Freitag, 27. Oktober 2017

Vorlage aus Ungarn an den EuGH zur Kohärenz der nationalen Glücksspielregelungen (Rechtssache "Sporting Odds")

Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Ungarn),
 eingereicht am 3. Januar 2017 – 
Sporting Odds Limited/Nemzeti Adó- és Vámhivatal Központi Irányítása

(Rechtssache C-3/17)
Verfahrenssprache: Ungarisch

Vorlegendes Gericht
Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság

Parteien des Ausgangsverfahrens
Klägerin: Sporting Odds Limited
Beklagte: Nemzeti Adó- és Vámhivatal Központi Irányítása

Vorlagefragen

Sind Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden: AEUV), das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Begrenzung von Glücksspieltätigkeiten, deren gesetzliches Ziel dem Mitgliedstaat zufolge im Wesentlichen die Bekämpfung der Spielsucht und der Verbraucherschutz sein soll, in einer kohärenten und systematischen Weise erfolgen muss, dahin auszulegen, dass das nationale Monopol des Mitgliedstaates auf On- und Offline veranstaltete Sport- und Pferdewetten im Widerspruch zu ihnen steht, wenn im Übrigen in dem Mitgliedstaat seit der durch ihn vorgenommenen Neuordnung des Marktes private Anbieter andere Online- und Offline-Glücksspiele (Kasinospiele, Kartenspiele, Geldspielautomaten, Online-Kasinospiele und Online-Kartenspiele), die eine erhebliche Suchtgefahr in sich bergen, im Rahmen einer Konzession in Präsenzspielbanken veranstalten dürfen?

Sind Art. 56 AEUV, das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Begrenzung von Glücksspieltätigkeiten in einer kohärenten und systematischen Weise erfolgen muss, dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen diesen Artikel vorliegt und dieses Erfordernis nicht erfüllt ist, wenn sich feststellen lässt, dass die mit der Bekämpfung der Spielsucht und dem gesetzlichen Ziel des Verbraucherschutzes begründete Neuordnung der Marktstruktur in Wirklichkeit zur Folge hat oder bewirkt, dass seit der durch den Mitgliedstaat vorgenommenen Neuordnung des Marktes die Zahl der Spielbanken, die jährlichen Steuern auf Glücksspiele in Spielbanken, die in der staatlichen Haushaltsplanung vorgesehenen Einnahmen aus Gebühren für Spielbankkonzessionen, die von Spielern erworbenen Spielmarken und die zum Erwerb des Spielrechts an Geldspielautomaten erforderlichen Geldbeträge fortlaufend zunehmen?

Sind Art. 56 AEUV, das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Begrenzung von Glücksspieltätigkeiten in einer kohärenten und systematischen Weise erfolgen muss, dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen diesen Artikel vorliegt und dieses Erfordernis nicht erfüllt ist, wenn sich feststellen lässt, dass neben die im Wesentlichen mit der Bekämpfung der Spielsucht und dem gesetzlichen Ziel des Verbraucherschutzes begründete Einführung eines staatlichen Monopols und die zugelassene Veranstaltung von Glücksspielen durch private Anbieter das wirtschaftspolitische Ziel tritt, höhere Nettoeinnahmen aus den Spielen zu erzielen und in möglichst kurzer Zeit außerordentlich hohe Erträge auf dem Spielbankenmarkt zu generieren, um andere Ausgaben aus dem Staatshaushalt und öffentliche Aufgaben zu finanzieren?

Sind Art. 56 AEUV, das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Begrenzung von Glücksspieltätigkeiten in einer kohärenten und systematischen Weise erfolgen muss, dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen diesen Artikel vorliegt und dieses Erfordernis nicht erfüllt ist sowie eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Anbietern vorliegt, wenn sich feststellen lässt, dass der Mitgliedstaat – unter Berufung auf ein und denselben Grund der öffentlichen Ordnung – einige Online-Glücksspielangebote dem staatlichen Monopol vorbehält, während er den Zugang zu anderen Glücksspielangeboten ermöglicht, indem er eine steigende Zahl von Konzessionen vergibt?

