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Donnerstag, 22. November 2007
Bundesgerichtshof bejaht bei einer Spielbank auch für Automatenspielsäle eine allgemeine Kontrollpflicht
Der III. Zivilsenat hat bereits in seinem Urteil vom 15. Dezember 2005 (III ZR 65/05 = BGHZ 165, 276) entschieden, dass eine wunschgemäß erteilte Spielsperre Ansprüche auf Ersatz von Spielverlusten begründen kann, wenn die Spielbank die Sperre nicht durch ausreichende Kontrollen durchsetzt. Damals war es ebenfalls um die Teilnahme am Automatenspiel gegangen. Die Besonderheit des Falles hatte darin bestanden, dass der betroffene Spieler die für die Spieleinsätze erforderlichen Geldbeträge jeweils aus den im Automatenspielsaal vorhandenen und von Mitarbeitern der Spielbank bedienten Telecash-Geräten entnommen hatte. Der Senat hatte entschieden, dass jedenfalls bei derartigen Telecash-Abhebungen für die zuständigen Mitarbeiter der Spielbank hinreichender Anlass bestanden habe zu kontrollieren, ob der Spieler zu den gesperrten Spielern zählte.
Im vorliegenden Rechtsstreit waren jedoch anders als bei dem zuvor behandelten Fall die verspielten Beträge zumindest weitaus überwiegend - nicht von im Spielsaal befindlichen Telecash-Geräten, sondern per EC-Karte von außerhalb des Casinos aufgestellten Bank-Geldautomaten abgehoben worden. Es war daher nunmehr die in der Entscheidung vom 15. Dezember 2005 noch offen gelassene Rechtsfrage zu entscheiden, ob auch beim Automatenspiel eine generelle Kontrollpflicht besteht. Beide Vorinstanzen haben dies bejaht; der III. Zivilsenat hat diese Rechtsauffassung gebilligt.
Auch für den Bereich des Automatenspiels ist es dringend geboten, die verhängte Spielsperre effektiv durchzusetzen, damit diese ihre Schutzfunktion entfalten kann. Anhaltspunkte dafür, dass eine generelle Kontrollpflicht hier der Spielbank nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sein könnte, bestanden nicht. Insbesondere war nicht erkennbar, dass die Durchführung solcher Kontrollen den wirtschaftlichen Betrieb der Spielbank in nennenswerter Weise hätte beeinträchtigen können.
Gleichwohl konnte die Verurteilung der beklagten Spielbank zum Ersatz der Spielverluste beim derzeitigen Sach- und Streitstand nicht bestehen bleiben. Die beklagte Spielbank hatte sich nämlich bei der Unterlassung allgemeiner Zugangskontrollen für das Automatenspiel während des hier in Rede stehenden Zeitraums (Januar 2000 bis August 2001) in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Bis zum Bekanntwerden des Senatsurteils vom 15. Dezember 2005 (BGHZ 165, 276) durfte die Spielbank nach dem früheren Stand der Rechtsprechung, insbesondere dem Urteil des XI. Zivilsenats vom 31. Oktober 1995 (XI ZR 6/95 = BGHZ 131, 136), annehmen, dass eine derartige Kontrollpflicht nicht bestehe. Der XI. Zivilsenat hatte nämlich entschieden, dass die Spielbank auch bei einer antragsgemäß verhängten Spielsperre keine Schutzpflichten habe, die auf Wahrnehmung der Vermögensinteressen ihrer Gäste gerichtet waren. Aus dieser inzwischen durch das Urteil des III. Zivilsenats vom 15. Dezember 2005 (aaO) überholten - Betrachtungsweise durfte die Spielbank folgern, dass ihr jeweils beim Kleinen Spiel keine allgemeinen Kontrollpflichten oblagen, die über die Überwachung der im Spielsaal aufgestellten Telecash-Geräte hinausgingen.
