Freitag, 1. Februar 2013

Landtag Schleswig-Holstein: Alleingang des Nordens beim Glücksspiel ist beendet - aber die Diskussion geht weiter

Kiel (SHL/24.01.) Nach zweistündiger, kontroverser Debatte hat die Nord-Ampel das Glücksspielgesetz der schwarz-gelben Vorgängerkoalition endgültig gekippt und den Beitritt zum Staatsvertrag der 15 anderen Länder beschlossen. "Die politische Geisterfahrt Schleswig-Holsteins geht damit zu Ende", erklärte SPD-Fraktionschef Ralf Stegner mit Blick auf CDU und FDP, die mit heftigem Protest reagierten. Stegner gehe vor "wie ein blinder Bulldozer-Fahrer" und ignoriere alle rechtlichen Bedenken, entgegnete der CDU-Abgeordnete Hans-Jörn Arp.

Fest steht: Auch nach dem Kursschwenk wird der Norden ein Sonderfall bleiben, denn die 23 Sportwett-Lizenzen und die 13 Genehmigungen für Online-Poker, die das Innenministerium nach dem alten Gesetz bereits vergeben hat, gelten weiter. Vor diesem Hintergrund herrschte im Plenum in einem Punkt Einigkeit: Die Diskussion um die Regulierung des Glücksspiel-Marktes wird fortgesetzt, sowohl politisch als auch juristisch.

Zum einen steht der Staatsvertrag der 15 anderen Länder auch in den Reihen der schleswig-holsteinischen Regierungskoalition in der Kritik - Grüne und SSW sehen hier Nachholbedarf. Zum anderen sind die Gerichte gefragt. So hat der Bundesgerichtshof unmittelbar vor der Landtagsdebatte ein Verfahren zur Vergabe von Glücksspiel-Lizenzen in NRW ausgesetzt und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen. Der soll nun klären, wie die derzeitige rechtliche "Inkohärenz" in Deutschland zu bewerten ist - Stichworte: Spiel-Erlaubnis im Norden, Spiel-Verbot überall anders.

Stegner wirft ehemaliger schwarz-gelber Landesregierung Lobbyismus vor

Diese vertrackte rechtliche Lage sei eine von Union und Liberalen hinterlassene "politische Sprengfalle", zürnte Stegner. Unter dem "Einfluss einer milliardenschweren Lobby" hätten Christdemokraten und Liberale eine "destruktive Politik" zulasten der Spielsüchtigen betrieben. Arp und FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, die als Motoren der schwarz-gelben Regelung aus dem letzten Jahr gelten, wiesen dies empört zurück.

Arp und Kubicki verweisen auf ungeklärte Rechtslage und prophezeien Klagen

"Unser Gesetz ist von der EU-Kommission genehmigt, Ihr Entwurf wird vor dem EuGH gnadenlos scheitern", sagte Arp an die Adresse der Koalition. Und er prophezeite: "Noch in diesem Jahr werden Sie einen neuen Gesetzentwurf vorlegen müssen, der mit EU-Recht vereinbar ist." Kubicki hieb in die gleiche Kerbe: "Wie können Sie im gleichen Rechtsraum etwas gleichzeitig verbieten und erlauben?", fragte er mit Blick auf die Nord-Ampel. Die "imaginäre magische Zahl" von 20 Sportwetten-Lizenzen, die der Staatsvertrag vorsieht, sei bereits überschritten, denn Schleswig-Holstein habe schon 23 Genehmigungen erteilt. Die Folge, so Kubicki: "Drei werden klagen."

Grüne wollen Staatsvertrag nachverhandeln: Komplettverbot nicht mehr zeitgemäß

Während Innenminister Andreas Breitner (SPD) den Staatsvertrag als "einheitlich, kohärent und systematisch" lobte, riefen Rasmus Andresen (Grüne) und Lars Harms (SSW) dazu auf, den Vertrag nun unter schleswig-holsteinischer Beteiligung rasch nachzuverhandeln. Ein "Komplettverbot von Online-Poker und eine Minimal-Legalisierung von Sportwetten ist nicht mehr zeitgemäß", betonte Andresen. Die Bundesländer müssten den im Internet florierenden Schwarzmarkt "kanalisieren" und besteuern. Harms forderte, auch Spielautomaten, die als Süchtigmacher gelten, stärker zu regulieren: "Wenn man das Online-Glücksspiel beschränken will, wie wir es wollen, dann muss auch über kurz oder lang, das Spielhallenrecht angepasst werden."

Piraten fordern Kanalisierung in einen regulierten Markt mit starken Schutzvorkehrungen

Patrick Breyer (Fraktionschef der Piraten) warf Rot-Grün-Blau vor, sich mit der Annahme des im Glücksspiel-Staatsvertrag verankerten Verbots von Internet-Glücksspiel "komplett von der Lebenswirklichkeit zu verabschieden". 90 Prozent des Glücksspiels finde schon heute im unregulierten Markt statt, wo keinerlei Schutz zu gewährleisten sei. "Der beste und einzig wirksame Schutz vor Spielsucht ist die Kanalisierung von Glücksspiel in einen regulierten Markt mit starken Schutzvorkehrungen", so Breyer. Wie Schwarz-Gelb votierten auch die Piraten gegen den Kurs der Koalition in namentlicher Abstimmung.