Sind Art. 56 AEUV und das Diskriminierungsverbot dahin auszulegen, dass es mit ihnen unvereinbar ist, wenn ausschließlich Anbieter, die über eine Präsenzspielbank (mit Konzession) in Ungarn verfügen, eine Genehmigung für Online-Kasinospiele erhalten können, weshalb Anbieter, die nicht über eine Präsenzspielbank in Ungarn verfügen (einschließlich solcher Anbieter, die in einem anderen Mitgliedstaat über eine Präsenzspielbank verfügen), von Genehmigungen für Online-Kasinospiele ausgeschlossen sind?

Sind Art. 56 AEUV und das Diskriminierungsverbot dahin auszulegen, dass es zu ihnen im Widerspruch steht, wenn der Mitgliedstaat durch eine eventuelle Ausschreibung von Konzessionen für Präsenzspielbanken bzw. dadurch, dass er es zuverlässigen Glücksspielveranstaltern erlaubt, sich um eine Konzession für eine Präsenzspielbank zu bewerben, zwar die grundsätzliche Möglichkeit gewährleistet, dass jeder Anbieter, der die gesetzlichen Vorgaben erfüllt – auch solche, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind – eine Konzession für eine Präsenzspielbank und, wenn er eine solche besitzt, die Genehmigung für eine Online-Spielbank erhalten kann, der fragliche Mitgliedstaat aber keine öffentliche und transparente Ausschreibung der Vergabe von Konzessionen durchführt und der Anbieter in der Praxis auch nicht die Möglichkeit hat, eine Bewerbung abzugeben und die Behörden des Mitgliedstaats demgegenüber feststellen, dass der Anbieter widerrechtlich gehandelt habe, als er ohne Genehmigung tätig geworden sei, und gegen ihn eine als verwaltungsrechtlich eingestufte Sanktion verhängen?

Sind Art. 56 AEUV, das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass das Genehmigungsverfahren transparent, objektiv und öffentlich sein muss, dahin auszulegen, dass es zu ihnen im Widerspruch steht, wenn der Mitgliedstaat ein System zur Ausschreibung von Konzessionen für bestimmte Glückspielangebote schafft, aber gleichzeitig die Stelle, die über die Konzessionen entscheidet, anstatt die Konzessionen auszuschreiben, auch Konzessionsverträge mit einzelnen Personen abschließen kann, die als zuverlässige Glücksspielveranstalter eingestuft sind, statt allen Anbietern mit einer einzigen Ausschreibung zu ermöglichen, zu gleichen Bedingungen am Vergabeverfahren teilzunehmen?

Für den Fall, dass die siebte Frage zu verneinen ist und dass in dem betreffenden Mitgliedstaat unterschiedliche Verfahren für die Vergabe identischer Konzessionen geschaffen werden dürfen: Muss der Mitgliedstaat in Anwendung von Art. 56 AEUV unter Berücksichtigung des Erfordernisses, dass das Genehmigungsverfahren transparent, objektiv und öffentlich sein muss, und des Gleichbehandlungsgrundsatzes zur wirksamen Durchsetzung der Unionsvorschriften über die Grundfreiheiten die Gleichwertigkeit dieser Verfahren sicherstellen?

Hat es Einfluss auf die Antworten auf die sechste bis achte Frage, wenn gegen die Entscheidung über die Konzessionsvergabe weder im einen noch im anderen Fall eine gerichtliche Überprüfung oder ein anderer wirksamer Rechtsbehelf gewährleistet ist?

Sind Art. 56 AEUV, der in Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union (im Folgenden: EUV) verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sowie die institutionelle und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten in Verbindung mit Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte (im Folgenden: Charta) sowie den sich daraus ergebenden Rechten auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle und auf Verteidigung dahin auszulegen, dass das mit der Sache befasste nationale Gericht bei der Prüfung der sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden unionsrechtlichen Anforderungen sowie der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgeschriebenen Begrenzung auch dann von Amts wegen eine Prüfung und eine Beweiserhebung anordnen und durchführen darf, wenn das nationale Verfahrensrecht des Mitgliedstaats ansonsten keine gesetzliche Befugnis hierzu verleiht?