Der III. Zivilsenat hat daher das verurteilende Erkenntnis des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, welches nunmehr dem beweisbewehrten Vortrag des Klägers nachzugehen haben wird, dass bei ihm im fraglichen Zeitpunkt aufgrund einer Spielsuchterkrankung eine partielle Geschäftsunfähigkeit vorgelegen habe.
Urteil vom 22. November 2007 III ZR 9/07
LG Münster - Urteil vom 29. November 2005 - 4 O 725/04
OLG Hamm - Urteil vom 4. Dezember 2006 - 22 U 250/05
Karlsruhe, den 22. November 2007
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Mittwoch, 21. November 2007
Vermittlung von Sportwetten aus Baden-Württemberg über Internet darf untersagt werden
Kurzbeschreibung: Mit Beschluss vom 05.11.2007 hat der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) im Anschluss an seine bisherige Rechtsprechung in einem weiteren Fall zuungunsten eines gewerblichen Vermittlers von Sportwetten entschieden.
Das Regierungspräsidium Karlsruhe hatte dem Betreiber eines sächsischen Wettbüros (Antragsteller), das die Vermittlung von Sportwetten an einen in Gibraltar konzessionierten Wettunternehmer anbietet, unter Anordnung der sofortigen Vollziehung u. a. untersagt, in Baden-Württemberg Sportwetten zu veranstalten, zu vermitteln, hierfür zu werben oder solche Tätigkeiten zu unterstützen. Auf Antrag des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe den Sofortvollzug mit der Begründung ausgesetzt, es sei technisch nicht möglich bzw. unzumutbar, der Verfügung nachzukommen. Der VGH ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat auf die Beschwerde des Landes den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt.
Der VGH ist entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung - ebenso wie auch das Verwaltungsgericht - davon ausgegangen, dass die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten an private Veranstalter, die (lediglich) im Besitz einer von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft erteilten Konzession sind, in Baden-Württemberg während der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28.03.2006 bestimmten, bis 31.12.2007 befristeten Übergangszeit ohne Verstoß gegen Verfassungs- und europäisches Gemeinschaftsrecht untersagt werden darf. Rechtsgrundlage hierfür sei der vorübergehend noch anwendbare Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland vom 18.12.2003. An diesem Ergebnis ändere auch nichts, dass der Antragsteller über eine ihm zu DDR-Zeiten erteilte Genehmigung verfüge, ein Wettbüro zu eröffnen. Denn eine von einem Hoheitsträger in der früheren DDR erteilte gewerberechtliche Erlaubnis rechtfertige es jedenfalls nicht, Sportwetten auch in den „alten“ Bundesländern zu veranstalten und zu vermitteln. Eben hierauf sei die Tätigkeit des Antragstellers jedoch gerichtet, indem er sein Internetangebot, Sportwetten nach Gibraltar zu vermitteln, auch an Wettinteressenten in Baden-Württemberg richte.
Es sei dem Antragsteller auch möglich und zumutbar, die Untersagungsverfügung zu befolgen. Er könne die ihm untersagten Tätigkeiten ohne Weiteres einstellen. So könne er seine Wettangebote ausdrücklich und eindeutig dahin einschränken, dass diese sich künftig nicht mehr an Wettinteressenten in Baden-Württemberg richten und darauf hinweisen, dass Wetten aus Baden-Württemberg von ihm auch nicht vermittelt würden; er könne tatsächlich so verfahren und durch eine entsprechende Gestaltung seiner Internetseite von den Wettinteressenten vorab entsprechende Angaben verlangen.
Der Beschluss ist unanfechtbar (Az.: 6 S 2223/07).
