eine Kurzanalyse von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Selten ist ein diplomatisch formulierter juristischer Text so unterschiedlich und interessengeleitet interpretiert worden wie die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 20. März 2012 zu dem überarbeiteten Entwurf für einen neuen Glücksspielstaatsvertrag. So bezeichnete der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck das Schreiben als ein „positives Votum“ und die bisherigen Monopolunternehmen, zusammengeschlossen in dem Deutschen Lotto- und Totoblock meinten, dass die Kommission „grünes Licht“ gegeben habe. Das private Glücksspielunternehmen JAXX sah dagegen das „Aus für den Glücksspielgesetz-entwurf“ und die Zeitschrift E-Gaming Review EGR bezeichnete die Stellungnahme als “damning letter“ („EC slams German State Treaty proposals“).
Beide Seiten liegen aus meiner Sicht falsch. Die Kommission beurteilt den Entwurf keineswegs als problemlos, sondern äußert durchaus erhebliche Bedenken. Von einem Durchwinken und „positiven Votum“ kann nicht die Rede sein. Andererseits ist der Glücksspielstaatsvertrag politisch gesehen auch nicht endgültig tot, auch wenn Nachbesserungen erforderlich sind.
1. Hintergrund
Um das Schreiben der Kommission richtig einzuordnen, sollte man sich zunächst kurz das bereits seit fast einem Jahr dauernde Notifizierungsverfahren und dessen Struktur anschauen.
Der erste Entwurf für einen Änderungsstaatsvertrag zu dem zum Jahresende 2011 ausgelaufenen Glücksspielstaatvertrag wurde am 15. April 2011 der Europäischen Kommission notifiziert. Diese formliche Mitteilung ist für technische Regelungen bei sog. Diensten der Informationsgesellschaft (Information Society Services), vor allem Internetdienstleistungen, vorgesehen und in der Richtlinie 98/34/EG geregelt. Es handelt sich somit nicht um eine umfassende europarechtliche Prüfung. Die Kommission kann auch den Sachverhalt innerhalb des engen Zeitrahmens (Stellungnahme in der Regel innerhalb von drei Monaten, Verlängerung bei einer ausführlichen Stellungnahme eines anderen Mitgliedstaats, wie etwa Malta bei der ersten Notifizierung) nicht weiter klären, sondern ist auf die Angaben des notifizierenden Mitgliedstaats angewiesen.
Nicht geprüft und erst recht nicht gebilligt hat die Kommission den aufgrund der sehr kritischen ersten Stellungnahme er Kommission überarbeiteten Entwurf hinsichtlich der nach der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH erforderlichen Kohärenz und Konsistenz glücksspielrechtlicher Regelungen. Hinsichtlich der bisherigen Regelungen in Deutschland ist der EuGH in seinen Urteilen vom 8. September 2010 zu mehreren deutschen Sportwetten-Vorlageverfahren von einer Unvereinbarkeit mit Europarecht ausgegangen. Diese Inkohärenz ist bislang nicht beseitigt, sondern durch das am 1. Januar 2012 in Kraft getretene schleswig-holsteinische Glücksspielgesetz weiter verschärft worden.
Aus dem Umstand, dass die Kommission nur wenig zu nicht-technischen Regelungen, wie etwa die vorgesehene Steuerreglung ausführt, heißt nicht, dass diese von der Kommission gebilligt werden (so etwa eine Fehlinterpretation des Deutschen Lotto- und Totoblocks zur ersten Stellungnahme der Kommission vom 18. Juli 2011). Auch ein Abschluss des Notifizierungsverfahrens bedeutet nicht, dass die Kommission die Neuregelung nicht anschließend umfassend in einem Vertragsverletzungsverfahren überprüft, wie sie dies bereits hinsichtlich des ausgelaufenen Glücksspielstaatsvertrags gemacht hat. Am Ende der weiteren Stellungnahme hat sich die Kommission ausdrücklich die Durchführung eines derartigen Vertrags-verletzungsverfahrens vorbehalten.
2. Der Änderungsstaatsvertrag
Gegenstand der Notifizierung ist der Entwurf eines – so der offizielle Titel „Ersten Staatsvertrags zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag - Erster GlüÄndStV)“. Die deutschen Länder (außer Schleswig-Holstein) wollen damit das für ihre Staatseinnahmen wichtige Monopol für Lotterien aufrecht erhalten und dafür das rechtlich nicht mehr haltbare Monopol für Sportwetten aufgeben. Für Wetten soll ein Lizensierungssystem eingeführt werden. Während in dem am 15. April 2011 zunächst notifizierten ersten Entwurf eine Anzahl von sieben Lizenzen genannt war, sind nunmehr 20 Lizenznehmer vorgesehen. Auch der zunächst vorgesehene, für Wetten extrem hohe Steuersatz von 16 2/3% im ersten Entwurf wurde nunmehr auf 5% des Wetteinsatzes reduziert (was im internationalen Vergleich weiterhin sehr hoch ist). Der Höchsteinsatz wurde von EUR 750,- im Monat auf EUR 1.000,- angehoben.
