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Freitag, 31. März 2023
VG Osnabrück: Verwaltungsgericht gibt Eilanträgen mehrerer Spielhallen statt
Osnabrück - Mit Beschlüssen von gestern und heute hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Osnabrück mehreren Eilanträgen von verschiedenen Spielhallenbetreibern stattgegeben, die sich gegen eine Verschlechterung ihrer Rechte durch das Niedersächsische Spielhallengesetz (NSpielhG) ab dem 1. April 2023 gewehrt hatten. Antragsgegner waren jeweils der Landkreis Osnabrück, der Landkreis Emsland, der Landkreis Grafschaft Bentheim, die Stadt Osnabrück sowie die Stadt Meppen.
Am 1. Februar 2022 ist das Niedersächsische Spielhallengesetz in Kraft getreten. Es sieht nach einer Übergangsregelung ab 1. April 2023 grundsätzlich eine neue Zertifizierungspflicht für Spielhallenbetreiber vor, die in Zukunft u.a. nachweisen müssen, dass keine Personen mehr unter 21 Jahren Zutritt zu den Spielhallen erhalten und zudem für jede Verbundspielhalle eine eigene Aufsichtsperson pro Spielhalle zur Verfügung steht (§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 4, 5 NSpielhG).
Das Nds. Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung (MW) hat in einem Erlass vom 2. Februar 2023 die Übergangsfrist für die Zertifizierung von Spielhallen in Niedersachsen bis zum 30. September 2023 verlängert (vgl. § 18 Abs. 2 NSpielhG). Des Weiteren wird in dem Erlass ausgeführt, dass alle Spielhallen verpflichtet seien, die Vorgaben des § 5 NSpielhG bereits ab dem 1. April 2023 zu erfüllen.
Hiergegen haben sich mehrere Spielhallenbetreiber an das Verwaltungsgericht gewandt. Sie sind der Ansicht, dass diese Regelungen nicht für sog. „Alt-Erlaubnisse“, d.h. die, die vor 1. Februar 2022 erteilt worden sind, gelten. Die Betreiber, die bereits nach diesem Datum eine glücksspielrechtliche Erlaubnis erhalten haben, meinen, dass sie aufgrund der Verlängerung der Übergangsfrist für die Zertifizierung bis zum 30. September 2023 nicht bereits ab dem 1. April 2023 an die beiden o.g. Neuregelungen (Zutritt ab 21 Jahren und eine Aufsichtsperson je Spielhalle) gebunden seien. Eine unmittelbare Pflicht bestehe nicht.
Dem Vorbringen folgte die Kammer. Aus dem Gesetz ergebe sich weder aus dem Wortlaut, der Begründung noch aus dem Sinn und Zweck eine Anwendung der Neuregelungen auf alle Spielhallen bereits ab dem 1. April 2023. Vielmehr habe der Niedersächsische Gesetzgeber die Betreiber mit sog. „Alt-Erlaubnissen“ erst nach Ablauf ihrer Gültigkeit in den Kreis der Verpflichteten mitaufgenommen. Die Betreiber mit Erlaubnissen ab dem 1. Februar 2022 seien - nach Verlängerung der Zertifizierungsvorlagefrist bis zum 30. September 2023 - auch erst nach Ablauf dieser Frist mittelbar über die Zertifizierung verpflichtet, die Voraussetzungen des § 5 NSpielhG zu erfüllen.
Die Beschlüsse (u.a. 1 B 12/23) sind noch nicht rechtskräftig. Sie können zwei Wochen nach Zustellung mit der Beschwerde vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg angefochten werden.
OLG Frankfurt am Main: Aus Unionsgründen konzessionsloses Wettbüro haftet nicht für verlorene Sportwetteinsätze
Das OLG hat mit heute veröffentlichter Entscheidung bestätigt, dass ein Wettbüro nicht zur Rückzahlung verlorener Wetteinsätze verpflichtet ist.