Montag, 19. November 2007
bwin prüft Einsteig in Online-Zahlungsverkehr
Quelle: Dow Jones Newswires
LOTTO Hamburg stellt als erster Glücksspielanbieter den LOTTO-INTERNET-STICK vor
Im Vorfeld der Hamburger Verbrauchermesse "Du und Deine Welt" hat die staatliche Lotteriegesellschaft LOTTO Hamburg heute den LOTTO-INTERNET-STICK vorgestellt. Er erfüllt als erstes Verfahren vollständig alle Auflagen, die der neue Glücksspielstaatsvertrag ab dem 1.1.2008 an Glücksspielangebote im Internet stellt. Lottospielen im Internet bei LOTTO Hamburg wird ab Mitte Dezember für Hamburger nur noch mit dem LOTTO-INTERNET-STICK möglich sein. Er stellt sicher, dass nur noch registrierte, volljährige Spieler teilnehmen können.
LOTTO Hamburg ist damit der erste deutsche Glücksspielanbieter, der eine Lösung auf den Markt bringt, die die neuen hohen Anforderungen zum 1.1.2008 an Jugendschutz und Spielsuchtprävention im Internet auch technisch erfüllt. "Wir haben den staatlichen Auftrag, Menschen, die spielen wollen, ein sicheres und zeitgemäßes Spielangebot zu unterbreiten - das gilt natürlich auch in der Übergangszeit bis zum 31.12.2008, die der Glücksspielstaatsvertrag für das Glücksspiel im Internet einräumt", sagt Siegfried Spies, Geschäftsführer von LOTTO Hamburg, zur Einführung des Sticks.
Die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM) hat den Stick bereits im Juli als System positiv bewertet, das geeignet ist, geschlossenen Benutzergruppen Glücksspiele zugänglich zu machen. Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring, Vorsitzender der KJM: "Das Konzept von LOTTO Hamburg hat Modellcharakter für den Jugendschutz. Es bietet eine gute Kombination aus Sicherheit und Anwenderfreundlichkeit. Der LOTTO-INTERNET-STICK ist eine wegweisende technologische Weltneuheit und tauglich für alle Bereiche des Internets, in denen sich Nutzer eindeutig identifizieren müssen. Die KJM setzt darauf, dass andere Anbieter jugendgefährdender Inhalte im Internet dem positiven Beispiel von LOTTO Hamburg folgen werden." Der Stick kommt vom Münchner Konzern Giesecke & Devrient. Die Spezialisten für Sicherheitstechnologien entwickeln und produzieren unter anderem Kreditkarten und SIM-Karten für Mobiltelefone, stellen Banknotenpapier her und drucken Banknoten, darunter auch den Euro.
Durch die Regelungen des neuen Glücksspielstaatsvertrags wird die Nutzung des Sticks und das Online-Spielangebot insgesamt auf Hamburger Gebiet beschränkt bleiben. Eine Online-Scheinabgabe wird nur von Computern möglich sein, die über Hamburger Einwahlknoten ans Internet angeschlossen sind. "Unsere Erlaubnis, Glücksspiele anzubieten, beschränkt sich auf die Freie und Hansestadt Hamburg. Uns ist wichtig, mit dem LOTTO-INTERNET-STICK zu zeigen, dass Glücksspiel im Internet und echter Jugendschutz zusammen funktionieren können. Wir sind uns sicher, dass auch für andere Unternehmen der Glücksspielbranche und Anbieter jugendgefährdender Inhalte im Internet das Beispiel von LOTTO Hamburg interessant sein dürfte, denn Jugendschutz ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft", so Siegfried Spies.
Der LOTTO-INTERNET-STICK wird immer dann benötigt, wenn im Internet vertrauliche Daten an LOTTO Hamburg übertragen, oder ein Spielschein online abgegeben werden soll. Er wird dazu einfach in einen freien USB-Anschluss des Computers gesteckt und konfiguriert sich dann automatisch. Zusammen mit dem Nutzernamen und einer PIN ist so sichergestellt, dass niemand anderes als der registrierte Spieler vor dem Rechner sitzt. Sensible Daten wie Kontonummer oder Adressen können dank des Sticks weder abgefangen noch manipuliert werden.