In ersten Entwurf war vorgesehen, dass in Deutschland zugelassene Spielbanken auch online Casinospiele und Poker anbieten konnten. Diese von der Kommission als diskriminierend beurteilte Möglichkeit ist in der Neufassung nicht mehr vorgesehen. Online-Casinospiele und -Poker sind (anders als die Regelung in Schleswig-Holstein) laut dem Entwurf weiterhin verboten.
3. Die Stellungnahme der Kommission
Die Stellungnahme ist – wie bei Notifizierungsverfahren üblich – in eine Stellungnahme zu den technischen Regelungen („Detailed Opinion“ unter Ziff. 1) und weiteren Anmerkungen („Comments“ unter Ziff. 2) aufgeteilt.
Die Kommission lobt zunächst die oben dargestellten Verbesserungen zu der von ihr in der ersten Stellungnahme kritisierten ersten Fassung des Änderungsstaatsvertrags. Sie führt aus, dass europarechtlich grundsätzlich ein Konzessionssystem zulässig ist, verweist dann jedoch auf die Geeignetheits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung entsprechend der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH. Im Übrigen hält die Kommission fest, dass das Lizensierungsverfahren in transparenter und nicht-diskriminierender Weise durchzuführen ist. Die bisherigen Anbieter und die neuen Lizenznehmer müssen den gleichen Bedingungen unterliegen (vgl. hierzu Arendts, Costa-Urteil: Europäischer Gerichtshof verschärft Anforderungen an die Vergabe von Glücksspielkonzessionen, Sportwettenrecht aktuell Nr. 125, S. 2 ff.).
Die Kommission hinterfragt, ob aufgrund des kumulativen Effekts der einschränkenden Regelungen eine wirtschaftlich tragfähige Grundlage für die Lizenznehmer gegeben ist. Aufgrund der ihr von Deutschland zur Verfügung gestellten Informationen sieht sich die Kommission außerstande, die wirtschaftliche Tragfähigkeit zu beurteilen.
Hinsichtlich des Verbots von Online-Casinospielen und Online-Poker verweist die Kommission auf die einschlägige EuGH-Rechtsprechung, nach der insbesondere die Kriminalitätsbekämpfung eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen kann. Diesbezüglich kritisiert die Kommission, dass hierfür keine hinreichende Datengrundlage vorgelegt wurde. So müsste Deutschland nachweisen, dass es sich bei der Kriminalitäts- und Spielsuchtbekämpfung um ernsthafte Probleme handele und das Internetverbot bestimmter Spiel geeignet ist, diese Probleme zu lösen. Aufgrund der bislang vorgelegten Informationen sieht sich die Kommission außerstande, die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme zu beurteilen.
Abschließend weist die Kommission darauf hin, dass weitere Regelungen (etwa in den Ausführungsgesetzen zum Glücksspielstaatsvertrag) ebenfalls zu notifizieren sind, soweit technische Regelungen im Sinne der Richtlinie 98/34/EG betroffen sind.
4. Ausblick
Die Länder sind weit hinter ihrem Zeitplan. Ein Inkrafttreten des neuen Glücksspielstaatsvertrags zum 1. Juli 2012 dürfte aus meiner Sicht nicht machbar sein. So sind drei Lesungen in den Länderparlamenten (mit einer politischen Diskussion) erforderlich, während in den nächsten Monaten mehrere Landtagswahlen anstehen.
Europarechtlich kommt es auf die Sach- und Rechtslage im gesamten Gebiet des Mitgliedstaats an. Auf unterschiedliche Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bundes- und Landeebene kann sich ein Mitgliedstaat nicht berufen. Daher müsste, wenn man tatsächlich mit dem Glücksspielstaatsvertrag weiter machen will, eine umfassende kohärente und systematische Regelung auf Bundes- und Länderebene gefunden werden. Hierzu müssen die durch Bundesgesetz geregelte Pferdewetten sowie Geldspielgeräte in ein einheitliches Regelungssystem eingepasst werden. Auch müsste Schleswig-Holstein sich einer einheitlichen Regelung anschließen. Die Schaffung eines kohärenten und in sich konsistenten Regelungssystems – wie vom EuGH gefordert – ist bislang nicht absehbar.
Unabhängig von der rechtlichen Regelung müsste auch die Praxis sich grundlegend ändern. Davon ist derzeit nicht auszugehen. So ist es europarechtlich schlichtwegs nicht haltbar, ein staatliches Monopol für Lotterien mit der Suchtbekämpfung zu begründen, während man mit dem neu eingeführten Angebot „Eurojackpot“ (mit Höchstgewinnen bis EUR 90 Millionen) erhebliche zusätzliche Einnahmen generieren will.
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1 Kommentar:
Ein sehr interessanter Artikel. Wann kann denn eigentlich mit den ersten Lizenzvergaben in Schleswig-Holstein gerechnet werden? Auf der Seite des Innenministeriums steht, dass ab dem 01. März 2012 Lizenzen erteilt werden. Gibt es schon Wettanbieter, die eine Lizenz erhalten haben?
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