Ist Art. 56 AEUV in Verbindung mit Art. 47 und 48 der Charta und den sich daraus ergebenden Rechten auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle und auf Verteidigung dahin auszulegen, dass das mit der Sache befasste nationale Gericht bei der Prüfung der sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden unionsrechtlichen Anforderungen sowie der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgeschriebenen Begrenzung die Beweislast nicht den von der Begrenzung betroffenen Anbietern auferlegen darf, sondern dass es dem Mitgliedstaat obliegt – konkret der staatlichen Behörde, die die in dem Rechtsstreit angefochtene Entscheidung erlassen hat –, die Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem Unionsrecht sowie deren Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit darzulegen und zu beweisen, so dass in Ermangelung dessen automatisch feststeht, dass die nationale Regelung gegen das Unionsrecht verstößt?

Ist Art. 56 AEUV auch unter Berücksichtigung des in Art. 41 Abs. 1 der Charta verankerten Rechts auf ein faires Verfahren, des in ihrem Art. 41 Abs. 2 Buchst. a verankerten Rechts, gehört zu werden, und der in ihrem Art. 41 Abs. 2 Buchst. c verankerten Begründungspflicht sowie des in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit, aber auch der institutionellen und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten dahin auszulegen, dass diese Vorgaben nicht erfüllt sind, wenn die mit der Sache befasste Behörde des Mitgliedstaats den Glücksspielveranstalter gemäß den Bestimmungen des nationalen Rechts weder über die Einleitung des Verfahrens zur Verhängung einer verwaltungsrechtlichen Sanktion unterrichtet noch später im Verlauf des Verwaltungsverfahrens seine Stellungnahme zur Vereinbarkeit der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats mit dem Unionsrecht einholt und in einem Verfahren mit nur einer Instanz eine vom nationalem Recht als verwaltungsrechtlich eingestufte Sanktion verhängt, ohne in der Begründung ihrer Entscheidung diese Vereinbarkeit oder die sie untermauernden Beweise im Einzelnen darzulegen?

Sind unter Berücksichtigung von Art. 56 AEUV, der Art. 41 Abs. 1, Art. 41 Abs. 2 Buchst. a und c, Art. 47 und Art. 48 der Charta sowie der sich daraus ergebenden Rechte auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle und auf Verteidigung die in den genannten Artikeln vorgesehenen Anforderungen erfüllt, wenn der Glücksspielveranstalter die Unvereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem Unionsrecht erstmals und ausschließlich vor dem nationalen Gericht geltend machen kann?



Kann Art. 56 AEUV bzw. die Pflicht der Mitgliedstaaten, Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen/begründen, dahin ausgelegt werden, dass der Mitgliedstaat dieser Pflicht nicht genügt hat, wenn weder zum Zeitpunkt der Einführung der Beschränkung noch zum Zeitpunkt ihrer Überprüfung eine einschlägige Folgenabschätzung vorlag bzw. vorliegt, die die mit der Beschränkung verfolgten Zwecke der öffentlichen Ordnung untermauert?

Lässt sich unter Berücksichtigung des gesetzlichen Rahmens für die Höhe der zu verhängenden verwaltungsrechtlichen Sanktion, der Natur der mit der Sanktion belegten Tätigkeit, insbesondere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Tätigkeit, sowie des repressiven Zwecks der Geldbuße auf der Grundlage der Art. 47 und 48 der Charta feststellen, dass die fragliche verwaltungsrechtliche Sanktion „Strafcharakter“ hat, und wirkt sich dieser Umstand auf die Antworten auf die elfte bis vierzehnte Frage aus?

Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass das mit der Sache befasste Gericht, falls es aufgrund der Antworten auf die vorhergehenden Fragen feststellt, dass die Regelung und ihre Anwendung rechtswidrig sind, feststellen muss, dass auch die Sanktion, die auf der nicht mit Art. 56 AEUV im Einklang stehenden nationalen Regelung beruht, gegen Unionsrecht verstößt?