Wurde einem Wettbüro im Hinblick auf unionsrechtliche Bedenken gegen die Regelungen über die Erteilung von Konzessionen zur Veranstaltung von Sportwetten keine Konzession erteilt, obwohl es sich darum bemüht hat, kann das konzessionslos handelnde Wettbüro nicht sanktioniert werden. Schließt eine Privatperson mit einem solchen Wettbüro Sportwetten ab, sind diese nicht wegen Gesetzesverstoß nichtig. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit heute veröffentlichter Entscheidung bestätigt, dass das Wettbüro in diesem Fall nicht zur Rückzahlung verlorener Wetteinsätze verpflichtet ist.
Der Kläger nimmt das beklagte Wettbüro auf Rückzahlung verlorener Sportwetten in Anspruch. Er hatte von 2018 bis 2020 in Wettbüros der Beklagten und über deren deutschsprachige Webseiten Sportwetten abgeschlossen. Die Onlinewetten tätigte er von zu Hause über sein Smartphone; seinen Einsätzen im Internet in Höhe von gut 40.000 € stehen Auszahlungen von knapp 5.000 € gegenüber. Die Beklagte verfügte in der streitgegenständlichen Zeit nicht über eine Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten. Sie hatte zwar eine Konzession beantragt. Das VG Wiesbaden hatte die zuständige Behörde auch zur Erteilung verpflichtet. Das Verfahren war aber wegen unionsrechtlicher Bedenken gestoppt worden. Zwischenzeitlich verfügt die Beklagte über eine Konzession.
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Das OLG hielt die hiergegen eingelegte Berufung ebenfalls für erfolglos. Es bestätigte, dass der zwischen den Parteien geschlossene Wettvertrag nicht wegen eines Gesetzesverstoßes des konzessionslos handelnden Wettbüros nichtig sei. Ein Mitgliedstaat dürfe keine strafrechtlichen Sanktionen für ein Verhalten verhängen, mit dem der Betroffene verwaltungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge, die gegen Unionsrecht verstießen. So sei es hier. Die damals geltenden Regelungen nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2012 zur Konzessionserteilung für die Veranstaltung von Sportwetten seien intransparent gewesen und hätten deshalb gegen Unionsrecht verstoßen.
Im Hinblick auf die Unionswidrigkeit der damals geltenden Bestimmungen zur Konzessionserlangung dürfte die Beklagte weder strafrechtlich noch verwaltungsrechtlich sanktioniert werden. Die fehlende Konzession wirke sich dann auch nicht auf die Wirksamkeit der Wettverträge mit dem Kläger aus. Dies gebiete der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung. Sei eine öffentlich-rechtliche Verbotsnorm (hier das Verbot der Veranstaltung von Glücksspielen ohne Konzession) im Ausnahmefall wegen Verstoßes gegen übergeordnetes Unionsrecht nicht wirksam, bleibe auch der privatrechtliche Vertrag (hier zwischen dem Wettbüro und dem Kläger) wirksam.
Dabei dürften sich allerdings nur solche Anbieter auf die Unionswidrigkeit berufen, die - wie hier das beklagte Wettbüro - alles unternommen hätten, um eine Sportwettenkonzession zu erlangen. Insoweit habe das Landgericht entgegen der Auffassung des Klägers gerade nicht der Beklagten „indirekt jedes Glücksspielangebot ohne Grenzen zugesprochen“. Die Entscheidung übertrage allein die Folgen der der gerichtlich festgestellten Rechtswidrigkeit des damaligen Konzessionsverfahrens konsequent auf das Privatrecht.
Der Kläger hat auf diesen Hinweis hin seine Berufung zurückgenommen. Damit ist das klageabweisende Urteil des Landgerichts rechtskräftig.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Hinweisbeschluss vom 19.1.2023, 8 U 102/22
Die Entscheidung ist in Kürze unter www.rv.hessenrecht.hessen.de abrufbar.
Das OLG Frankfurt am Main, 23. Zivilsenat hatte sich im Rahmen eines Hinweisbeschlusses vom 8.4.2022, Az 23 U 55/21 vor einem Jahr mit der Frage der Rückerstattung verlorener Wetteinsätze bei Teilnahme an einem Online-Casino befasst. Dort waren Ansprüche des Spielers gegen die auf Malta ansässige Casinogesellschaft zuerkannt worden.
