Donnerstag, 16. September 2010

Glücksspiel in Deutschland nach dem EuGH-Urteil: Das Hohenheimer Konzept

Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 16. September 2010

„EuGH kippt deutsches Glücksspielmonopol“ – so oder ähnlich lauteten Kommentare einiger Medien über die EuGH-Urteile vom 8. September 2010 zum deutschen Glücksspielvertrag. Ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Doch nach den Urteilen muss sich einiges ändern: entweder das Monopol selbst oder – was wahrscheinlicher ist – seine Handhabung in der Praxis. Was sich in der Praxis ändern könnte, dazu legten drei Professoren von der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim ein Konzept zur Regulierung des Glücksspielsektors vor: Es unterscheidet Glücksspiele nach ihrem Suchtpotenzial und schlägt differenzierte Regelungen für gefährliche und weitgehend ungefährliche Spiele vor.

Die Professoren Siegbert Alber, Prof. Dr. Armin Dittmann und Prof. Dr. Tilman Becker waren sich einig: Die EuGH-Urteile verdeutlichten die Zweifel der europäischen Richter, dass die derzeitigen Regulierungen des Glücksspielmarktes in Deutschland mit Europarecht übereinstimmen. Letztendlich hätten dies jedoch die deutschen Gerichte zu entscheiden.

Der bisherige deutsche Glücksspielstaatsvertrag sieht zum Teil sehr restriktive Maßnahmen zur Suchtprävention bei vergleichsweise ungefährlichen Spielformen vor. Auf der anderen Seite würden die ganz gefährlichen Formen des Glücksspiels kaum reguliert.

Hierzu stellte Prof. Siegbert Alber, der die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs erläuterte, fest: „Der EuGH mahnt eine Gesamtkohärenz der Regulierungen bei Glücksspielen an.“ Gesamtkohärenz bedeute, dass die gesetzlichen Regelungen in sich konsistent sein müssten und auf identische Sachverhalte einheitlich angewendet werden. Das gelte vor allem für Maßnahmen, die zur Suchtprävention und Verhinderung von Betrug und Manipulation vorgesehen seien.

Die Urteile des EuGH hätten dazu geführt, das nun es nun eine gewisse Rechtsunsicherheit gibt, verdeutlichte Prof. Dr. Armin Dittmann. Er beschrieb die Entscheidungssituation für die Glückspielaufsicht und Gerichte nach der Entscheidung des EuGH. Prof. Dittmann: „Es ist zu vermuten, dass die Glückspielaufsicht nicht weiter gegen die Sportwettengeschäfte vorgehen wird und dass die Gerichte die Verfahren bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung ruhen lassen werden.“

Das Hohenheimer Konzept

Wie sich eine Gesamtkohärenz bei Glücksspielen erreichen lässt, stellte Prof. Dr. Tilman Becker in seinem Hohenheimer Konzept vor. Grundlage dieses Konzeptes ist es, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen für eine Spielform sich an dem tatsächlichen Gefährdungspotenzial dieser Spielform orientiert. Das Konzept umfasst drei wesentliche Forderungen.

1. Sperrdatei für alle gefährlichen Formen des Glücksspiels

Ein Spieler, der sein Spielverhalten nicht mehr im Griff hat, kann sich freiwillig für die Teilnahme an gefährlichen Glücksspielen sperren lassen, indem er sich in die Sperrdatei eintragen lässt. Gegenwärtig gilt dies nur für Spielcasinos und die staatlich angebotenen Sportwetten. Doch alle wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen, dass vor allem das Automatenspiel in Spielhallen für pathologische Spieler ein Problem ist.