Vorlage aus Ungarn an den EuGH zum Webseitenblocking von Glücksspielanbietern

Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Ungarn), eingereicht am 24. Mai 2017 – 
Headlong Limited/Nemzeti Adó- és Vámhivatal Központi Irányítása

(Rechtssache C-303/17)

Verfahrenssprache: Ungarisch

Vorlegendes Gericht
Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság

Parteien des Ausgangsverfahrens
Klägerin: Headlong Limited
Beklagte: Nemzeti Adó- és Vámhivatal Központi Irányítása

Vorlagefragen


Beinflusst es die Antwort auf die Vorlagefragen, die in dem vom Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság in der Rechtssache C-3/17 eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren gestellt worden sind, wenn die verwaltungsrechtliche Sanktion nicht in einem Bußgeld, sondern darin besteht, dass der Zugriff auf elektronische Daten vorläufig für die Dauer von 90 Tagen gesperrt wird, was eine Sanktion darstellt, die grundlegend andere Merkmale aufweist (zum Beispiel wird die Dienstleistung vorläufig unterbunden, die Entscheidung, mit der die Sanktion verhängt wird, wird nicht mitgeteilt, und eine Möglichkeit, dagegen einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, besteht nicht) und die von der Behörde des Mitgliedstaats wegen ein und derselben Handlung auch kumulativ neben dem Bußgeld verhängt werden kann?

Lässt sich in Anbetracht der Natur der vorläufigen Sperrung elektronischer Daten für die Dauer von 90 Tagen als verwaltungsrechtliche Sanktion, der Art ihrer Verhängung sowie insbesondere des Fehlens einer Möglichkeit, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen diese einzulegen, auf der Grundlage von Art. 56 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) feststellen, dass diese Sanktion als solche eine unverhältnismäßig schwere Beschränkung von Art. 56 AEUV sowie von Art. 17 Abs. 1 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union darstellt, die sich in ihrer derzeitigen Form nicht mit den vom Mitgliedstaat im Bereich der Glücksspiele festgelegten Verbraucherschutzzielen rechtfertigen lässt?

Beeinflusst es die Antwort auf die sechste Vorlagefrage des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság in der Rechtssache C-3/17, wenn der Mitgliedstaat nicht dafür sorgt, dass die Rechtsvorschriften erlassen werden, die erforderlich sind, um – sei es durch die Ausschreibung von Konzessionen, sei es im Wege der Bewerbung – eine Lizenz für die Veranstaltung von Online-Kasinospielen zu erwerben, und aus diesem Grund die Dienstleister die zur Erbringungen der Dienstleistung erforderlichen behördlichen Lizenzen nicht erwerben können?

Vorlage des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich an den EuGH zur Kohärenz eines Glücksspielmonopols

Vorabentscheidungsersuchen des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich (Österreich)
eingereicht am 14. Februar 2017 - Gmalieva s.r.o. u.a. gegen Landespolizeidirektion Oberösterreich
(Rechtssache C-79/17)

Verfahrenssprache: Deutsch

Vorlegendes Gericht
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Parteien des Ausgangsverfahrens
Beschwerdeführer: Gmalieva s.r.o., Celik KG, PBW GmbH, Antoaneta Claudia Gruber, Play For Me GmbH, Haydar Demir
Belangte Behörde: Landespolizeidirektion Oberösterreich

Vorlagefragen

Ist eine glücksspielrechtliche innerstaatliche Monopolregelung als kohärent i.S.d. Art. 56 ff AEUV anzusehen, hinsichtlich der

– davon ausgehend, dass insoweit

a) eine Sachverhaltsfeststellung und Würdigung anhand der von staatlichen Stellen und von privaten Verfahrensparteien vorgelegten sowie anhand notorischer Beweismittel hinreicht (vgl. hierzu näher C-685/15) und

b) keine Bindung an die Rechtsauffassung anderer innerstaatlicher Gerichte, denen keine autonome Kohärenzprüfung zugrunde liegt, besteht (vgl. hierzu näher C-589/16) –

in einem die eben genannten Kautelen beachtenden und sohin präsumtiv dem Fairnessgrundsatz des Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. des Art. 47 EGRC entsprechenden gerichtlichen Verfahren als wesentliche Eckpunkte festgestellt wurden, dass

• Spielsucht kein einen staatlichen Handlungsbedarf begründendes gesellschaftliches Problem darstellt,

• verbotenes Glücksspiel nicht als kriminelle Handlung, sondern lediglich (wenngleich häufig) als verwaltungspolizeiliche Ordnungsstörung in Erscheinung tritt,

• die Staatseinnahmen aus dem Glücksspiel jährlich mehr als 500 Mio Euro (= 0,4 % des gesamtstaatlichen Jahresbudgets) betragen und

• die Werbemaßnahmen der Konzessionäre maßgeblich auch darauf abzielen, bisher Unbeteiligte zum Glücksspiel zu animieren?

