Samstag, 2. November 2024

RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung: Glücksspielstörung: im Mittel daneben

Die Unstatistik des Monats Oktober ist der unkritische Umgang zahlreicher Medien mit dem „Glücksspielatlas Deutschland 2023“. Basierend auf einer dpa-Meldung vom 25. Oktober 2024 schreiben beispielsweise Tagesschau.de und Zeit.de: „Demnach haben etwa 1,3 Millionen Menschen eine Störung durch Glücksspiele, weitere drei Millionen Menschen haben ein problematisches Glücksspielverhalten.“

Der Glücksspielatlas bezieht seine Daten aus einer Studie der Universität Bremen, für die rund 12.000 Menschen zu ihrem Glücksspielverhalten befragt wurden. Dieser sogenannte „Glücksspiel-Survey“ wird alle zwei Jahre durchgeführt; bis zum Jahr 2019 war dafür die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) zuständig. Mit der Vergabe an die Bremer Suchtforscher stiegen die geschätzten Zahlen der Menschen mit Glücksspielproblemen dramatisch an.

Methodische Änderungen und ihr Einfluss auf die Ergebnisse

Was jedoch kaum thematisiert wird, ist die Abhängigkeit der Befragungsergebnisse von der Befragungsmethodik. Nach 2019 wechselte nicht nur der Auftragnehmer der Studie, sondern auch die verwendeten Fragebögen und die Art, wie die Befragten interviewt wurden. Die Befragung der BzgA war eine rein telefonische Erhebung, mittlerweile werden die Teilnehmer telefonisch und online befragt.

Unter den telefonisch Befragten findet der Glücksspiel-Survey insgesamt 0,4 Prozent mit leichter, mittlerer oder schwerer Glücksspielstörung, entsprechend den Kriterien des Diagnose-Instruments DSM-V. Unter den online Befragten sind es hingegen insgesamt 6,2 Prozent. Auch bei anderen Merkmalen, wie der Glücksspielteilnahme an sich, dem riskanten Alkoholkonsum oder bei psychischen Belastungen, gibt es Unterschiede, die allerdings nicht so stark ausgeprägt sind. Hinzu kommt, dass es sich bei der Onlinebefragung im Grunde um drei einzelne Erhebungen handelt, die möglicherweise unterschiedliche Zielgruppen erreicht haben. Der Glücksspiel-Survey macht dazu keine näheren Angaben, aber im irischen Glücksspiel-Survey variierte der Anteil der Menschen mit Glücksspielstörungen zwischen den Online-Panels statistisch signifikant zwischen 1,7 und 5,9 Prozent.

Herausforderung „Repräsentativität“

Es ist bekannt, dass sich online Befragte erheblich von der Durchschnittsbevölkerung unterscheiden. Auch telefonisch Befragte müssen nicht zwingend repräsentativ für die interessierende Grundgesamtheit sein. In beiden Fällen können Selektionsfehler vorliegen, weil die teilnehmenden Personen eben kein getreues Abbild der Bevölkerung darstellen. Leider gilt aber nicht einfach, dass die Wahrheit in der Mitte liegt – getreu dem alten Witz, dass der Hase schon tot sein wird, wenn der Jäger einmal links und einmal rechts vorbeischießt.

Hohe Ausfallquote: Risiko durch „Nonresponse“

Erschwerend kommt hinzu, dass über 80 Prozent der Befragten im Glücksspiel-Survey 2023 gar nicht geantwortet haben. Dieser sogenannte „Nonresponse“ birgt ein hohes Risiko, verzerrte Ergebnisse zu erhalten, die keine belastbaren Schlüsse mehr auf die Bevölkerung zulassen. Daher fordern seriöse wissenschaftliche Fachzeitschriften, Nonresponse zu kontrollieren und seine möglichen Auswirkungen zu evaluieren. In einer Übersichtsarbeit zur Glücksspiel-Prävalenzforschung, die vor wenigen Wochen in „The Lancet Public Health“ veröffentlicht wurde, zählt der Umgang mit dem Nonresponse zu den Bewertungskriterien. Der Glücksspiel-Survey wurde in dieser Übersichtsarbeit als methodisch besonders gut bewertet. Das ist insofern überraschend, als die potenziellen Auswirkungen von Nonresponse im Survey überhaupt nicht untersucht, sondern schlicht ignoriert wurden.