Der Senat grenzt sich von dieser Entscheidung ab und verweist darauf, dass nach dem damals geltenden Glücksspielstaatsvertrag 2012 Online-Sportwetten grundsätzlich genehmigungsfähig gewesen wäre, nicht aber Online-Casino-Angebote.
Donnerstag, 9. März 2023
Fehlentwicklung deutlich: DSWV fordert Umdenken bei Regulierung und Schwarzmarkt-Bekämpfung
- Sportwettenmarkt trotz WM-Jahr 2022 um 13 % zurückgegangen
- Schwarzmarkt-Boom: Weiterhin hunderte illegale Online-Glücksspiel-Websites
- Stärkung des legalen Marktes dringend erforderlich
Obwohl Millionen von Menschen in Deutschland großes Interesse an der Sportwette zeigen, wird es für die legalen Anbieter aufgrund einer zu strengen Regulierung und einem ausufernden Schwarzmarkt zunehmend schwerer, die hohe Nachfrage mit attraktiven Produkten zu bedienen. Daher kam es 2022 auch zu einem merklichen Marktrückgang. Die jüngsten Zahlen und Daten geben Anlass zu großer Sorge, denn die vor einem Jahr befürchtete Fehlentwicklung hat sich bestätigt und verstärkt sich offensichtlich.
Nachdem sich der deutsche Sportwettenmarkt 2021 mit Spieleinsätzen in Höhe von 9,4 Mrd. Euro wieder auf Vor-Corona-Niveau stabilisieren konnte, kam es 2022 zu einem massiven Rückgang des erlaubten Marktes. Trotz WM-Jahr sind die Spieleinsätze im letzten Jahr auf rund 8,2 Mrd. Euro gesunken. Entsprechend niedriger als im Vorjahr fielen mit 433 Mio. Euro auch die staatlichen Einnahmen aus der Sportwettensteuer aus.
Gründe für den Marktrückgang
Die u.a. aufgrund von Deutschlands frühem Ausscheiden und den damit verbundenen bis zu 80 % weniger Wetteinsätzen eher enttäuschende Fußball-WM trägt jedoch nur zu einem geringen Teil zu dieser Entwicklung bei. Der Hauptgrund für den Marktrückgang hat mit der äußerst restriktiven deutschen Regulierung und dem auswuchernden Schwarzmarkt zu tun:
Die legalen Anbieter dürfen sich nur in einem sehr engen regulatorischen Rahmen bewegen und können daher keine ausreichend attraktiven Produkte anbieten. Im europäischen Vergleich ist der legale Glücksspielmarkt Deutschlands dabei einer der restriktivsten. Gleichzeitig dehnt sich der Schwarzmarkt weiterhin ungehindert aus. Die Kunden spielen nicht weniger als zuvor, sondern woanders.
DSWV-Präsident Mathias Dahms führt aus:
Und die Kunden werden fündig. Im Februar 2023 hat der DSWV seine Marktstudie aus dem Vorjahr wiederholt und dabei eine Zunahme der aktiven illegalen Glücksspiel- und Sportwetten-Angeboten um mindestens 65 % festgestellt. Von insgesamt rund 1.500 geprüften Websites ohne deutsche Lizenz können Spieler aus Deutschland 840 illegale Websites aufrufen und auf 723 Seiten ein Spielkonto eröffnen. Dem stehen nur 46 erlaubte Anbieter - davon 31 Sportwettenanbieter - gegenüber, die aufgrund der überbordenden Regulierung nur wenig Handlungsspielraum haben. Auch im Bereich der Wettbüros gibt es immer noch zu viele unerlaubte Wettmöglichkeiten. Teilweise sind Anbieter, deren Erlaubnisanträge abgelehnt wurden, noch im Web und vor Ort mit Wettshops tätig. Hier müssen auch die lokalen Behörden die Kontrollen verstärken und durchgreifen.