Den kleinen USB-Stick erhalten Spieler in Hamburg bereits ab dem 17.11.2007 auf der Messe "Du und Deine Welt" direkt am Stand von LOTTO Hamburg in der Halle B4.EG. Ab dem 19.11. ist der Stick dann in 57 Lotto-Annahmestellen in Hamburg zu haben. Frühstartern bietet LOTTO Hamburg ein besonderes Bonbon: Bis zum 30.11.2007 wird der Stick kostenlos abgegeben, danach ist er gegen eine Schutzgebühr von 3,00 Euro erhältlich. Um den Stick zu bekommen, ist lediglich der Personalausweis und ein Formular nötig, das registrierten Spielern auf der Internetseite von LOTTO Hamburg unter www.lotto-hh.de zur Verfügung steht.
NORDWEST LOTTO UND TOTO HAMBURG
Birte Engelken
Pressestelle
Überseering 4, 22297 Hamburg
Europäischer Gerichtshof entscheidet zum deutschen Sportwettenmonopol - neue Vorlageverfahren aus Deutschland
von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Ob das derzeit in Deutschland bestehende Monopol bezüglich Sportwetten zugunsten staatlicher Unternehmen bzw. eines privaten Anbieters (Lotto Rheinland-Pfalz GmbH) auch zukünftig aufrechterhalten werden kann, wird vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschieden werden. Das Verwaltungsgericht Gießen hat nunmehr neben dem bereits bekannten Vorlageverfahren Markus Stoß gegen Wetteraukreis (Rechtssache C-316/07) zwei weitere Verfahren dem EuGH gemäß Art. 234 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, nämlich Avalon Service-Online-Dienste GmbH gegen Wetteraukreis (Rechtssache C-409/07) und Olaf Amadeus Wilhelm Happel gegen Wetteraukreis (Rechtssache C-410/07). Diese Verfahren betreffen jeweils Untersagungsverfügungen gegen Vermittler von in anderen EU-MItgliedstaaten staatlich zugelassenen Buchmachern.
Das Verwaltungsgericht Gießen bitten den EuGH in den beiden neuen Fällen um die Beantwortung folgender Fragen:
- Sind die Art. 43 und 49 EGV dahingehend auszulegen, dass sie einem innerstaatlichen Monopol auf bestimmte Glücksspiele wie z.B. Sportwetten entgegenstehen, wenn es in dem betreffenden Mitgliedstaat insgesamt an einer kohärenten und systematischen Politik zur Beschränkung des Glücksspiels fehlt, insbesondere weil die innerstaatlich konzessionierten Veranstalter zur Teilnahme an anderen Glücksspielen - wie staatlichen Lotterien und Kasinospielen - ermuntern, und ferner andere Spiele mit gleichem oder höherem mutmaßlichen Suchtgefährdungspotential - wie Wetten auf bestimmte Sportereignisse (wie Pferderennen) und Automatenspiel - von privaten Dienstleistungsanbietern erbracht werden dürfen?
- Sind Art. 43 und 49 EGV dahingehend auszulegen, dass durch dafür berufene staatliche Stellen der Mitgliedstaaten ausgestellte Genehmigungen der Veranstaltung von Sportwetten, die nicht auf das jeweilige Staatsgebiet beschränkt sind, den Inhaber der Genehmigung wie auch von ihm beauftragte Dritte berechtigen, auch im Bereich der anderen Mitgliedstaaten ohne zusätzlich erforderliche nationale Genehmigungen die jeweiligen Angebote zum Abschluss von Verträgen anzubieten und durchzuführen?
Damit sind nunmehr insgesamt sieben deutsche Sportwettenverfahren beim Europäischen Gerichthof anhängig (eines aus Köln und je drei aus Gießen und Stuttgart). Es ist davon auszugehen, dass der EuGH zumindest die Verfahren aus Gießen und Stuttgart zur gemeinsamen Verhandlung verbinden wird (ähnlich wie bereits in dem Placanica-Verfahren). Eine Entscheidung des EuGH dürfte allerdings wohl erst in zwei bis drei Jahren ergehen.
