Montag, 30. September 2013

Bundesgerichtshof: Schadenersatzforderungen gegen Landeslottogesellschaft Brandenburg

Der BGH hat sich in der Rechtssache "Anybet" mit möglichen Schadenersatzforderungen gegen die Landeslottogesellschaft Brandenburg nach Einstellung des Internetvertriebs durch "Lotto Brandenburg" befasst.

Die Klägerin ist ein im Glücksspielmarkt tätiges Dienstleistungsunternehmen. Sie macht gegen die beklagte Lottogesellschaft des Landes Brandenburg Ansprüche wegen der Einstellung des Glücksspielvertriebs im Internet im November 2006 geltend. Die Landeslottogesellschaft beauftragte die Klägerin im November 2002 in einem Hosting-Vertrag mit dem technischen Betrieb einer Internetplattform zum Vertrieb von Glücksspielen gegen eine umsatzabhängige Vergütung.

Die Beklagte gehört wie die Lottogesellschaften der übrigen Bundesländer dem Deutschen Lotto- und Totoblock an. Nach dem Blockvertrag des Lotto- und Totoblocks war der Vertrieb von Lotterien und Sportwetten auf das jeweilige Bundesland beschränkt. Mit Beschluss vom 23.08.2006 (WuW/E DE-V 1251) untersagte das Bundeskartellamt den Lottogesellschaften der Bundesländer, ihr jeweiliges Vertriebsgebiet für Lotterien und Sportwetten unter Beachtung des Blockvertrages und des Lotteriestaatsvertrages auf das jeweilige Landesgebiet zu beschränken. Am 06.11.2006 beschlossen daraufhin die Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Bundesländer – mit Ausnahme Schleswig-Holsteins – in einer Telefonkonferenz, die von ihren Lottogesellschaften betriebenen Internetangebote von Glücksspielen einzustellen. 
 
Das Land Brandenburg widerrief noch am 06.11.2006 die seiner Lottogesellschaft erteilte Erlaubnis zum Internetvertrieb von Glücksspielen. Daraufhin forderte die Landeslottogesellschaft die Klägerin auf, den Internetvertrieb zum Ablauf desselben Tages einzustellen. Dem kam die Klägerin nach. Die Internetplattform betrieb sie ohne Spielangebot zu Informationszwecken weiter, bis der Hosting-Vertrag aufgrund ordentlicher Kündigung der Beklagten zum 31.12.2007 auslief.
 
Die Klägerin begehrt Schadensersatz wegen der Einstellung des Internetvertriebs für die Zeit vom 06.11.2006 bis zum 31.12.2007. Sie meint, der Widerruf der Erlaubnis zum Internetvertrieb beruhe auf einer kartellrechtswidrigen Absprache der Bundesländer.
 
Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte sei von der Vergütungspflicht frei geworden und nicht schadensersatzpflichtig. Die Beklagte habe die Unmöglichkeit der weiteren Vertragsdurchführung nicht zu vertreten. 
 
Der BGH hat auf die Revision der Klägerin das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. 
 
Nach Auffassung des BGH kommen im Streitfall keine kartellrechtlichen Ansprüche der Klägerin in Betracht kommen, weil das Land Brandenburg beim Widerruf der Erlaubnis hoheitlich und nicht unternehmerisch gehandelt hat. Das Bundeskartellamt hatte der Beklagten ein erhebliches Zwangsgeld angedroht, wenn sie ihren Internetvertrieb nicht spätestens bis zum 07.11.2006 für Spielteilnehmer aus anderen Bundesländern öffnet. Demgegenüber hatte das BVerfG mit Beschluss vom 28.03.2006 (1 BvR 1054/01 - BVerfGE 115, 276) das Internetangebot von Glücksspielen als bedenklich angesehen und die Erweiterung des staatlichen Wettangebots bis zu einer verfassungskonformen Neuregelung des Glücksspielrechts ausgeschlossen. Wegen dieser unterschiedlichen Anforderungen des BVerfG und des Bundeskartellamts konnte sich das Land als Ordnungsbehörde ohne Ermessensfehler dafür entscheiden, den weiteren Internetvertrieb von Glücksspielen durch Widerruf der Erlaubnis der Beklagten vollständig zu unterbinden. 
 