2.) Falls Frage 1.) bejaht wird: Ist ein solches System, das weder die damit verfolgten Ziele noch die Beweislast des Staates hinsichtlich deren tatsächlicher Erreichung explizit gesetzlich festlegt, sondern die Herausarbeitung der essentiellen Kohärenzkriterien und deren Verifizierung den nationalen Gerichten derart überantwortet, dass im Ergebnis ein faires Verfahren i.S.d. Art 6 Abs. 1 EMRK bzw. i.S.d. Art. 47 AEUV nicht zuverlässig gewährleistet ist, als kohärent i.S.d. Art. 56 ff AEUV anzusehen?

3.) Falls Frage 1.) und/oder Frage 2.) bejaht wird/werden: Ist ein solches System hinsichtlich der gesetzlich normierten, weit reichenden exekutivbehördlichen Eingriffsbefugnisse, die jeweils keiner vorangehenden richterlichen Genehmigung oder Kontrolle unterliegen, als verhältnismäßig i.S.d. Art. 56 ff AEUV zu qualifizieren?

4.) Falls die Fragen 1.), 2.) und 3.) bejaht werden: Ist ein solches System im Hinblick darauf, dass die alleinige Normierung von strengen Zugangsvoraussetzungen ohne gleichzeitige Fixierung der Anzahl der zu vergebenden Konzessionen einen vergleichsweise geringeren Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit bewirken würde, als verhältnismäßig i.S.d. Art. 56 ff AEUV zu qualifizieren?

5.) Falls eine der vorgenannten Fragen verneint wird: Hat ein nationales Gericht, das die Unionsrechtswidrigkeit des Monopolsystems des GSpG festgestellt hat, davon ausgehend nicht nur die in den bei ihm anhängigen Verfahren gesetzten Eingriffsmaßnahmen aus diesem Grund als rechtswidrig festzustellen, sondern darüber hinaus im Rahmen seiner Zuständigkeit von Amts wegen (z. B. durch Wiederaufnahme jener Verfahren) auch eine Rückabwicklung von notwendig akzessorischen, aber bereits in Rechtskraft erwachsenen Sanktionen (wie z. B. Verwaltungsstrafen) vorzunehmen?

Vorlage des italienischen Staatsrats an den EuGH zu Glücksspielkonzessionen

Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato (Italien), eingereicht am 21. Juni 2017 – Stanley International Betting Ltd, Stanleybet Malta Ltd/Ministero dell’Economia e delle Finanze, Agenzia delle Dogane e dei Monopoli

(Rechtssache C-375/17)
Verfahrenssprache: Italienisch

Vorlegendes Gericht
Consiglio di Stato

Parteien des Ausgangsverfahrens
Rechtsmittelführerinnen: Stanley International Betting Ltd, Stanleybet Malta Ltd
Rechtsmittelgegner: Ministero dell’Economia e delle Finanze, Agenzia delle Dogane e dei Monopoli

Vorlagefragen

Sind die Bestimmungen des Unionsrechts – insbesondere das Niederlassungsrecht und die Dienstleistungsfreiheit sowie die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz, der Wettbewerbsfreiheit, der Verhältnismäßigkeit und der Kohärenz – dahin auszulegen, dass sie einer Regelung wie der des Art. 1 Abs. 653 der Legge di stabilità (Stabilitätsgesetz 2015) und der betreffenden Durchführungsregelungen entgegenstehen, die für den Betrieb des Lottospiels, nicht aber für andere Glücksspiele, Prognosewettbewerbe oder Wetten das Modell einer ausschließlich auf einen Konzessionär zugeschnittenen Konzessionsvergabe vorsieht?