Die bisherigen Vollzugsmaßnahmen der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder (GGL) stoßen bei der Schwarzmarkt-Bekämpfung sichtlich an ihre Grenzen. Dass nun auch der Vorstoß der Behörde beim IP-Blocking, also die Blockade von illegalen Webseiten bei den Internet-Providern, gleich durch drei Gerichtsurteile gebremst wurde, sollte Anlass geben, sich auf alternative Ansätze im Kampf gegen illegale Angebote zu fokussieren. Hierzu zählt insbesondere die konsequente Stärkung des legalen Marktes: Um wettbewerbsfähig zu sein, benötigen die erlaubten Sportwettenanbieter ein möglichst attraktives und breites Angebot. Die äußerst strikten Angebots- und Werbebeschränkungen müssen dringend auf den Prüfstand gestellt werden.
Die wichtige Rolle der Werbung
Beim Blick ins Ausland zeigt sich vor allem eines: Neben einem attraktiven legalen Markt ist Werbung für erlaubte Sportwetten einer der wichtigsten Faktoren für eine erfolgreiche Regulierung. Zu scharfe Restriktionen und Verbote hingegen schaden dem Sport und dienen nur dem Schwarzmarkt, was sich an mehreren Beispielen zeigt:
DSWV-Hauptgeschäftsführer Luka Andric führt dazu aus:
„Werbung dient dazu, all diejenigen, die sich ohnehin bereits für Sportwetten interessieren, in den staatlich beaufsichtigten und damit sicheren Markt zu lenken. Um in Deutschland eine Sportwettenerlaubnis zu bekommen, müssen Anbieter zahlreiche Spielerschutz-Kriterien erfüllen. Den illegalen Anbietern aus Drittstaaten sind die deutschen Regelungen völlig egal. Viele werben sogar im Internet gezielt damit, auch gesperrte Spieler spielen zu lassen. Diese Art der Werbung muss dringend unterbunden, die Werbemöglichkeiten der legalen Anbieter gestärkt werden.”
Entgegen den Behauptungen einzelner Akteure gibt es keine Korrelation zwischen dem Volumen von Glücksspielwerbung und Spielsucht. Dies zeigen insbesondere Länder wie Großbritannien und Dänemark, in denen anders als in Deutschland regelmäßig verlässliche Daten über den Glücksspielmarkt erhoben werden.
Mathias Dahms betont:
„Sportwetten sind ein überaus beliebtes Unterhaltungsprodukt und längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Mit Werbe- und Sponsoringausgaben von rund 200 Mio. Euro im Jahr 2022 trägt die Sportwettenwirtschaft erheblich zur Förderung des Profisports in Deutschland bei. Gemeinsam mit der GGL und den Bundesländern wollen wir die deutsche Sportwettenregulierung mit besonderem Augenmerk auf Sicherheit, Verantwortung und Schwarzmarkteindämmung weiterentwickeln.”
Über den DSWV
Der 2014 gegründete Deutsche Sportwettenverband (DSWV) ist der Zusammenschluss der führenden deutschen und europäischen Sportwettenanbieter.
Alle DSWV-Mitglieder verfügen über bundesweite Erlaubnisse zur Veranstaltung von Sportwetten gemäß Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) und werden von der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder (GGL) überwacht. Sie erfüllen alle gesetzlichen Anforderungen an Spieler- und Jugendschutz sowie an Sicherheit und Zuverlässigkeit.
Die Sportwettenanbieter im DSWV tragen in Deutschland durch die Zahlung von Sportwettsteuern in erheblichem Maße zum Allgemeinwohl bei und fördern den deutschen Profisport als Werbetreibende und Sponsoren.
Der DSWV und seine Mitglieder setzen sich für eine sachgerechte und moderne Fortentwicklung der Sportwettenregulierung in Deutschland ein. Dazu zählen klare Regeln für Anbieter und Verbraucher. Ebenso wichtig sind uns effektive Maßnahmen zum Spielerschutz, zur Wahrung der Integrität des sportlichen Wettbewerbs und zur Bekämpfung illegalen Glücksspiels.