Daher schlägt das Hohenheimer Konzept vor, das Automatenspiel in Spielhallen und Gaststätten in die spielübergreifende Sperrdatei einzubeziehen. Prof. Becker: „Die gegenwärtige Regelung ist nicht kohärent. Das ist so, wie wenn sich ein Alkoholiker für den Kauf von Whiskey sperren lassen kann, er aber weiter ungehindert Wodka kaufen kann.“

2. Werbung für Lotterien erlauben

Das Hohenheimer Konzept sieht vor, auch bei der Regulierung der Werbung und des Angebots im Internet entsprechend dem Gefährdungspotenzial der angebotenen Spielformen zu unterscheiden. Werbung für ungefährliche Formen des Glücksspiels, wie Lotto, die Sozial- und Klassenlotterien sowie die Gewinnsparlotterien, wäre weitestgehend zu erlauben.

Die gegenwärtigen sehr restriktiven Regelungen der Werbung, die derzeit noch unterschiedslos für alle Formen des Glückspiels gelten, sollten hingegen für die gefährlichen Formen des Glückspiels wie Roulette, die Spielautomaten und Sportwetten beibehalten werden.

3. Öffnung des Internets

Gegenwärtig ist die Teilnahme an Glückspielen im Internet prinzipiell verboten. Auch ein Lottoteilnahmeschein darf nicht im Internet ausgefüllt werden. Bei den traditionellen Lotterien gibt es kein nennenswertes Suchtgefährdungspotenzial. Daher ist das Ausfüllen eines Lottoscheins im Internet unbedenklich.

Das generelle Internetverbot hat für Sportwetten und Casinospiele dazu geführt, dass hier ein ausländisches Angebot den Markt erobert hat. Dieses Angebot ist unreguliert und unkontrolliert. In der heutigen Zeit ist ein Internetverbot nicht angebracht und geht an der Wirklichkeit vorbei.

Das Hohenheimer Konzept schlägt vor, das Internet für das legale Angebot von Casinospielen und Sportwetten zu öffnen. Nur bei einem staatlich regulierten und kontrollierten Angebot im Internet könnten Maßnahmen zur Suchtprävention, wie eine Sperrdatei, umgesetzt werden.

Dabei sollten nicht nur die Spielhallen und Spielautomaten in Gaststätten, sondern auch das Internetangebot bei den Spielen mit einem hohen Suchtpotenzial, wie Casinospiele einschließlich Poker und Sportwetten, in die spielübergreifende Sperrdatei einbezogen werden. Bei einer Teilnahme an diesen Formen des Glücksspiels im Internet sollte durch eine Identifikation der Spieler auch der Jugendschutz sichergestellt werden.

Zu den Experten

Prof. Siegbert Alber war von 1997 bis 2003 Generalanwalt am EuGH und stellte die Schlussanträge in der für Glücksspiel wichtigen Rechtssache „Gambelli“. Er ist Mitglied der Forschungsstelle Glückspiel an der Universität Hohenheim.

Prof. Dr. Arnim Dittmann ist seit 1983 Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität Hohenheim. Seit 1992 ist er Vorstandsmitglied der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg. Auch er ist Mitglied in der Forschungsstelle.

Prof. Dr. Tilman Becker ist geschäftsführender Leiter der Forschungsstelle. Außerdem ist er Mitglied im wissenschaftlichen Beirat für Verbraucher- und Ernährungspolitik beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) und Mitglied im dem Executive Committee der European Association for the Study of Gambling.

Forschungsstelle Glücksspiel

Die Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim besteht seit 2004. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die verschiedenen Aspekte des Spielens interdisziplinär wissenschaftlich zu beleuchten. Die Mitglieder der Forschungsstelle bringen ihre Expertise aus vielfältigen Bereichen in die Glücksspielforschung ein, so u. a. aus der Ordnungs- und Verbraucherpolitik, der Mathematik und Statistik, der Finanzwissenschaft, Öffentlichem und Bürgerlichem Recht, Wirtschaftstheorie, Kommunikations- und Informationswissenschaften, Haushalts- und Genderökonomik, Marketing, Spieltheorie, Statistik und Ökonometrie sowie Psychologie und Medizin.

