Mittwoch, 21. Oktober 2020

Deutsche Professoren monieren zahlreiche Bestimmungen – Kritik an exzessiver Werbung der Casinos Austria – Beschränkung auf eine Online-Lizenz geht nicht – Private Anbieter erfreut

Die österreichischen Glücksspielregeln sind inkohärent und unionsrechtswidrig, sagt ein Gutachten der Universität Osnabrück im Auftrag der privaten Glücksspiel- und Sportwettenanbieter (OVWG). Die Autoren, zwei Universitätsprofessoren, führen nicht nur eines, sondern gleich mehrere Beispiele an: es gehe etwa nicht, dass Poker nur in den teilstaatlichen Casinos Austria angeboten werden darf und dass die drei zusätzlichen Spielbanklizenzen nicht erneut ausgeschrieben wurden.

Die Ausgestaltung der Glücksspiel- und Wettregulierung sei „mit dem unionsrechtlichen Kohärenzgebot unvereinbar und daher in weiten Teilen europarechtswidrig und unanwendbar“, heißt es in dem rechtswissenschaftlichen Gutachten vom 7. September 2020, das der APA vorliegt. Mehrere Regelungen dürfen nach Meinung der deutschen Juristen gar nicht vollzogen werden, bis der österreichische Gesetzgeber eine EU-rechtskonforme Neuregelung geschaffen hat.

Besonders problematisch finden die Gutachter das Werbeverhalten des Casinos-Austria-Konzerns (inklusive Lotterien), dieses habe vorerst zu unterbleiben.

Dass die heimischen Höchstgerichte (Verfassungsgerichtshof/VfGH, Verwaltungsgerichtshof/VwGH und Oberster Gerichtshof/OGH) seit dem Jahr 2016 die Kohärenz und Unionsrechtskonformität bejaht haben, bleibt in dem Gutachten nicht unerwähnt. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum jedoch werde das österreichische Glücksspielrecht „nahezu einhellig für inkohärent und europarechtswidrig gehalten“.

Bedenklich ist aus Sicht der Autoren etwa, dass Sportwetten hierzulande nicht als Glücksspiel gelten und landesrechtlich weitgehend liberalisiert sind. Ganz im Gegensatz zum Automatenspiel. Der Gesetzgeber habe dies nicht hinreichend begründet, allein deshalb verletze die Differenzierung zwischen Glücks- und Sportwettspiel das Kohärenzgebot der Union.

Inkohärent sei außerdem, dass Poker nunmehr ausschließlich in den 12 von den Casinos Austria betriebenen Spielbanken angeboten werden darf. „Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der VfGH Poker explizit als ein ‚gemischtes Spiel‘ einordnet und damit auf eine Stufe mit Sportwetten stellt“, so die Professoren Tristan Barczak von der Universität Passau und Bernd J. Hartmann von der Universität Osnabrück.

Die Hereinnahme von Poker in das Glücksspielgesetz (GSpG) hat „Pokerkönig“ Peter Zanoni die wirtschaftliche Existenz gekostet. Da seine Lizenz Ende 2019 auslief, hat er seine „Concord Card Casinos“ (CCC) heuer schließen und Insolvenz anmelden müssen. Zanoni denkt aber über einen Neustart nach.

Auch der Umstand, dass die mit der Glücksspielgesetznovelle 2010 eingeführten drei zusätzlichen Casinolizenzen nach der Aufhebung der Konzessionsbescheide 2016 nicht erneut ausgeschrieben wurden, verstößt dem Gutachten zufolge gegen das Kohärenzgebot. Das Unterlassen der neuerlichen Ausschreibung zementiere den – unionsrechtswidrigen – Rechtszustand, der vor der sogenannten Engelmann-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2010 bestand. Der EuGH kippte damals das Glücksspielmonopol, indem er entschied, dass die bis dahin stets freihändig an den Casinos-Austria-Konzern vergebenen Glücksspiellizenzen EU-weit ausgeschrieben werden müssen. Zum Zug gekommen sind seither wieder nur die zu einem Teil dem Staat gehörenden Casinos Austria.

Die Gutachter vermissen zudem eine kohärente Rechtfertigung dafür, warum es nur eine Online-Glücksspiellizenz (diese hängt an der Lotterielizenz des Casinos-Austria-Konzerns), aber eine nicht begrenzte Zahl an Sportwettlizenzen gibt. „Der Unterschied lässt sich insbesondere mit Argumenten des Spielerschutzes nicht begründen.“ Es fehlten vom Staat beauftragte empirische Studien zur Suchtgefährdung der jeweiligen Spielarten.