Donnerstag, 2. März 2023
Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerden gegen verwaltungsgerichtliche Eilentscheidungen über die Einstellung von Spielhallenbetrieben
Pressemitteilung vom 2. März 2023
1 VB 98/19 und 1 VB 156/21
Der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg hat mit heute verkündetem Urteil über zwei Verfassungsbeschwerden von Spielhallenbetreiberinnen gegen verwaltungsgerichtliche Eilentscheidungen entschieden.
Die angegriffenen Beschwerdeentscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg verletzen die Beschwerdeführerinnen in ihrem Recht auf einen chancengleichen Zugang zu einer begrenzt zugänglichen beruflichen Tätigkeit aus Art. 2 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.
Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sich die Beschwerdeführerinnen gegen die versagte Gewährung von Eilrechtsschutz. Im Verfahren 1 VB 98/19 wird im Wesentlichen beanstandet, dass dem Betrieb die Unterschreitung des Mindestabstands von 500 m (§ 42 Abs. 1 LGlüG) zu solchen Spielhallen entgegengehalten wurde, denen zuvor befristete Härtefallerlaubnisse erteilt worden waren, ohne dass die Behörden ein verfassungsrechtlich gebotenes Auswahlverfahren zwischen räumlich konkurrierenden Spielhallen durchgeführt hätten. Beide Verfassungsbeschwerden richten sich dagegen, dass den Betrieben im Wege der sogenannten Zäsur-Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg die Unterschreitung des Mindestabstands zu Kinder- und Jugendeinrichtungen (§ 42 Abs. 3 LGlüG) vorgehalten wird, obwohl sie nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen der insoweit privilegierenden Übergangsregelung für Altspielhallen unterfallen (vgl. § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG).
Wesentliche Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs
Soweit die Verfassungsbeschwerden zulässig sind, erweisen sie sich als begründet. Die Beschwerdeentscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg verletzen die Beschwerdeführerinnen in ihrem Recht auf einen chancengleichen Zugang zu einer begrenzt zugänglichen beruflichen Tätigkeit aus Art. 2 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.
1. Für Konkurrenzsituationen zwischen Spielhallenbetreibern ist das aus Art. 2 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG folgende Recht auf einen chancengleichen Zugang zu einer beruflichen Tätigkeit maßgeblich. Wenn mehrere Spielhallenbetreiber um die Erteilung einer Spielhallenerlaubnis wegen des Mindestabstands von 500 m (§ 42 Abs. 1 LGlüG) räumlich konkurrieren, ist eine den grundrechtlich geschützten Interessen gerecht werdende Auswahlentscheidung erforderlich.
2. Im Verfahren 1 VB 98/19 liegt der Verfassungsverstoß in der gerichtlichen Billigung des behördlichen Vorgehens, vor Durchführung des Auswahlverfahrens bezogen auf jede einzelne Spielhalle das Vorliegen eines Härtefalls nach § 51 Abs. 5 Satz 1 LGlüG zu prüfen und Spielhallen, bei denen ein Härtefall angenommen worden ist, sodann ohne ein weiteres Auswahlverfahren den Vorzug vor solchen ohne eigene Härtefallerlaubnis einzuräumen. Die Erteilung einer Härtefallerlaubnis zugunsten der mit der Beschwerdeführerin im Wettbewerb stehenden Betreiberin entbindet nicht von der verfassungsrechtlich gebotenen Durchführung eines Auswahlverfahrens zwischen Konkurrenzspielhallen. Die auf Vertrauensschutzaspekten beruhende Entscheidung über Härtefallanträge folgt anderen Grundsätzen als die Auswahlentscheidung zwischen Spielhallen, die zueinander den Mindestabstand nach § 42 Abs. 1 LGlüG nicht einhalten. Die Bevorzugung von Härtefallerlaubnissen führt zudem zu einer nicht mit der Neuregulierung des Glücksspielrechts zu vereinbarenden Privilegierung von Bestandsschutzinteressen.