Landtag Schleswig-Holstein/plenum-online

Innenminister Andreas Breitner: Glücksspielrecht gemeinsam mit allen anderen Ländern auf Augenhöhe, transparent und national einheitlich gestalten

Pressemitteilung des Innenministeriums des Landes Schleswig-Holstein vom 24. Januar 2013
 
In der Debatte des Landtags über das Glücksspielrecht sagte Innenminister Andreas Breitner am Donnerstag (24. Januar) in Kiel:
 
„Ziel der Landesregierung ist eine bundeseinheitliche Regelung des Glücksspiels und der Beitritt Schleswig-Holsteins zum Glücksspielstaatsvertrag. Der Glücksspielstaatsvertrag orientiert sich an den Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union. Er hat zum Ziel, ein den Anforderungen des Unions- und Verfassungsrechts entsprechendes und einheitliches Glücksspielangebot in Deutschland zu schaffen. Das staatliche Lotterie- und Sportwettmonopol soll erhalten bleiben. Der Glücksspielstaatsvertrag sieht eine zeitlich befristete Erprobung eines Konzessionsmodells vor, wonach private Anbieter eine begrenzte Zahl von Konzessionen zum Veranstalten und Vermitteln von Sportwetten erhalten können. Neben den staatlichen und privaten Lotterien, den Sportwetten und Spielbanken bezieht er auch Pferdewetten und Spielhallen mit ein.
 
Vor diesem Hintergrund haben 15 Länder von einer vollständigen Neuregelung abgesehen und den bisherigen Glücksspielstaatsvertrag aus dem Jahre 2008 in wichtigen Punkten weiter entwickelt:
 
So ist neben der Kanalisierung und Begrenzung des Glücksspielangebotes die Bekämpfung des Schwarzmarktes ein ganz wesentliches Anliegen. Zusätzlich soll Gefahren für die Integrität des sportlichen Wettbewerbs bei Sportwetten vorgebeugt werden. Der Vertrieb von Glücksspielen über das Internet wird eröffnet. Bei Sportwetten wollen die Länder im Rahmen einer Experimentierklausel erproben, ob durch ein kontrolliertes Angebot der überwiegende Schwarz- und Graumarkt wieder zurückgedrängt werden kann.
 
Aufgenommen wurden Regelungen zur Veranstaltung und Vermittlung von Pferdewetten. Die Vermittlung an in Deutschland nicht zugelassene Veranstalter im Ausland wird verhindert, auch für Wettvermittlung in das Ausland sind Steuern zu zahlen und die Buchmacher müssen am Sperrsystem zum Schutze gefährdeter Spieler teilnehmen. Neu sind auch bundeseinheitliche Vorgaben zur Regulierung von Spielhallen, um deren Zahl zu begrenzen und den Spieler- und Jugendschutz zu verbessern. Die Zusammenarbeit der Länder wird fortentwickelt. So nehmen nun einzelne Länder bestimmte Aufgaben für alle anderen Länder wahr, Befugnisse und Kompetenzen werden dort gebündelt. Das schafft Rechtssicherheit, „weiße Flecken“ auf der Landkarte der Bundesrepublik werden so verhindert.
 
Mit dem Glücksspielstaatsvertrag wird also eine bundeseinheitliche, kohärente und systematische Normgebung im Bereich des Glücksspielrechts geschaffen! Hier liegt der wichtigste Vorteil des Glücksspielstaatsvertrages. Denn eine in allen Ländern geltende einheitliche Regelung ist besser als die Schaffung eines dauerhaften rechtlichen Flickenteppichs mit „Insel-Lösungen“.
 
Kleinstaatliche Ansätze haben in der Geschichte nie große Spuren hinterlassen.
Soweit die Landesregierung Genehmigungen nach dem Glücksspielgesetz erteilt hat, ist dies kein Widerspruch zum geplanten Beitritt zum Glücksspielstaatsvertrag. Denn selbstverständlich sind wir an Recht und Gesetz gebunden. Die Glücksspielanbieter hatten einen Rechtsanspruch auf Genehmigung ihrer Anträge, sobald die Voraussetzungen dafür vorlagen.
 
Zum Teil wird vorgetragen, dass durch die erteilten Genehmigungen in Schleswig-Holstein die glücksspielrechtliche Kohärenz in der Bundesrepublik nicht mehr bestünde. Dies wird von hier anders beurteilt. Denn die in Schleswig-Holstein erteilten Genehmigungen gelten für einen Übergangszeitraum von sechs Jahren, während die Experimentierphase des Glücksspielstaatsvertrages sieben Jahre währen soll.
 
Wie dieser Sachverhalt verfassungs- und europarechtlich abschließend zu bewerten ist, kann zurzeit nicht vorhergesagt werden. Offen ist zudem die Frage, ob nicht wegen der Länderkompetenzen beim Glücksspielrecht auch einzelne, von einer staatsvertraglichen Regelung abweichende Länderregelungen bestehen dürfen. Dies unterstellt, würde sich aus der unterschiedlichen Glücksspiellandschaft in Schleswig-Holstein keine Inkohärenz ergeben.
 
Lassen Sie uns jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, die Zukunft im deutschen Glücksspielrecht gemeinsam mit allen anderen Ländern auf Augenhöhe, transparent und national einheitlich zu gestalten.“ (Es gilt das gesprochene Wort).

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