Das ordnungsbehördliche, nicht unternehmerische Handeln des Landes werde auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Widerruf der Erlaubnis einer Übereinkunft der Chefs der Staats- und Landeskanzleien der Bundesländer vom 06.11.2006 entsprach, die wiederum der Empfehlung der Glücksspielreferenten der Länder vom 02.11.2006 gefolgt war, den Internetvertrieb gänzlich einzustellen. Im Hinblick auf die damals herrschende große rechtliche Unsicherheit bei der Beurteilung des Internetvertriebs von Glücksspielen bestand ein ordnungsrechtlicher Abstimmungsbedarf zwischen den Bundesländern.
 
Allerdings komme aufgrund des Hosting-Vertrags ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz von nicht mehr vermeidbaren Aufwendungen wie Personal- und Leasingkosten in Betracht, die ihr bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin entstanden und wegen des Wegfalls der Erlaubnis nutzlos geworden sind. Außerdem könne die Klägerin eine Vergütung für den von der Beklagten gewünschten Weiterbetrieb der Internetplattform ohne Spielangebot verlangen. Da in diesem Zusammenhang noch weitere Feststellungen zu treffen seien, habe der BGH die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
Vorinstanzen
LG Potsdam, Urt. v. 23.04.2009 - 51 O 125/08
OLG Brandenburg, Urt. v. 22.11.2011 - Kart U 4/09 - MMR 2012, 89

Weitere Sportwetten-Vorlage aus Deutschland an den Europäischen Gerichtshof: Kann mit dem sog. Erlaubnisvorbehalt eine Strafbarkeit eines Sportwettenvermittlers begründet werden?

von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Aufgrund der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 8. September 2010 zu mehreren Vorlagen aus Deutschland sind fast alle Strafverfahren gegen Vermittler von Sportwetten eingestellt worden. Fast alle - im Allgäu wird von einer sehr motivierten Staatsanwaltschaft weiterhin - vor allem während laufender Champions League-Spielen und damit publikumswirksam - durchsucht und beschlagnahmt (sogar im privaten Schlafzimmer von Gastwirten). Selbst gegen Kunden von in anderen EU-Mitgliedstaaten zugelassenen Buchmachern wurden in mehreren Fällen Strafverfahren eingeleitet.

Begründet wurde dieses Vorgehen von der Staatsanwaltschaft Kempten mit der überraschenden (aber vom Landgericht Kempten gebilligten) Argumentation, dass angeblich „europarechtliche Vorgaben nur für den Gesetzgeber verbindlich“ seien und Vorgaben des EuGH keinerlei Bindungswirkung hinsichtlich der strafrechtlichen Beurteilung hätten. Diese Auffassung ist allerdings mit dem seit 50 Jahren in ständiger Rechtsprechung vertretenen Vorrang des Unionsrechts nicht zu vereinen.

Eine Strafbarkeit der für private Buchmacher (die vielfach in dem bereits seit über einen Jahr dauernden Konzessionierungsverfahren Anträge gestellt hatte) tätigen Vermittler wurde von der Staatsanwaltschaft mit dem sog. Erlaubnisvorbehalt (trotz tatsächlich nicht bestehenden Erlaubnismöglichkeit) zu begründen versucht. Der im Glücksspielstaatvertrag unter den „allgemeinen Vorschriften“ normierte Erlaubnisvorbehalt sei unabhängig vom (vielleicht unanwendbaren) Monopol.

Das Amtsgericht Sonthofen konnte dieser Argumentationslinie nicht folgen und hat in einem Strafverfahren gegen eine Sportwettenvermittlerin diese unionsrechtlich zu beurteilende Fragen gemäß Art. 267 AEUV dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (Az. 1 Ds 400 Js 17155/11). Neben der Vorlage des Bundesgerichtshofs, die der EuGH unter dem Aktenzeichen C-156/13 führt, siehe http://wettrecht.blogspot.de/2013/06/vorlage-des-bgh-den-eugh-zur-koharenz.html , wird er voraussichtlich im kommenden Jahr auch die neue Sportwetten-Vorlage aus Deutschland bearbeiten dürfen.

Auch das Bundesverfassungsgericht wird sich in Kürze, ebenfalls in einem Strafverfahren, mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Bestrafung eines Sportwettenvermittlers in einem rechtlich nicht haltbaren Monopolsystem zu beschäftigen haben, siehe http://wettrecht.blogspot.de/2013/08/anstehende-entscheidung-des.html .