3. Die Beschwerdeentscheidungen verletzen auch insoweit das Recht beider Beschwerdeführerinnen auf einen chancengleichen Zugang zu einer begrenzt zugänglichen beruflichen Tätigkeit, als sie ihnen ohne hinreichenden Grund den in § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG eingeräumten Vertrauensschutz gegenüber der Anwendung des Abstandsgebots zu Kinder- und Jugendeinrichtungen (§ 42 Abs. 3 LGlüG) versagen und deren Spielhallen damit von vornherein von der Teilnahme an dem im Hinblick auf § 42 Abs. 1 LGlüG durchzuführenden Auswahlverfahren ausschließen.
§ 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG normiert aus Gründen des Vertrauensschutzes eine Privilegierung von Altspielhallen gegenüber Neuvorhaben. Neuvorhaben sind uneingeschränkt an die seit Inkrafttreten des Landesglücksspielgesetzes geltenden Vorgabe gebunden, dass Spielhallen einen Mindestabstand zu Einrichtung zum Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen einzuhalten haben. Bei der Neuordnung des Glückspielrechts hat sich der Landesgesetzgeber mit der Einführung von § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG entschieden, die bisherige Rechtsposition von Altspielhallen grundsätzlich zu konservieren – und zwar ohne Einführung einer Fristenregelung, wodurch er eine zeitlich unbegrenzte Privilegierung von Alterlaubnisinhabern hinsichtlich § 42 Abs. 3 LGlüG durchaus in Kauf nimmt.
Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, der durch § 51 Abs. 5 Satz 5 LGlüG vermittelte Schutz in das Vertrauen in die frühere Rechtslage ohne Mindestabstandsgebot bestehe nur im Falle einer „nahtlosen Fortschreibung“ der Erlaubnis, ist verfassungsrechtlich vertretbar. Wird erst nach Ablauf einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis bzw. nach Ablauf der Antragsfrist deren Neuerteilung beantragt, können sich die jeweiligen Betreiber im Zeitpunkt des Antrags nicht mehr auf einen aktuellen und in die Zukunft wirkenden Vertrauenstatbestand in Gestalt einer wirksamen Genehmigung berufen.
Verfassungsrechtlich unhaltbar ist jedoch die Bedeutung, die der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in diesem Kontext behördlichen Duldungen und deren Fehlen zukommen lässt. Er nimmt an, das schutzwürdige Vertrauen auf die Fortgeltung der bisherigen Rechtslage entfalle auch dann, wenn nach Versagung oder Ablauf einer glücksspielrechtlichen (Härtefall-)Erlaubnis oder Duldung keine ausdrückliche (weitere) behördliche Duldung des Spielhallenbetriebs erteilt werde; sei dies der Fall, müssten Betroffene für deren Erlangung rechtzeitig um gerichtlichen Eilrechtsschutz ersuchen. Unterbleibe dies, entfalle das Vertrauen in die Weitergeltung der alten Rechtslage, weil dann keine „nahtlose Fortschreibung“ der innegehabten Erlaubnis mehr möglich sei.
Damit schreibt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg behördlichen Duldungen eine Bedeutung zu, die den vom Gesetzgeber bewusst geschaffenen Regelungsgehalt der Übergangsregelung verkennt und in deren Wortlaut keinerlei Bezug findet. Er schafft dadurch einen Differenzierungsgrund für das Bestehen der Privilegierung, der jeder einfach-rechtlichen Anknüpfung entbehrt. Beantragen Betreiber rechtzeitig eine Erlaubnis, haben sie das ihnen Mögliche getan, um eine Fortschreibung zu erreichen. Ob sie auch um Eilrechtsschutz ersuchen, ist lediglich von Bedeutung für die Frage des tatsächlichen Weiterbetriebs der Spielhalle und liegt damit in deren unternehmerischen Ermessen.
Mit seiner Zäsur-Rechtsprechung übersteigert der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auch die Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes unter Aushöhlung des Hauptsacheverfahrens. Denn in letzter Konsequenz kommt die Aufgabe der endgültigen Klärung der Rechtslage nicht mehr dem Hauptsacheverfahren zu; vielmehr wird diese auf das Eilrechtschutzverfahren vorverlagert, dessen Funktion sich jedoch grundsätzlich in einer vorläufigen Sicherung von Rechtspositionen erschöpft.