Aus dem gleichen Grund, dem unzureichenden Umgang mit möglichen Selektionsfehlern und Nonresponse, kam eine offizielle Evaluation des britischen Glücksspiel-Surveys zum Schluss, dass die Daten nur als „experimentell“ angesehen werden dürfen und mit großer Vorsicht behandelt werden sollten. Eine solche kritische Bewertung der Daten findet in der deutschen Politik bislang kaum statt.

Fazit: statistische Expertise unerlässlich für evidenzbasierte Politik

Leider fehlt in vielen Medien, aber auch in der Politik das Bewusstsein dafür, wie herausfordernd es ist, repräsentative Daten zu gewinnen. Nur weil Studien auf großen Stichproben beruhen, bedeutet das noch lange nicht, dass sie korrekte Ergebnisse liefern. Wenn diese Ergebnisse aber den Kreis der Wissenschaft verlassen und zur Unterstützung politischer Entscheidungen herangezogen werden, bedarf es einer sorgfältigen Qualitätskontrolle, die in vielen Fällen nicht gegeben ist. Diese Kontrolle erfordert tiefgehende Kompetenzen im Fachgebiet der sogenannten Survey-Statistik, die in der Regel nur bei entsprechenden Experten vorhanden ist. Wenn die Politik also Studien in Auftrag gibt oder als Grundlage für evidenzbasierte Maßnahmen nutzt, sollte sie darauf achten, dass neben der Fachexpertise – hier im Bereich der Suchtforschung – auch die statistische Expertise garantiert ist.


Anmerkung:

Einen leichten Einstieg in typische Fehler, die bei Befragungen passieren können, gibt das neue Webinar „Aus Flops lernen“ aus der Reihe „Understanding Data“. Diese Initiative zweier großer Marktforschungsverbände hat sich zum Ziel gesetzt, die Datenkompetenz in der Branche wie auch der Bevölkerung insgesamt zu verbessern. Im Beitrag „Aus Flops lernen“ geben die Unstatistik-Autorin Katharina Schüller und Dr. Silke Borgstedt anhand zahlreicher Praxisbeispiele Tipps für den verantwortungsbewussten Umgang mit Daten und Statistik.

VG Gießen: Kein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit durch Erlaubnispflicht für Wettveranstalter

Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Gießen vom 22. Oktober 2024

Das Verwaltungsgericht Gießen hat mit kürzlich den Beteiligten zugestellten Urteilen mehrere Klagen überwiegend abgewiesen, mit denen jeweils eine Veranstalterin von Sportwetten insbesondere geklärt haben wollte, dass nicht sie selbst, sondern der Wettvermittler vor Ort eine glücksspielrechtliche Erlaubnis einzuholen hat.

Die in Malta ansässigen Kläger beantragten für verschiedene Wettvermittlungsstellen in den Landkreisen Gießen, Lahn-Dill und Wetterau jeweils die Erlaubnis zum Betreiben einer Wettvermittlungsstelle. Die Vermittlung selbst erfolgt jeweils durch deutsche Firmen. Die Erlaubnis wurde mit mehreren Nebenbestimmungen erteilt. Gerichtlich wandten sich die Kläger gegen einige der Nebenbestimmungen und begehrten eine Feststellung dazu, wer Adressat der Erlaubnis sein sollte.

Die Kläger sind der Auffassung, dass die vom hessischen Glücksspielrecht vorgesehene Dreieckskonstellation zwischen dem Staat, der jeweiligen Klägerin als sogenannte Veranstalterin und der deutschen Firma als sogenannte Vermittlerin gegen die europarechtliche Dienstleistungsfreiheit verstoße. Diese umfasse das Recht, dass sich die jeweilige Klägerin als Dienstleister eines im Inland ansässigen Vermittlers bedienen könne, der die lokalen Pflichten übernehme. Auch in anderen Glücksspielbereichen wie etwa bei Spielbanken, Spielhallen oder Pferdewettvermittlungsstellen werde die Erlaubnis stets dem Betreiber vor Ort erteilt. Zudem würden andere Bundesländer insofern auch den Glücksspielstaatsvertrag anders umsetzen und den Veranstalter als Adressaten des Erlaubnisbescheides ansehen.