Sind die Bestimmungen des Unionsrechts – insbesondere das Niederlassungsrecht, die Dienstleistungsfreiheit und die Richtlinie 2014/23/EU1 sowie die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz, der Wettbewerbsfreiheit, der Verhältnismäßigkeit und der Kohärenz – dahin auszulegen, dass sie einer Vergabebekanntmachung entgegenstehen, die einen Richtwert vorsieht, der im Hinblick auf die wirtschaftlich-finanziellen und technisch-organisatorischen Kapazitätserfordernisse, wie sie die Abschnitte 5.3, 5.4, 11, 12.4 und 15.3 des Lastenhefts bezüglich der Konzessionsvergabe für das Lottospiel vorsehen, weit überhöht und ungerechtfertigt ist?

Sind die Bestimmungen des Unionsrechts – insbesondere das Niederlassungsrecht, die Dienstleistungsfreiheit und die Richtlinie 2014/23/EU sowie die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz, der Wettbewerbsfreiheit, der Verhältnismäßigkeit und der Kohärenz – dahin auszulegen, dass sie einer Regelung entgegenstehen, die zur Entscheidung zwingt, entweder eine neue Konzession zu erwerben oder die Freiheit der Erbringung grenzüberschreitender Wettleistungen in Anspruch zu nehmen – eine Alternative, wie sie sich aus Art. 30 des Vertragsentwurfs ergibt –, so dass die Entscheidung für eine Teilnahme an der Ausschreibung zur Vergabe der neuen Konzession den Verzicht auf die grenzüberschreitende Tätigkeit erfordern würde, obwohl die Rechtmäßigkeit der letztgenannten Tätigkeit bereits mehrfach vom Gerichtshof bestätigt wurde?


____________

1 Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1).

Deutscher Sportwettenverband (DSWV): Sportwetten: Gerichtsurteil erhöht politischen Handlungsdruck

Pressemitteilung des Deutschen Sportwettenverbands (DSWV) vom 27. Oktober 2017

Berlin. – Nach der heutigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Sportwettenkonzessionsverfahren sieht der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) die Politik mehr denn je gefordert, den Glücksspielstaatsvertrag so anzupassen, dass ein faires und transparentes Erlaubnisverfahren durchgeführt werden kann.

Wie aus einer heute veröffentlichen Pressemitteilung des Gerichts hervorgeht, haben die Richter die gesetzlichen Grundlagen des faktisch gescheiterten Sportwettenkonzessionsverfahrens im Kern zwar als rechtskonform bestätigt. Allerdings führt das Urteil nicht zu einer Lösung der seit Jahren bestehenden Hängepartie bei der Vergabe von Sportwettenkonzessionen.

DSWV-Präsident Mathias Dahms erklärt:

“Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht darüber entschieden, ob das Konzessionsverfahren damals rechtskonform durchgeführt wurde. Hier gilt weiterhin die Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, der eklatante Verfahrensfehler festgestellt hat. Diese Mängel können nicht ad hoc geheilt werden. Eine Erteilung von Sportwettenkonzessionen in absehbarer Zeit wird durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ermöglicht.”

DSWV-Präsident Mathias Dahms appelliert an die Bundesländer, weiter eine gemeinsame Reform des Glücksspielstaatsvertrags voranzutreiben, damit die seit 2012 von den Ministerpräsidenten angestrebte Öffnung des Sportwettenmarktes für private Anbieter endlich umgesetzt werden kann:

“Die Länder sollten ein Erlaubnisverfahren schaffen, durch das alle Bewerber, welche die hohen staatlichen Qualitätsanforderungen erfüllen, eine Erlaubnis erhalten.”

Die schriftliche Urteilsbegründung wird voraussichtlich erst in einigen Wochen vorliegen.

