Mittwoch, 8. November 2023

Vorlage an den EuGH aus Malta zum Online-Automatenspiel

Vorabentscheidungsersuchen des Prim’Awla tal-Qorti Ċivili (Malta), eingereicht am 14. Juli 2023 – FB/European Lotto and Betting Ltd und Deutsche Lotto- und Sportwetten Ltd

(Rechtssache C-440/23, European Lotto and Betting und Deutsche Lotto- und Sportwetten)

Verfahrenssprache: Englisch


Vorlegendes Gericht

Prim’Awla tal-Qorti Ċivili

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kläger: FB

Beklagte: European Lotto and Betting Ltd und Deutsche Lotto-Und Sportwetten Ltd

Vorlagefragen

1. Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass der Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit durch ein generelles Verbot von Online-Automatenspielen im Mitgliedstaat des Verbrauchers (Zielsstaat) gegenüber Betreibern von Online-Casinos, die in ihrem Herkunftsstaat (Malta) lizenziert sind und reguliert werden, nicht aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein kann,

– wenn der Zielmitgliedstaat gleichzeitig privaten Veranstaltern ähnliches Offline-Glücksspiel mit lizenzierten Spielautomaten in Spielhallen und Restaurants ebenso flächendeckend erlaubt wie intensiveres Glücksspiel in Offline-Casinos und lizenzierte nationale Lotterieveranstaltungen staatlicher Lotterien, die in mehr als 20000 Vertriebsstellen an die Allgemeinheit gerichtet werden und

– er privaten Veranstaltern von Sport- und Pferdewetten sowie privaten Online-Lotterievermittlern, die die Produkte der staatseigenen Lotterien und anderer lizenzierter Lotterien vertreiben, die Veranstaltung lizenzierter Online-Glücksspiele erlaubt,

während derselbe Mitgliedstaat – entgegen den Urteilen des Gerichtshofs in den Rechtssachen Deutsche Parkinson (C-148/151 , Rn. 35), Markus Stoß (C-316/072 ) und Lindman (C-42/023 ) – offenbar keine wissenschaftlichen Belege dafür vorgelegt hat, dass von diesen Spielen spezifische Gefahren ausgingen, die erheblich zur Erreichung der mit ihrer Regulierung verfolgten Ziele relevant wären, insbesondere zur Verhinderung problematischen Glücksspiels,

und die Beschränkung des Verbots von Online-Automatenspielen in Anbetracht dieser Gefahren – im Gegensatz zu all den Glücksspielangeboten, die für Online- und Offline-Spielautomaten erlaubt sind – als geeignet, zwingend und verhältnismäßig angesehen werden kann, um die Regelungsziele zu erreichen?

2. Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass er der Anwendung eines in § 4 Abs. 1 und 4 des deutschen Staatsvertrags zum Glücksspielwesen (GlüStV) enthaltenen generellen Verbots von Online-Casino-Glücksspiel entgegensteht, wenn die deutsche Glücksspielregelung (Glücksspielstaatsvertrag, GlüStV) in ihrem § 1 nicht auf ein generelles Glücksspielverbot abzielt, sondern darauf, „den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken“ und eine beträchtliche Nachfrage von Spielern nach Online-Automatenspielen besteht?

3. Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass ein generelles Verbot von Online-Casino-Angeboten nicht angewandt werden darf, wenn

– sich die Regierungen aller Bundesländer dieses Mitgliedstaats bereits darauf geeinigt haben, dass die von solchen Online-Glücksspiel-Angeboten ausgehenden Gefahren wirksamer durch ein System der vorherigen behördlichen Erlaubnis als durch ein generelles Verbot bekämpft werden können und

– sie mit einem entsprechenden Staatsvertrag einen künftigen Regelungsrahmen erarbeitet haben, der das generelle Verbot durch ein System der vorherigen Erlaubnis ersetzt

– und in Erwartung dieser zukünftigen Regelung entscheiden, entsprechende Glücksspielangebote ohne eine deutsche Erlaubnis vorbehaltlich der Einhaltung bestimmter Anforderungen zu akzeptieren, bis solche deutschen Lizenzen ausgestellt werden,

obwohl nach der Rechtssache Winner Wetten (C-409/061 ) Unionsrecht nicht übergangsweise ausgesetzt werden darf?

4. Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass ein (Ziel-)Mitgliedstaat eine nationale Regelung nicht mit zwingenden Gründen des Allgemeinwohls rechtfertigen kann, wenn

– diese Regelung es Verbrauchern verbietet, in einem anderen (Herkunfts-)Mitgliedstaat lizenzierte grenzüberschreitende Wetten auf lizenzierte Lotterien im Zielmitgliedstaat abzugeben, die dort erlaubt und reguliert sind,

– die Lotterien im Zielmitgliedstaat lizenziert sind und die Regelung dem Spieler- und Jugendschutz dient

– und wenn die Regulierung von lizenzierten Wetten auf Lotterien im Herkunftsmitgliedstaat ebenfalls dem Spieler- und Jugendschutz dient und das gleiche Schutzniveau wie dasjenige der Regulierung von Lotterien im Zielmitgliedstaat gewährleistet?

5. Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass diese Vorschrift der Rückforderung bei der Teilnahme an (Zweit-)Lotterien verlorener Einsätze entgegensteht, die auf die behauptete Rechtswidrigkeit der Transaktionen wegen des Fehlens einer Lizenz im Mitgliedstaat des Verbrauchers gestützt wird, wenn

– eine solche Lizenz für private (Zweit-)Lotterien von Rechts wegen ausgeschlossen ist,

– und dieser Ausschluss von den nationalen Gerichten mit einem angeblichen Unterschied zwischen der Abgabe eines Tipps auf den Ausgang einer Lotterie bei einem staatlichen Veranstalter und einer Wette auf den Ausgang einer staatlichen Lotterie bei einem privaten Veranstalter gerechtfertigt wird?

6. Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass er der Rückforderung bei der Teilnahme an (Zweit-)Lotterien verlorener Einsätze entgegensteht, die auf die behauptete Rechtswidrigkeit der Transaktionen wegen des Fehlens einer Lizenz im Mitgliedstaat des Verbrauchers gestützt wird, wenn

– von Rechts wegen ein Ausschluss einer solchen Lizenz für private (Zweit-)Lotterien besteht

– und wenn dieser Ausschluss zugunsten staatlicher Lotterieveranstalter von den nationalen Gerichten mit einem angeblichen Unterschied zwischen der Abgabe eines Tipps auf den Ausgang einer vom Staat veranstalteten Lotterie bei einem staatlichen Veranstalter und einer Wette auf den Ausgang derselben staatlichen Lotterie bei einem privaten Veranstalter gerechtfertigt wird?

7. Sind Art. 56 AEUV und das Verbot des Rechtsmissbrauchs (Rechtssache Niels Kratzer [C-423/151 ]) dahin auszulegen, dass sie einer auf die Erstattung verlorener Einsätze gerichteten Forderung entgegenstehen, die auf das Fehlen einer deutschen Lizenz und auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützt wird, wenn der Veranstalter von den Behörden in einem anderen Mitgliedstaat lizenziert ist und überwacht wird und die Mittel des Spielers sowie seine Zahlungsansprüche durch das Recht des Mitgliedstaats, in dem der Veranstalter niedergelassen ist, gesichert werden?