Bis dahin wollen die deutschen Monopolanbieter, die in einem Kartell, dem sog. Deutschen Lotto- und Totoblock, zusammengeschlossen sind, den deutschen Markt gegenüber Anbietern aus anderen EU-Mitgliedstaaten abschotten. Ein Mittel hierfür ist der zum 1. Januar 2008 geplante Glücksspielstaatsvertrag, mit dem das Angebot und die Bewerbung von Sportwetten und Glücksspielen über das Internet und damit ein binnengrenzüberschreitendes Angebot komplett verboten werden soll, um den deutschen Monopolanbietern die Einnahmen zu sichern. Dies hatte die Europäische Kommission als offenkundig europarechtswidrig beurteilt und ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland (neben dem bereits im April 2006 eingeleiteten) angekündigt, sollte der Glücksspielstaatsvertrag tatsächlich ratifiziert werden.
aus: Sportwettenrecht aktuell Nr. 91
Sonntag, 18. November 2007
Sportwettenvermittlung darf bis zu einer verfassungs- und europarechtskonformen Neuregelung nicht bestraft werden
Die 30. Große Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main hat eine Strafbarkeit der binnengrenzüberschreitenden Vermittlung und des Anbietens von Sportwetten nach § 284 StGB (unerlaubtes Glücksspiel) mit deutlichen Worten abgelehnt (Beschluss vom 15. November 2007, Az. 5/30 KLs – 3650 Js 236524/06 (11/07)). Eine Strafbarkeit sei angesichts des derzeitigen verfassungswidrigen und nicht mit dem Europarecht in Einklang zu bringenden Wettmonopols ausgeschlossen. Auch die derzeitige tatsächliche Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols sei grundgesetzwidrig. Eine Bestrafung nach § 284 StGB komme erst nach einer verfassungs- und europarechtskonformen Neuregelung wieder in Betracht.
Die Große Strafkammer lehnte damit die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen einen von Rechtsanwalt Martin Arendts, ARENDTS ANWÄLTE (http://www.wettrecht.de/), vertretenen Sportwettenvermittler ab. Dieser hatte im angeklagten Zeitraum (Juni 2006 bis Januar 2007) Verträge über Sportwetten an einen in dem EU-Mitgliedstaat Malta staatlich zugelassenen und dort laufend behördlich überwachten Buchmacher vermittelt.
Nach Ansicht der Großen Strafkammer ist eine Strafbarkeit nach § 284 StGB aus verfassungsrechtlichen wie auch aus Gründen des EU-Gemeinschaftsrechts zu verneinen. Beim Veranstalten und Vermitteln von Sportwetten handele es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht um Tätigkeiten, die von vornherein nur der öffentlichen Hand zugänglich und ihr vorbehalten seien (S. 3 der Entscheidungsgründe). Ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) könne nur dann gerechtfertigt sein, wenn er legitimen Gemeinwohlzwecken diene, während fiskalische Erwägungen auszuscheiden hätten. Das staatliche Wettmonopol stelle daher in seiner gegenwärtigen gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung einen unverhältnismäßigen und damit verfassungswidrigen Eingriff dar (S. 4). Das staatliche Sportwettenangebot ODDSET sei nicht konsequent am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht ausgerichtet, sondern es gebe ein Regelungsdefizit.
Eine Bestrafung verbiete sich damit aus verfassungsrechtlichen Gründen, solange es an einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage für das staatliche Wettmonopol fehle. Dies wäre rechtsstaatswidrig, weil die verfassungsrechtlichen Grundlagen für eine strafrechtliche Sanktion entfallen seien. Bestraft würde ein bloßer Verwaltungsungehorsam, obwohl die derzeitige verwaltungsrechtliche Rechtsgrundlage, das hessische Sportwetten- und Lotteriegesetz und die tatsächliche Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols nach Maßgabe der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung grundgesetzwidrig sei.