Anhang:
Auszug aus dem Landesglücksspielgesetz (LGlüG) vom 20. November 2012
§ 41 LGlüG
(1) Der Betrieb einer Spielhalle bedarf der Erlaubnis nach diesem Gesetz, die die Erlaubnis nach § 33i der Gewerbeordnung ersetzt und die Erlaubnis nach Artikel 1 § 24 Absatz 1 Erster GlüÄndStV mit umfasst…
(2) Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn …
1. …
2. die Voraussetzungen nach § 42 nicht erfüllt sind,
…
§ 42 LGlüG
(1) Spielhallen müssen einen Abstand von mindestens 500 m Luftlinie, gemessen von Eingangstür zu Eingangstür, untereinander haben.
(2) …
(3) Zu einer bestehenden Einrichtung zum Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen ist ein Mindestabstand von 500 m Luftlinie, gemessen von Eingangstür zu Eingangstür, einzuhalten.
§ 51 LGlüG
…
(3) § 33i der Gewerbeordnung ist für die Erteilung von Erlaubnissen für Unternehmen nach § 40 Satz 1 letztmals bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes anzuwenden. …
(4) Für den Betrieb einer bestehenden Spielhalle, für die bis zum 18. November 2011 eine Erlaubnis nach § 33i der Gewerbeordnung beantragt und in der Folge erteilt wurde, ist nach dem 30. Juni 2017 zusätzlich eine Erlaubnis nach § 41 erforderlich. …
(5) … § 42 Abs. 3 gilt nur für Spielhallen, für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes eine Erlaubnis nach § 33i der Gewerbeordnung noch nicht erteilt worden ist.
Der Verfassungsgerichtshof
Der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg entscheidet im Rahmen gesetzlich geregelter Verfahren über die Auslegung der Landesverfassung. Die Entscheidungen ergehen regelmäßig durch neun Richterinnen und Richter. Drei Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs sind Berufsrichter. Drei Mitglieder müssen die Befähigung zum Richteramt haben. Bei drei weiteren Mitgliedern liegt diese Voraussetzung nicht vor. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet unter dem Vorsitz seines Präsidenten. Die Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichtshofs sind ehrenamtlich tätig.
Dienstag, 14. Februar 2023
BGH zur Haftung für Geschäftsbetrieb eines Affiliates
b) Entwickeln Affiliates eigene Produkte oder Dienstleistungen, deren Inhalt sie nach eigenem Ermessen gestalten und zum Verdienst von Provisionen bei verschiedenen Anbietern einsetzen, ist die Werbung über den Affiliate-Link ein Teil des Produkts, das inhaltlich von den Affiliates in eigener Verantwortung und im eigenen Interesse gestaltet wird. Die Links werden von ihnen nur gesetzt, um damit zu ihren Gunsten Provisionen zu generieren. Ein solcher eigener Geschäftsbetrieb eines Affiliates stellt keine Erweiterung des Geschäftsbetriebs des Betriebsinhabers dar.
Freitag, 3. Februar 2023
OVG Rheinland-Pfalz: Sperrungsanordnung für unerlaubte Glücksspielangebote im Internet gegenüber Zugangsvermittler rechtswidrig
Für die von der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder gegenüber einem Zugangsvermittler (Access-Provider) angeordnete Sperrung von Internetseiten eines ausländischen Glücksspielanbieters besteht keine Rechtsgrundlage. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz in einem Eilverfahren.
