von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Die 30. Große Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main hat eine Strafbarkeit der binnengrenzüberschreitenden Vermittlung und des Anbietens von Sportwetten nach § 284 StGB (unerlaubtes Glücksspiel) mit deutlichen Worten abgelehnt (Beschluss vom 15. November 2007, Az. 5/30 KLs – 3650 Js 236524/06 (11/07)). Eine Strafbarkeit sei angesichts des derzeitigen verfassungswidrigen und nicht mit dem Europarecht in Einklang zu bringenden Wettmonopols ausgeschlossen. Auch die derzeitige tatsächliche Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols sei grundgesetzwidrig. Eine Bestrafung nach § 284 StGB komme erst nach einer verfassungs- und europarechtskonformen Neuregelung wieder in Betracht.
Die Große Strafkammer lehnte damit die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen einen von Rechtsanwalt Martin Arendts, ARENDTS ANWÄLTE (http://www.wettrecht.de/), vertretenen Sportwettenvermittler ab. Dieser hatte im angeklagten Zeitraum (Juni 2006 bis Januar 2007) Verträge über Sportwetten an einen in dem EU-Mitgliedstaat Malta staatlich zugelassenen und dort laufend behördlich überwachten Buchmacher vermittelt.
Nach Ansicht der Großen Strafkammer ist eine Strafbarkeit nach § 284 StGB aus verfassungsrechtlichen wie auch aus Gründen des EU-Gemeinschaftsrechts zu verneinen. Beim Veranstalten und Vermitteln von Sportwetten handele es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht um Tätigkeiten, die von vornherein nur der öffentlichen Hand zugänglich und ihr vorbehalten seien (S. 3 der Entscheidungsgründe). Ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) könne nur dann gerechtfertigt sein, wenn er legitimen Gemeinwohlzwecken diene, während fiskalische Erwägungen auszuscheiden hätten. Das staatliche Wettmonopol stelle daher in seiner gegenwärtigen gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung einen unverhältnismäßigen und damit verfassungswidrigen Eingriff dar (S. 4). Das staatliche Sportwettenangebot ODDSET sei nicht konsequent am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht ausgerichtet, sondern es gebe ein Regelungsdefizit.
Eine Bestrafung verbiete sich damit aus verfassungsrechtlichen Gründen, solange es an einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage für das staatliche Wettmonopol fehle. Dies wäre rechtsstaatswidrig, weil die verfassungsrechtlichen Grundlagen für eine strafrechtliche Sanktion entfallen seien. Bestraft würde ein bloßer Verwaltungsungehorsam, obwohl die derzeitige verwaltungsrechtliche Rechtsgrundlage, das hessische Sportwetten- und Lotteriegesetz und die tatsächliche Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols nach Maßgabe der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung grundgesetzwidrig sei.
Die vorübergehend angeordnete Fortgeltung des bayerischen Staatslotteriegesetzes durch das Bundesverfassungsgericht bedeute nicht, dass die vorhandene Rechtslage während der Übergangszeit als verfassungsgemäß anzusehen sei, sie bleibe vielmehr in ihrer gegenwärtigen gesetzlichen Form verfassungswidrig (S. 5). Ein Verstoß gegen eine verfassungswidrige, aber übergangsweise hinzunehmende Freiheitsbeschränkung könne nicht als kriminelles Unrecht geahndet werden. Eine solche Fortgeltungsanordnung stelle für das Strafrecht keine tragfähige Grundlage dar.
Das hessische Sportwetten- und Lotteriegesetz, der Lotteriestaatvertrag, das staatliche Sportwettenmonopol und der Ausschluss privater Wettunternehmen verstießen weiterhin gegen das Grundgesetz (S. 5). Eine Bestrafung sein daher solange ausgeschlossen, bis der Gesetzgeber ein verfassungsgemäßes Gesetz erlassen habe.
Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Beurteilung kommt das Landgericht zu folgendem Fazit:
„Ohne eine der Verfassung entsprechende gesetzliche Grundlage, die erforderlich ist, um den Eingriff in das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG zu rechtfertigen, kommt eine Bestrafung nach § 284 StGB nicht in Betracht. Das Strafrecht kann nicht zur Durchsetzung eines staatlichen Wettmonopols herangezogen werden, das gegen Verfassungsrecht verstößt. Der Staat verhielte sich willkürlich, wenn er die Erteilung einer Erlaubnis unter der Berufung auf ein mit der Verfassung unvereinbares Gesetz (…) versagt und gleichzeitig denjenigen bestraft, der ohne diese behördliche Erlaubnis einen grundrechtlich geschützten Beruf ausübt.“
Im Übrigen verbiete auch das europäische Gemeinschaftsrecht eine Bestrafung. Einer Verurteilung aufgrund der derzeitigen gesetzlichen Grundlage stünden die Niederlassungsfreiheit und der freie Dienstleistungsverkehr entgegen (S. 7). Das Gericht verweist hierbei auf die Sportwetten-Urteilsserie des EuGH (Placanica, Gambelli, Zenatti). Das Strafrecht dürfe danach nicht die durch das Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten beschränken. Ein Mitgliedstaat dürfe keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität verhängen, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt oder vereitelt habe.
Auch in europarechtlicher Hinsicht fehlten strukturelle Vorgaben, die dafür sorgten, dass fiskalische Interessen hinter den anerkannten Zielen der aktiven Suchtbekämpfung und Begrenzung der Wettleidenschaft zurückträten (S. 8). Insoweit liefen die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts parallel zu den vom EuGH zum europäischen Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben. Daraus folge, dass das hessische Lotteriegesetz und der geltende Lotteriestaatsvertrag auch in europarechtlicher Hinsicht keine tragfähige Grundlage seien, um das staatliche Wettmonopol zu rechtfertigen. Aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts dürfe eine strafrechtliche Sanktion nicht verhängt werden. Eine Sportwettenvermittlung oder -veranstaltung, die „ohne behördliche Erlaubnis“ durchgeführt worden ist, dürfe nicht bestraft werden, wenn der „Täter“ sich diese Erlaubnis nicht hätte beschaffen können, weil der betreffende Mitgliedstaat es unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt hätte, sie ihm zu erteilen (S. 8).
Bis zu einer gesetzlichen verfassungemäßen Neuregelung des Sportwettenmonopols ist eine Bestrafung nach § 284 StGB nach Auffassung der Großen Strafkammer ausgeschlossen. Hinsichtlich des geplanten Glücksspielstaatsvertrags weist das Landgericht darauf hin, dass auch in Zukunft der Frage nachzugehen sei, ob ein Staatsmonopol auf den Wettbetrieb verfassungsrechtlich dann noch aufrecht erhalten werden könne, wenn entsprechende Wetten in anderer technischer Form – nämlich über das Internet – von privaten Betreiber angeboten werden dürften.
aus: Sportwettenrecht aktuell Nr. 91
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