Donnerstag, 15. Juli 2010

Fachbeirat Glücksspielsucht reicht Klage gegen Hessen ein

Der Fachbeirat Glücksspielsucht hat gestern Klage gegen das Hessische Ministerium des Innern und für Sport beim Verwaltungsgericht Wiesbaden eingereicht.

Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport als die oberste Glücksspielaufsicht des Landes Hessen hat im November 2009 zugestimmt, dass LOTTO Hessen in Kooperation mit der Deutschen Post AG Glücksspielaufträge für bestimmte Lotterien per E‐Postbrief annehmen darf. Der E‐Postbrief der Deutschen Post ist internetgestützt. Er stellt einen vom Glücksspielstaatsvertrag verbotenen Internet‐Vertriebsweg für Glücksspiele dar (§ 4 Absatz 4 GlüStV). Entgegen den Vorgaben des Glücksspielstaatsvertrags hat das Hessische Ministerium des Innern und für Sport vor seiner Zustimmung den Fachbeirat nicht beteiligt. Der Fachbeirat hat von dem Vorgang erst aus der Presse erfahren, dann jedoch umgehend auf die Rechtswidrigkeit des Vorgehens hingewiesen und das Ministerium aufgefordert, die Zustimmung zurückzunehmen. Gespräche mit dem Ministerium blieben ohne Folgen. Vor diesem Hintergrund hat der Fachbeirat die Klage erhoben.

Der Fachbeirat ist im Glücksspielstaatsvertrag das zentrale Gremium, das die Glücksspielsucht zu bekämpfen hilft. Er steht im Mittelpunkt der Rechtfertigung des Staatsmonopols. Mit der Klage will der Fachbeirat Gefahren für suchtgefährdete Spieler, für den Glücksspielstaatsvertrag und für die Legitimation der begrenzenden Glücksspielpolitik abwenden. Auf dem Spiel stehen außerdem die Vereinbarkeit des Glücksspielstaatsvertrags mit dem Verfassungs‐ und dem Europarecht. Das Ziel der Spielsuchtbekämpfung würde erheblich beschädigt, wenn der Fachbeirat in Genehmigungsverfahren, in denen er zwingend zu beteiligen ist, sanktionslos umgangen werden könnte.

Was ist der Fachbeirat?
Der Fachbeirat Glücksspielsucht ist ein länderübergreifendes Gremium, das durch den Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) eingesetzt wurde (§ 10 Absatz 1 Satz 2 GlüStV). Er besteht aus sieben Mitgliedern, die Experten in der Bekämpfung der Glücksspielsucht sind und von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG Sucht) und dem Fachverband Glücksspielsucht (fags) benannt wurden. Der Fachbeirat ist unabhängig und an Weisungen nicht gebunden. Seine Aufgabe besteht darin, den Ländern suchtfachliches Know‐How zur Verfügung zu stellen, damit diese bei der Aufsicht über den Glücksspielmarkt das Hauptziel des GlüStV – die Bekämpfung der Glücksspielsucht – ausreichend berücksichtigen können. Dieses Hauptziel ist vom Bundesverfassungsgericht und vom Europäischen Gerichtshof als zentral für jede monopolnahe Regulierungsstruktur des Glücksspielmarktes eingestuft worden und vom GlüStV selbst als Kernziel definiert worden (§ 1 Nr. 1 GlüStV). Wenn die Länder neue Glücksspielangebote oder neue oder erheblich erweiterte Vertriebswege für Glücksspiele genehmigen wollen, müssen sie den Fachbeirat zunächst beteiligen und seine suchtfachliche Meinung zur Kenntnis nehmen (§ 9 Absatz 5 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 GlüStV).

Was ist der E-Postbrief?
Der E-Postbrief wurde von der Deutsche Post AG entwickelt und soll den klassischen Brief durch ein papierloses, über das Internet verschickbares Dokument ersetzen. Gegenüber der Email soll er verbindlich, vertraulich und verlässlich sein. Die Deutsche Post AG will ihn Mitte Juli 2010 einführen und die Kooperation mit LOTTO Hessen zum gleichen Zeitpunkt starten. Spielaufträge sollen dann via E-Postbrief annehmbar sein. Mit Ausnahme der einmaligen Registrierung im PostIDENT-Verfahren können dann Spielwillige alle zur Spielteilnahme notwendigen Schritte vom heimischen Computer aus per Internet vornehmen.