Die vorübergehend angeordnete Fortgeltung des bayerischen Staatslotteriegesetzes durch das Bundesverfassungsgericht bedeute nicht, dass die vorhandene Rechtslage während der Übergangszeit als verfassungsgemäß anzusehen sei, sie bleibe vielmehr in ihrer gegenwärtigen gesetzlichen Form verfassungswidrig (S. 5). Ein Verstoß gegen eine verfassungswidrige, aber übergangsweise hinzunehmende Freiheitsbeschränkung könne nicht als kriminelles Unrecht geahndet werden. Eine solche Fortgeltungsanordnung stelle für das Strafrecht keine tragfähige Grundlage dar.
Das hessische Sportwetten- und Lotteriegesetz, der Lotteriestaatvertrag, das staatliche Sportwettenmonopol und der Ausschluss privater Wettunternehmen verstießen weiterhin gegen das Grundgesetz (S. 5). Eine Bestrafung sein daher solange ausgeschlossen, bis der Gesetzgeber ein verfassungsgemäßes Gesetz erlassen habe.
Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Beurteilung kommt das Landgericht zu folgendem Fazit:
„Ohne eine der Verfassung entsprechende gesetzliche Grundlage, die erforderlich ist, um den Eingriff in das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG zu rechtfertigen, kommt eine Bestrafung nach § 284 StGB nicht in Betracht. Das Strafrecht kann nicht zur Durchsetzung eines staatlichen Wettmonopols herangezogen werden, das gegen Verfassungsrecht verstößt. Der Staat verhielte sich willkürlich, wenn er die Erteilung einer Erlaubnis unter der Berufung auf ein mit der Verfassung unvereinbares Gesetz (…) versagt und gleichzeitig denjenigen bestraft, der ohne diese behördliche Erlaubnis einen grundrechtlich geschützten Beruf ausübt.“
Im Übrigen verbiete auch das europäische Gemeinschaftsrecht eine Bestrafung. Einer Verurteilung aufgrund der derzeitigen gesetzlichen Grundlage stünden die Niederlassungsfreiheit und der freie Dienstleistungsverkehr entgegen (S. 7). Das Gericht verweist hierbei auf die Sportwetten-Urteilsserie des EuGH (Placanica, Gambelli, Zenatti). Das Strafrecht dürfe danach nicht die durch das Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten beschränken. Ein Mitgliedstaat dürfe keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität verhängen, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt oder vereitelt habe.
Auch in europarechtlicher Hinsicht fehlten strukturelle Vorgaben, die dafür sorgten, dass fiskalische Interessen hinter den anerkannten Zielen der aktiven Suchtbekämpfung und Begrenzung der Wettleidenschaft zurückträten (S. 8). Insoweit liefen die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts parallel zu den vom EuGH zum europäischen Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben. Daraus folge, dass das hessische Lotteriegesetz und der geltende Lotteriestaatsvertrag auch in europarechtlicher Hinsicht keine tragfähige Grundlage seien, um das staatliche Wettmonopol zu rechtfertigen. Aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts dürfe eine strafrechtliche Sanktion nicht verhängt werden. Eine Sportwettenvermittlung oder -veranstaltung, die „ohne behördliche Erlaubnis“ durchgeführt worden ist, dürfe nicht bestraft werden, wenn der „Täter“ sich diese Erlaubnis nicht hätte beschaffen können, weil der betreffende Mitgliedstaat es unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt hätte, sie ihm zu erteilen (S. 8).
Bis zu einer gesetzlichen verfassungemäßen Neuregelung des Sportwettenmonopols ist eine Bestrafung nach § 284 StGB nach Auffassung der Großen Strafkammer ausgeschlossen. Hinsichtlich des geplanten Glücksspielstaatsvertrags weist das Landgericht darauf hin, dass auch in Zukunft der Frage nachzugehen sei, ob ein Staatsmonopol auf den Wettbetrieb verfassungsrechtlich dann noch aufrecht erhalten werden könne, wenn entsprechende Wetten in anderer technischer Form – nämlich über das Internet – von privaten Betreiber angeboten werden dürften.
aus: Sportwettenrecht aktuell Nr. 91