Gutachten des Mainzer Medieninstituts: Marktöffnung für Sportwetten verfassungsrechtlich möglich - Gesetzgeber kann Konzessionsmodell einführen

Mainz - Zurzeit beraten die Länder im Rahmen der Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV) auch über die Frage, ob neben einem staatlichen Monopol für den Bereich der Lotterien der Sportwettenmarkt liberalisiert werden sollte und ob eine solche Teilliberalisierung europa- und verfassungsrechtlich zulässig ist. Universitätsprofessor Dr. Dieter Dörr, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Medienrecht der Universität Mainz und Direktor des Mainzer Medieninstituts, hat vor diesem Hintergrund im Vorfeld der Jahreskonferenz der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder ein verfassungsrechtliches Gutachten vorgelegt.

Prof. Dr. Dieter Dörr: "Die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines dualen Systems ist einer der zentralen Punkte der aktuellen Länderberatungen. Auf der Grundlage der inzwischen gewonnenen Erkenntnisse ist es nicht nur verfassungs- und europarechtlich zulässig, sondern sogar geboten, den Bereich der Sportwetten zu liberalisieren. Dies ist auch bei einem Aufrechterhalten des staatlichen Monopols für den Bereich der Lotterien möglich."

Bei Sportwetten und Lotto handele es sich um unterschiedliche Spielarten, die unterschiedlichen Ordnungssystemen zugeordnet werden. Im Hinblick auf die nicht vergleichbaren Gefahren, die von Sportwetten und Lotterien ausgehen können, sprächen gute Gründe dafür, Lotterien und Sportwetten unterschiedlich zu regeln. So wiesen z. B. Sportwetten eine hohe Schwarzmarktanfälligkeit, Lotterien hingegen ein hohes Maß an Intransparenz auf. Gerade dem Schutz der Spieler vor betrügerischen Machenschaften und dem Verbraucherschutz, insbesondere der Übervorteilung der Spieler durch Täuschung über Gewinnchancen, komme bei den Lotterien zentrale Bedeutung zu. Diese Gründe rechtfertigten die Beibehaltung des staatlichen Lotteriemonopols. Im Bereich der Sportwetten sei hingegen auf der Grundlage der mit dem staatlichen Monopol gemachten Erfahrungen ein Festhalten an demselben mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit für private Wettunternehmen nicht mehr vereinbar.

Dörr: "Auch das Europarecht sieht es ausdrücklich als kohärent an, wenn verschiedene Arten von Glücksspielen unterschiedlichen Regulierungen unterliegen, sofern diese Spiele unterschiedliche Merkmale aufweisen. Die Länder können damit eine der Haupthürden, die von Gegnern einer Liberalisierung in der aktuellen Debatte aufgebaut wurden, nehmen. Weder das deutsche Verfassungsrecht noch die unlängst aktualisierten EU-Vorgaben stehen einer Marktöffnung entgegen."

Das vollständige Gutachten ist abrufbar unter: www.mainzer-medieninstitut.de

Pressekontakt:
Professor Dr. Dieter Dörr
Tel. 06131 144 92 52
doerr@mainzer-medieninstitut.de

AK Wetten im VPRT legt aktualisierte Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte zum deutschen Sportwettenmarkt vor

Berlin - Einnahmepotenzial von 800 Mio. bis zu 2 Mrd. Euro Steuern im Falle einer Marktöffnung für den Zeitraum 2012 bis 2015 prognostiziert

AK Wetten sieht in Marktöffnung Win-win-Situation für Staat, Werbeträger und Wettanbieter

Der Arbeitskreis Wetten im Verband Privater Rundfunk und Telemedien e. V. (VPRT) hat eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte vorgelegt, in der vor dem Hintergrund der aktuellen Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrags für verschiedene Regulierungsmodelle Szenarien für die weitere Markt- und Steuereinnahmenentwicklung in Deutschland gerechnet werden. Deloitte prognostiziert im Falle einer Beibehaltung des Monopols für die Jahre 2012-2015 ein kumuliertes Steueraufkommen aus der Sportwette von 387 Millionen Euro, das sich aus den Steuerarten Wettsteuer, Lohnsteuer und Ertragssteuer zusammensetzt. Für den Fall einer regulierten Marktöffnung würden die Steuereinnahmen dagegen im gleichen Zeitraum je nach Ausgestaltung des Abgabenmodells von über 800 Millionen bis hin zu rund 2 Milliarden Euro betragen können.