Die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder in Halle (Saale) ist bundesländerübergreifend verantwortlich für die Bekämpfung von illegalem Glücksspiel im Internet und der Werbung dafür. Mit Bescheid vom 13. Oktober 2022 ordnete die Behörde gegenüber der Antragstellerin – einer Anbieterin von Telekommunikationsdiensten mit Sitz in Rheinland-Pfalz – u.a. an, bestimmte Internetseiten (Domains) mit Glücksspielangeboten von zwei Lotterieunternehmen mit Sitz in der Republik Malta im Rahmen ihrer technischen Möglichkeiten als Zugangsvermittler zu sperren, so dass ein Zugriff über die von der Antragstellerin in Deutschland zur Verfügung gestellten Zugänge zum Internet nicht mehr möglich sei. Die Antragstellerin erhob dagegen Klage und suchte zugleich um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nach. Das Verwaltungsgericht Koblenz lehnte ihren Eilantrag ab. Auf die hiergegen eingelegten Beschwerden der Antragstellerin und der beigeladenen Glücksspielanbieter änderte das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ab und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die angefochtene Sperrungsanordnung an.
Die gegenüber der Antragstellerin getroffene Sperrungsanordnung sei offensichtlich rechtswidrig. Sie könne nicht auf die Ermächtigungsgrundlage in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des am 1. Juli 2021 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrages 2021 – GlüStV 2021 – gestützt werden. Nach dieser Bestimmung könne die Antragsgegnerin als Glücksspielaufsicht nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote Maßnahmen zur Sperrung dieser Angebote gegen im Sinne der §§ 8 bis 10 des Telemediengesetzes – TMG – verantwortliche Diensteanbieter, insbesondere Zugangsvermittler und Registrare, ergreifen, sofern sich Maßnahmen gegenüber einem Veranstalter oder Vermittler dieses Glücksspiels als nicht durchführbar oder nicht erfolgversprechend erwiesen. Diese Voraussetzungen seien aber nicht erfüllt. Bei der Antragstellerin handele es sich bereits nicht um einen im Sinne der §§ 8 bis 10 TMG verantwortlichen Diensteanbieter, so dass es keiner Entscheidung bedürfe, ob die weiteren Voraussetzungen der Regelung für ein Einschreiten gegen die Antragstellerin gegeben seien. Das Gericht teile nicht die Auffassung der Antragsgegnerin, dass sich die Verantwortlichkeit der Diensteanbieter nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 aus dieser Norm selbst bestimme, ohne dabei auf eine Verantwortlichkeit nach dem Telemediengesetz abzustellen. Der Wortlaut der Vorschrift lasse diese Auslegung nicht zu. Ein derartiges Normverständnis werde auch nicht durch die Entstehungsgeschichte oder den Sinn und Zweck der Regelung getragen. Die Antragstellerin sei nach Maßgabe des dargelegten Verständnisses des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 kein im Sinne der §§ 8 bis 10 TMG verantwortlicher Diensteanbieter. Nach der für die Antragstellerin als Zugangsvermittler maßgeblichen Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 1 TMG seien Diensteanbieter für fremde Informationen, zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermittelten, nicht verantwortlich, sofern sie die Übermittlung nicht veranlasst (Nr. 1), den Adressaten der übermittelten Information nicht ausgewählt (Nr. 2) und die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert hätten (Nr. 3). Die Antragstellerin erfülle diese Haftungsausschlussvoraussetzungen. Weder veranlasse sie die Übermittlung der Glückspielinhalte noch wähle sie diese oder den Adressaten aus. Die Haftungsprivilegierung finde zwar nach § 8 Abs. 1 Satz 3 TMG keine Anwendung, wenn der Diensteanbieter absichtlich mit einem Nutzer seines Dienstes zusammenarbeite, um rechtswidrige Handlungen zu begehen. Ein solcher Fall scheide hier jedoch offenkundig aus.
Die angegriffene Sperrungsanordnung könne auch nicht auf die Auffangermächtigung des § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021 gestützt werden, wonach die für alle Länder oder in dem jeweiligen Land zuständige Behörde die erforderlichen Anordnungen im Einzelfall erlassen könne. Einer Anwendung dieser allgemeinen Auffangermächtigung stehe insoweit die spezialgesetzliche Sonderregelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021 entgegen, die eine abschließende Regelung für das Ergreifen von Maßnahmen zur Sperrung unerlaubter Glücksspielangebote gegen Diensteanbieter enthalte.
Beschluss vom 31. Januar 2023, Aktenzeichen: 6 B 11175/22.OVG