Welche Regelung gilt laut Glücksspielstaatsvertrag für das Internet?
Der Glücksspielstaatsvertrag ist seit dem 1. Januar 2008 in Kraft und beinhaltet in § 4 Absatz 4 ein Internetverbot. Hierunter fällt nicht nur das „echte“ Online‐Glücksspiel (Online‐Gambling), sondern auch die Nutzung des Internets als Vertriebsweg. Dies hat nicht nur das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht, sondern auch der Gesetzgeber in seiner Begründung des § 4 Absatz 4 GlüStV ausdrücklich bekräftigt, indem er es für „geboten [hielt], dem Glücksspielbereich den Vertriebsweg ‚Internet’ grundsätzlich zu untersagen“.

Warum ist der Vertriebsweg „Internet“ für Glücksspiele verboten?
Glücksspielsucht ist eine Krankheit. Suchtexperten und Gerichte haben Suchtgefährdung auch bei Lotterien festgestellt. Glücksspielen per Internet ist für suchtgefährdete Spieler besonders gefährlich, weil das Internet mit Gewöhnungseffekten und der Verschleierung finanzieller Verluste einhergeht. Die Verfügbarkeit, Griffnähe, Interaktivität und Möglichkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs führt zu Realitätsverlust und Kontrollillusionen. Es findet keine soziale Kontrolle statt, Alkohol- und Drogeneinfluss lässt sich nicht ausschließen und der Jugendschutz ist schwer zu realisieren. Die Bequemlichkeit, vom heimischen Bildschirm aus alle notwendigen Spielschritte durchführen zu können, führt außerdem zu einem Abbau von Hemmschwellen.

Welche Regelung gilt laut Glücksspielstaatsvertrag für den Fachbeirat?
Der Glücksspielstaatsvertrag richtet eine staatsmonopolähnliche Struktur für das Glücksspiel ein. Die Rechtfertigung hierfür ist die Bekämpfung der Glücksspielsucht, die durch staatliche Anbieter besser vorgenommen und kontrolliert werden könne als für private Anbieter. Der Fachbeirat unterstützt die Länder bei dieser Aufgabe. Wenn neue Glücksspiele oder Vertriebswege erlaubt oder bestehende Vertriebswege für Glücksspiele erheblich ausgeweitet werden sollen, müssen die Erlaubnisbehörden der Länder zuvor den Fachbeirat beteiligen. Dieser untersucht und bewertet die Auswirkungen des neuen Angebots, des neuen Vertriebsweges oder des erheblich ausgeweiteten Vertriebsweges auf die Bevölkerung (§ 9 Absatz 5 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 GlüStV).

Welche Gefahren drohen?
1. Die gesamte Rechtfertigung des Monopols gerät in eine Schieflage, da der Staat einen Anreiz zum suchtgefährdenden Glücksspiel setzt, statt die Glücksspielsucht zu bekämpfen.
2. Indem der Fachbeirat – das Gremium, das zur Bekämpfung der Glücksspielsucht zentral ist – umgangen wird, werden die institutionelle Struktur und der substanzielle Gehalt des Glücksspielstaatsvertrages unterminiert.
3. Da der Europäische Gerichtshof in weniger als zwei Monaten über die Ernsthaftigkeit des deutschen Regulierungsziels – die Bekämpfung der Glücksspielsucht – urteilen wird, gefährdet das Vorgehen Hessens die gesamte deutsche Regulierung.
4. Einzelne suchtgefährdete Spieler werden in Bedrängnis gebracht.
5. Da das E-Postbriefverfahren Mitte Juli anlaufen soll, ist auch Eile geboten. Der Fachbeirat hat deshalb auch Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, um eine schnelle vorläufige gerichtliche Entscheidung herbeizuführen.

Warum umgeht Hessen den Fachbeirat und das Internetverbot?
Im Internet bieten nach wie vor illegale Anbieter Glücksspiele an; es fällt schwer, diese Anbieter zurückzudrängen, da es sich beim Internet um ein schwer kontrollierbares Medium handelt. Um Umsatzrückgänge auszugleichen, sind auch legale staatliche Anbieter versucht, das Internet als Medium zu benutzen, obwohl dies vom Glücksspielstaatsvertrag verboten ist. Der Fachbeirat ist das Gremium, das diesem Anreiz suchtfachliche Bedenken entgegensetzt.

Die sieben Mitglieder des Fachbeirates
Prof. Dr. Jobst Böning (Vorsitzender); Prof. Dr. Michael Adams; Ilona Füchtenschnieder; Dr. Raphael Gassmann; Prof. Dr. Ulrich Haltern; Prof. Dr. Karl Mann; Dr. Jörg Petry

Quelle: Pressemitteilung des Fachbeirates Glücksspielsucht vom 14. Juli 2010

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