Was auch nicht gehe: Dass der Casinos-Austria-Konzern Video Lottery Terminals (VLT) in jenen Bundesländern aufstellen darf, die Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten verboten haben, ja diese VLT-Automaten („WINWIN“-Spielhallen, Anm.) sogar überwiegend in „Verbotsländern“ stehen. „Bei Glücksspielautomaten und VLTs handelt es sich mit Blick auf Spielangebot, Spielverlauf, Spielerschutz, Abgaben und technische Abwicklung um nahezu identische Spielformen. VLTs laden damit zu einem Ausweichen der Spieler und einer Umgehung des Automatenverbots geradezu ein“, konstatieren die Rechtswissenschafter.

Die unterschiedliche Regelung von Glücksspielautomaten in den – zu einem großen Teil vom Novomatic-Konzern betriebenen – Automatensalons und in Einzelaufstellung ist für die Juristen ebenfalls inkohärent. „Die mit Blick auf den Spielerschutz restriktiveren Vorgaben für Einzelaufstellungen von Automaten werden durch weniger rigide Regelungen im Bereich von Automatensalons unterlaufen“, meinen die Gutachtenersteller. Auch zu den Glücksspielautomaten, die in den Vollcasinos stehen, äußern sie sich: bei diesen ergebe sich die Inkohärenz daraus, dass sie bisher keinerlei Einsatz- und Gewinngrenzen unterliegen. Kleine Automatenbetreiber regt genau das seit Jahren auf.

„Erhebliche Bedenken“ haben die Professoren wegen der Werbung von Casinos und Lotterien. Das Glücksspielgesetz gewährleiste nicht, dass sich die Werbung auf das von EU-Seite geforderte „gewisse“, das heißt „eng begrenzte Maß mit dem Ziel beschränkt, potentielle Spieler zu legalen Spielangeboten zu leiten.“ Der Gesetzgeber müsse kohärente Vorgaben für das stationäre wie das Online-Gücksspiel erlassen, die einerseits restriktiv genug sind, um Spielsüchtige zu schützen und andererseits ein Glücksspielangebot zulassen, das „attraktiv genug ist, um den Durchschnittsspieler anzuziehen“. Darüber hinaus fehle es an angemessenen Rechtsschutzmöglichkeiten für Casinos-Konkurrenten und Konsumentenschützer, die Vorgaben für die Werbung des Monopolisten (Casinos Austria) vor einer unabhängigen gerichtlichen Instanz durchzusetzen. Wenn ein Staat schon die EU-Dienstleistungsfreiheit beschränkt und ein Glücksspielmonopol einführt, dürfe sich die Werbung des Monopolisten nicht „am eigenen Umsatzinteresse“ ausrichten.

Rivalen der Casinos Austria monieren die Rolle des Staates beim Thema Glücksspiel schon seit langer Zeit: die Republik muss einerseits für Spielerschutz sorgen und ist für die Vergabe von Lizenzen zuständig, anderseits ist sie an den Casinos beteiligt und profitiert daher finanziell (via Steuern und Dividende), wenn bei diesen viel gezockt wird.

Nach Meinung der deutschen Professoren ist Österreich verpflichtet, für Rechtssicherheit zu sorgen und eine EU-rechtskonforme Rechtslage herzustellen. Andernfalls drohten der Republik staatshaftungsrechtliche Ansprüche wegen der Verletzung von Unionsrecht.

Insbesondere unzulässig ist dem Gutachten zufolge die Beschränkung auf nur eine Online-Glücksspiellizenz. Das ist Wasser auf die Mühlen der privaten Glücksspiel- und Wettanbieter, die momentan in einer rechtliche Grauzone agieren. Obwohl das Glücksspiel im Internet in Österreich nur auf der Seite win2day (gehört zu den Lotterien) erlaubt ist, gibt es zahlreiche andere Anbieter, etwa bet-at-home. Sie alle berufen sich auf die Dienstleistungsfreiheit der EU. Mit einer Lizenz aus einem EU-Staat – zumeist Malta, dort ist es steuerlich günstig – dürfe man in der ganzen Union anbieten.

„Das Gutachten belegt klar und deutlich die Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols und bestätigt damit eine Tatsache, auf die wir seit vielen Jahren hinweisen: Online-Anbieter, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU lizenziert sind, dürfen auch in Österreich anbieten“, so Claus Retschitzegger, Präsident der OVWG und Sprecher von bet-at-home, zur APA. „Wir begrüßen das ausdrücklich, denn die Anbieter bringen viel Wertschöpfung und unzählige IT-Arbeitsplätze nach Österreich.“

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