Über den DSWV

Der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) wurde im Jahr 2014 von den führenden deutschen und europäischen Sportwettenanbietern in Berlin gegründet und versteht sich als öffentlicher Ansprechpartner, insbesondere für Politik, Sport und Medien. Alle Mitgliedsunternehmen verfügen über Lizenzen in EU-Mitgliedstaaten und streben eine Regulierung und Konzessionierung auch für den deutschen Markt an. Seit 2012 haben sie in Deutschland über 1 Mrd. Euro Sportwettsteuern gezahlt. Die meisten Mitglieder sind auch als Sponsoren im deutschen Profisport aktiv.

Bundesverwaltungsgericht: Internetverbot für drei Glücksspielarten bestätigt

Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2017

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass das Verbot, Casino-, Rubbellos- und Pokerspiele im Internet zu veranstalten oder zu vermitteln, auch nach der teilweisen Öffnung des Vertriebswegs „Internet“ für Sportwetten und Lotterien mit Verfassungs- und Unionsrecht vereinbar ist.

Die auf Malta und in Gibraltar niedergelassenen Klägerinnen wandten sich gegen glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen. Sie boten im Internet Casino-, Rubbellos- und Pokerspiele an. Die Klägerin im Verfahren BVerwG 8 C 18.16 bot außerdem Online-Sportwetten an, ohne über eine Konzession nach dem Glücksspielstaatsvertrag zu verfügen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat der Berufung der Klägerinnen gegen die Abweisung ihrer Klagen stattgegeben und die Untersagungen aufgehoben. Die Revisionen des beklagten Landes hatten Erfolg.

Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die in den Untersagungsverfügungen ausdrücklich genannten Glücksspielarten hätten detailliert beschrieben werden müssen, überspannt die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots. Außerdem hat der Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht angenommen, eine Untersagungsverfügung sei selbst bei einer Verpflichtung der Behörde zum Einschreiten willkürlich, wenn ihr kein im Voraus festgelegtes Eingriffskonzept zugrunde liege.

Die Aufhebung der Untersagungen durch den Verwaltungsgerichtshof stellt sich auch nicht als im Ergebnis richtig dar. Mit Ausnahme von Sportwetten und Lotterien ist das Veranstalten und Vermitteln von öffentlichem Glücksspiel im Internet verboten und dementsprechend zu untersagen. Dieses Internetverbot verstößt nicht gegen die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit. Das haben der Gerichtshof der Europäischen Union und das Bundesverwaltungsgericht bezogen auf das vormalige generelle Internetverbot wegen der besonderen Gefährlichkeit des Glücksspiels im Internet gegenüber dem herkömmlichen Glücksspiel (u.a. unbeschränkte Verfügbarkeit des Angebots, Bequemlichkeit, fehlender Jugendschutz) bereits festgestellt. Dass der Glücksspielstaatsvertrag nunmehr ein streng reguliertes Angebot von Sportwetten und Lotterien im Internet vorsieht, gibt keinen Anlass, diese Rechtsprechung zu ändern. Durch diese begrenzte Legalisierung soll der Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen gelenkt und der Schwarzmarkt für Glücksspiele im Internet bekämpft werden.

Die darüber hinaus im Verfahren BVerwG 8 C 18.16 angegriffene Untersagung von Online-Sportwetten ist nicht zu beanstanden, weil die Klägerin nicht über die erforderliche Konzession verfügt und diese auch nicht beantragt hatte. Dies kann ihr entgegengehalten werden, weil das Erfordernis einer Konzession mit Verfassungs- und Unionsrecht vereinbar ist. Die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags über die Erteilung von Konzessionen für die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten bewirken keine Diskriminierung von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmern. Sie sind hinreichend klar, genau und eindeutig formuliert und setzen dem Auswahlermessen in ausreichendem Umfang Grenzen.

BVerwG 8 C 14.16 - Urteil vom 26. Oktober 2017
Vorinstanzen:
VGH Mannheim, 6 S 1406/14 - Urteil vom 27. Mai 2016 -
VG Karlsruhe, 3 K 576/10 - Urteil vom 03. November 2011 -

BVerwG 8 C 18.16 - Urteil vom 26. Oktober 2017
Vorinstanzen:
VGH Mannheim, 6 S 1426/14 - Urteil vom 08. September 2015 -
VG Karlsruhe, 3 K 386/10 - Urteil vom 03. November 2011 -