Demgegenüber kam der Einzelrichter der 4. Kammer zu dem Ergebnis, dass die in Hessen vorgesehene alleinige Antragspflicht des Wettveranstalters vollumfänglich mit Verfassungs- und Unionsrecht vereinbar sei. Die Erlaubnispflicht bezwecke eine bessere Ausübung der Aufsicht über Wettvermittler. Zudem sei der Veranstalter wirtschaftlich betrachtet der Endverantwortliche der Wettvermittlungen. Der Vermittler hingegen sei abhängig von dem Veranstalter, weil er nur im Auftrag eines einzigen Veranstalters vermitteln dürfe. Schließlich sei ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit durch Nebenbestimmungen im Rahmen der Erlaubnis auch aufgrund der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die Beschränkung von Glücksspieltätigkeiten diene unter anderem der Verhinderung des Entstehens von Spielsucht, dem Jugend- und Spielerschutz sowie der Vorbeugung von Gefahren für die Integrität des sportlichen Wettbewerbs.

Die Entscheidungen (Urteile vom 16. September 2024, Az.: 4 K 2658/23.GI u. a.) sind noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können dagegen binnen eines Monats die Zulassung der Berufung beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel beantragen.

Donnerstag, 31. Oktober 2024

Österreich: Keine Amts- und Staatshaftung für illegales Online-Glücksspiel

Pressemitteilung des Obersten Gerichtshofs /OGH)

OGH | 1 Ob 77/24s

Strafbestimmungen des Glücksspielgesetzes, die die Einhaltung der Regelungen dieses Gesetzes absichern sollen, bezwecken nicht den Schutz der Vermögensinteressen einzelner Spieler. Ein allenfalls mangelhafter Vollzug dieser Bestimmungen steht daher nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit Schäden, die ein Spieler durch die Teilnahme an einem verbotenen Spiel erlitten hat.

Der Kläger begehrte vom Bund aus dem Titel der Amtshaftung und Staatshaftung den Ersatz seiner beim illegalen Online Glücksspiel erlittenen Verluste. Die Organe der Beklagten hätten es rechtswidrig und schuldhaft unterlassen, die gesetzlichen Strafbestimmungen des Glücksspielgesetzes (GSpG) in Bezug auf illegale Online Glücksspiel Anbieter anzuwenden. Wären sie ihren Kontroll-, Anzeige- und Strafpflichten nachgekommen, hätte die konkrete Anbieterin ihre Tätigkeit in Österreich eingestellt und der Kläger den geltend gemachten Verlust nicht erlitten.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Das im GSpG geregelte Verbot von illegalem Glücksspiel richtet sich an den anbietenden Unternehmer, der verbotene Ausspielungen zu unterlassen hat, widrigenfalls er eine Verwaltungsübertretung begeht und zivilrechtliche Sanktionen zu gewärtigen hat. Dem Bund erwachsen aus dem GSpG keine Handlungs- oder Unterlassungspflichten, die unmittelbar darauf ausgerichtet wären, dass den Spielern kein Vermögensschaden durch verbotenes Glücksspiel entsteht. Dessen Organen obliegt vielmehr ausschließlich die Anzeige der illegalen Anbieter und die (verwaltungsstrafrechtliche) Ahndung von Verstößen gegen das Glücksspielmonopol, um die Beachtung des GSpG durch die Normunterworfenen zu erreichen. Die Durchsetzung eines Gesetzes durch die Vollziehung von Verwaltungsstrafbestimmungen dient allerdings ganz allgemeinen Interessen wie der Effektivität der Rechtsordnung und dem Funktionieren des Rechtsstaates. Es kann nicht angenommen werden, dass einer einzelnen Person – auch wenn das Gesetz selbst durch konkrete Gebote und Verbote ihre Interessen schützt – aus einem mangelhaften Vollzug der Strafbestimmungen, die (neben zivilrechtlichen Sanktionen) die Einhaltung dieser Gebote und Verbote gewährleisten sollen, Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz erwachsen. Dies würde zu einer Uferlosigkeit der Haftung des Rechtsträgers führen, der dem Geschädigten diesfalls neben dem Schädiger regelmäßig für die Einhaltung der Gesetze einstehen müsste. Einer solchen Haftung steht aber – selbst wenn sich im Einzelfall die Kausalität nachwiesen ließe – die eingrenzende Wirkung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs entgegen.

Die entgegen der ständigen Rechtsprechung behauptete Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols vermag eine Staatshaftung schon deshalb nicht begründen, weil sie nicht kausal für den Schaden des Klägers ist, hätte die Anbieterin ihr Online-Glücksspiel ja dann ungehindert vom Glücksspielmonopol veranstalten können.