von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Das Landgericht Erfurt hat in einer Sportwettensache dem EuGH mehrere Fragen zur Kohärenz der deutschen Glücksspielregeln und zur Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit vorgelegt. Der EuGH führt den Fall als Rechtssache C-898/24.Vorlagefragen des LG Erfurt:
1. Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaates entgegensteht, die das Angebot von virtuellen Automatenspielen, Online-Poker und/oder sonstigen Online-Casinospielen durch einen Anbieter, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig und dort staatlich lizenziert ist, verbietet, wenn
a) zugleich für andere Glücksspielarten, namentlich Lotterien, Sportwetten und Pferdewetten, eine Ausnahme vom Verbot und die Erteilung von Erlaubnissen mit bestimmten inhaltlichen Vorgaben vorgesehen ist;
b) das Erlaubniserteilungsverfahren für Sportwetten nicht unionsrechtskonform durchgeführt wurde und infolgedessen zwar keine Erlaubnisse mit entsprechenden inhaltlichen Vorgaben erteilt wurden oder werden, aber das Angebot von Sportwetten gleichwohl von den Behörden des Mitgliedstaats geduldet wird;
c) zugleich – in Bezug auf die Suchtgefahr – mit den im Internet verbotenen virtuellen Automatenspielen vergleichbare terrestrische Automatenspiele im gesamten Gebiet des Mitgliedstaates flächendeckend in Spielhallen, Gaststätten und Spielbanken angeboten werden dürfen;
d) zugleich – in Bezug auf die Suchtgefahr – mit den im Internet verbotenen Pokerspielen vergleichbare terrestrische Pokerspiele flächendeckend im gesamten Gebiet des Mitgliedstaates in Spielbanken angeboten werden dürfen;
e) in einem Bundesland des Mitgliedstaates (hier: Schleswig-Holstein) virtuelle Automatenspiele und Online-Poker mit Erlaubnissen nicht nur übergangsweise, sondern über viele Jahre hinweg veranstaltet und zugleich im gesamten Gebiet des Mitgliedstaates beworben werden dürfen;
f) in dem Mitgliedstaat schon bei der Einführung des Verbots mit den o. g. Ausnahmen und auch in der Folgezeit wohl keine ausreichenden Nachweise dafür vorlagen, dass der Online-Vertrieb von Automatenspielen und Poker im Vergleich zu dem terrestrischen Spielangebot höhere Risiken in Bezug auf den Spielerschutz oder mit Blick auf die Risiken von Manipulation, Geldwäsche oder sonstiger Begleitkriminalität aufweist;
g) in dem Mitgliedstaat schon bei der Einführung des Verbots mit den o. g. Ausnahmen und auch in der Folgezeit wohl keine ausreichenden Nachweise dafür vorlagen, dass die Risiken des Online-Vertriebs von Automatenspielen und Poker nicht auch unter Anwendung der gleichen inhaltlichen Vorgaben wie für die im Internet zugelassenen Spielformen auf ein mit diesen Spielformen vergleichbares Niveau hätten gesenkt werden können;
h) es ein mit der Suchtprävention gleichrangiges Ziel der Glücksspielregulierung des Mitgliedstaates ist, durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken, das fragliche Verbot jedoch den Schwarzmarkt nicht eindämmt, sondern ihn in dem fraglichen Mitgliedstaat weiter aufrechterhält, weil an den verbotenen Glücksspielen interessierte Kunden ihre spezifische Nachfrage nicht durch die legal angebotenen Glücksspiele befriedigen können;
i) der Mitgliedstaat in Kenntnis der vorgenannten Umstände noch in der Zeit der Gültigkeit des Verbots beschließt, künftig Erlaubnisverfahren für das Veranstalten von virtuellen Automatenspielen und Online-Poker einzuführen, das Verbot jedoch einstweilen beibehält und nur den behördlichen Vollzug des Verbots rund neun Monate vor dem Inkrafttreten des neuen Rechtsrahmens gegen solche Anbieter von virtuellen Automatenspielen und Online-Poker aussetzt, die sich im Vorgriff auf die künftige Regulierung an verschiedene Vorgaben zum Spielerschutz halten?
2. Ist Artikel 56 AEUV dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einer zivilrechtlichen Klage auf Erstattung von Spielergeldern, die ein in diesem Mitgliedstaat ansässiger Spieler bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen und staatlich lizenzierten Anbieter von virtuellen Automatenspielen, Online-Poker und/oder sonstigen Online-Casinospielen verloren hat, stattzugeben, wenn die Klage auf einen Verstoß gegen das Verbot der Veranstaltung des unerlaubten Glücksspiels und/oder einen Verstoß gegen das Verbot der Veranstaltung der genannten Glücksspiele im Internet gestützt wird, sofern das zur Versagung einer Erlaubnismöglichkeit angeführte Internetverbot nicht als Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit gerechtfertigt werden kann?
Hilfsweise, falls die zweite Vorlagefrage zu verneinen ist und zivilrechtliche Klagen nicht dem Sanktionsverbot unterfallen:
3. Ist Art. 56 AEUV dahingehend auszulegen, dass er das Gericht eines Mitgliedstaates daran hindert, das Angebot von virtuellen Automatenspielen, Online-Poker und/oder sonstigen Online-Casinospielen eines in einem anderen EU-Mitgliedstaat niedergelassenen und staatlich lizenzierten Anbieters rückschauend an Anforderungen zu messen, die von der Erlaubnisbehörde hätten überprüft werden müssen und/oder zunächst in der Erlaubnis hätten festgelegt werden müssen und/oder sich nur an erlaubte Anbieter richten, wie z. B. materielle Anforderungen an Einsatzlimits, und damit ein hypothetisches unionsrechtskonformes Erlaubnisverfahren anzunehmen, wenn im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich aber wegen eines im nationalen Rechtsrahmen normierten Verbots keine Erlaubnisse für die Veranstaltung von virtuellen Automatenspielen, Online-Poker und/oder sonstigen Online-Casinospielen erteilt worden sind, weil das Verbot zu Unrecht für mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar eingestuft worden ist?
4. Ist Art. 56 AEUV dahingehend auszulegen, dass er einer in einem Mitgliedstaat eingeführten glücksspielrechtlichen Restriktion gegenüber einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen und lizenzierten Anbieter von virtuellen Automatenspielen, Online-Poker und/oder sonstigen Online-Casinospielen in Form eines zwingenden gesetzlichen monatlichen Einsatzlimits in Höhe von 1.000 Euro pro Monat/Spieler entgegensteht, wenn
a) dieses Limit nur für den Vertrieb über das Internet, nicht aber für den terrestrischen Vertrieb der entsprechenden Glücksspiele Anwendung findet;
b) für den Online-Vertrieb von Sportwetten und Pferdewetten Ausnahmen von dem Limit bis zu 30.000 Euro bei Sportwetten und bis zu 100.000 Euro bei Pferdewetten durch die zuständigen Erlaubnisbehörden gestattet werden;
c) parallel zu dem gesetzlichen Limit dem Spieler ohnehin die Möglichkeit gegeben werden muss, bereits bei der Registrierung bei einem Glücksspielanbieter freiwillig individuelle tägliche, wöchentliche oder monatliche Einzahlungs- oder Verlustlimits festzulegen und der Mitgliedstaat wohl keinen Nachweis erbracht hat, dass der Schutz der Spieler durch ein zwingendes Einsatzlimit in gleicher oder besserer Weise gefördert werden kann als durch das freiwillige Limit?