Thomas Deissenberger, Sprecher des AK Wetten: "Eine Marktöffnung im Bereich Sportwetten würde eine Win-win-Situation für den Staat, die privaten Medienunternehmen und die Wettanbieter bedeuten. Die Studie von Deloitte bestätigt wesentliche Prognosen, die Deloitte schon 2006 im Auftrag des AK Wetten ermittelt hatte. Sie zeigt das enorme Einnahmepotenzial, das diese Industrie für den Staat und damit für die Förderung auch des Breitensportes und sozialer Zwecke birgt. Der AK Wetten im VPRT sieht sich in seiner Forderung für die Einführung eines dualen Systems mit staatlichen und privaten Anbietern unter einer einheitlichen Regulierung bestätigt. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass die privaten Medienunternehmen am wirtschaftlichen Potenzial, das dieser Markt bietet, partizipieren können. Ein duales System würde zudem die Verdrängung der Umsätze in den Grau- und Schwarzmarkt beenden und kann letztlich auch die Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Spielsucht- und Betrugsprävention schaffen."

VPRT-Präsident Jürgen Doetz: "Eine Beibehaltung oder gar Verschärfung des Monopols würde nicht nur die staatlichen Einnahmen erheblich schwächen, sondern auch massive Wettbewerbsnachteile für die deutschen Medienunternehmen bedeuten. Vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sind die Medienunternehmen aber auf eine Stärkung ihrer Freiheiten im Werbemarkt dringend angewiesen. Wir appellieren daher auch vor dem Hintergrund der aktuellen EuGH-Entscheidung an die Politik, durch die Schaffung eines dualen Systems mit einem Konzessionsmodell für Wettanbieter die Vorteile für alle Beteiligten zu realisieren."

Deloitte hat in ihrer Studie dargelegt, dass die Spieleinsätze im Lottomarkt von 10 Milliarden Euro 2005 bis 2008 um 19 Prozent auf 8,1 Milliarden Euro zurückgegangen sind. Im gleichen Zeitraum haben sich die Umsätze der staatlichen Wettangebote um 41 Prozent auf 170 Millionen Euro verringert, während der in Deutschland steuerlich nicht erfasste unregulierte Online-Wettmarkt stetig gewachsen ist (2005: 103 Mio. Euro, 2008: 323 Mio. Euro Bruttospielertrag).

Im Falle einer Marktöffnung werden die staatlichen Einnahmen erheblich von dem Abgabenmodell abhängen. Während Deloitte bei einer Umsatzbesteuerung von 2 Prozent in den Jahren 2012-2015 von Steuereinnahmen i.H.v. 884 Millionen Euro ausgeht, würden diese bei einem Abgabensatz von 5 Prozent auf den Umsatz rund 2 Milliarden Euro betragen.

Bei einer Besteuerung des Rohertrags der Wettanbieter von 15 Prozent errechnet Deloitte Steuereinnahmen in Höhe von 862 Millionen Euro, bei einem Steuersatz auf den Rohertrag von 20 Prozent würden diese rund 1 Milliarde Euro betragen.

Eine Zusammenfassung der Studie kann in der VPRT-Geschäftsstelle (Email: klebe@vprt.de Tel.: 030-39880100) angefordert werden.

Pressekontakt:
Pressesprecher
Hartmut Schultz, Hartmut Schultz Kommunikation GmbH,
Tel.: 030/39880-101,
Email: schultz@schultz-kommunikation.de