BVerfG,
Beschluss vom 30. November 2010, 1 BvL 3/07, Rn. 42 – juris, ZfWG
2011, 33; Janz, NJW
2003, 1964, 1698) und damit erst recht einen rechtfertigungsbedürftigen
Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Angeschuldigten.“
Darüber hinaus hält das Landgericht entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung fest, dass fiskalische Interessen das Monopol nicht begründen können, woran auch ein Verstecken dieses Ziels in § 10 Abs. 4 des Glücksspielstaatsvertrags nicht ändere:
„Daher scheiden fiskalische Interessen des Staates zur Rechtfertigung
eines staatlichen Sportwettenmonopols aus (ebenso BVerfG,
Beschluss vom 19. Juli 2000, 1 BvR 539/96, Rn. 73 – juris, BVerfGE
102, 197; BVerfG,
Urteil vom 28. März 2006, 1 BvR 1054/01, Rn. 107 – juris, BVerfGE
115, 276; siehe auch BVerfG,
Beschluss vom 26. März 2007, 1 BvR 2228/02, Rn. 37 - juris, BVerfGK
10, 525). Die Absicht der Erzielung staatlicher Einnahmen und Gewinne
stellt in keinem Fall einen Gemeinschaftswert dar, der Eingriffe der
vorliegenden Qualität in die Berufswahlfreiheit rechtfertigen könnte. Aus
diesem Grund wurde das zuvor noch in § 1 Nr. 5 Lotteriestaatsvertrag
festgelegte Ziel des damaligen Staatsvertrages, „sicherzustellen, dass ein
erheblicher Teil der Einnahmen aus Glücksspielen zur Förderung öffentlicher
oder steuerbegünstigter Zwecke im Sinne der Abgabenordnung verwendet wird“, vom
Bundesverfassungsgericht beanstandet (vgl. BVerfG,
Urteil vom 28. März 2006, 1 BvR 1054/01, Rn. 108 – juris, BVerfGE
115, 276). Nunmehr findet sich diese Zielsetzung zwar nicht in § 1 GlüStV
(„Ziele des Staatsvertrages“), sondern – systematisch unpassend – in § 10
GlüStV („Sicherstellung eines ausreichenden Glücksspielangebots“). Der dortige
Abs. 4 lautet: „Es ist sicherzustellen, dass ein erheblicher Teil der Einnahmen
aus Glücksspielen zur Förderung öffentlicher oder gemeinnütziger, kirchlicher
oder mildtätiger Zwecke verwendet wird“.
Vorliegend kann nach Überzeugung der Kammer nicht davon ausgegangen
werden, dass die durch die Abgaben erzielten Fördermittel zur Finanzierung sozialer
Aktivitäten vom Landesgesetzgeber nur als bloße Begleitfolge des staatlichen
Wettmonopols anzusehen sind. Ganz im Gegenteil: Fiskalischen Interessen stellen
– jedenfalls – einen maßgeblichen Grund für die Beibehaltung des staatlichen
Wettmonopols dar. (- Schilderung des Gesetzgebungsverfahrens-)
Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass der
Landesgesetzgeber mit der Beibehaltung des Staatsmonopols (auch) seine
finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten aufrecht erhalten wollte und deshalb
gerade kein ernsthaftes und nachhaltiges Interesse an einem merklichen Rückgang
der Spielsucht haben kann (ebenso VG
Berlin, Urteil vom 04. November 2010, 35 K 88.09, Rn. 55 – juris).“
Nach Überzeugung des Gerichts ist das Monopol auch nicht geeignet. Insbesondere „fehlen mangels ausreichender gesetzlicher Regelungsdichte strukturelle Sicherungen, um die in § 1 GlüStV angegebenen Ziele zu erreichen und zum Anderen ist es infolge der nach Auffassung der Kammer bestehenden Unionsrechtswidrigkeit des staatlichen Wettmonopols nicht möglich, rechtlich wirksame Untersagungsverfügungen gegenüber Unionsbürgern zu erlassen, die Sportwetten vermitteln, was zur Folge hat, dass ein bloßes Einschreiten gegenüber den in Berlin handelnden Drittstaatsangehörigen, wie etwa den Angeschuldigten, nicht geeignet ist, die in § 1 GlüStV aufgestellten Ziele zu erreichen.“