Mittwoch, 29. Mai 2013

Bundesverwaltungsgericht: Klagen bayerischer Sportwetten-Vermittler wegen erledigter Vermittlungsverbote unzulässig

Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2013
 
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute in neun bayerischen Revisionsverfahren zur Sportwettenvermittlung an private Wettanbieter entschieden, dass kein berechtigtes Interesse der Vermittler an der Feststellung der Rechtswidrigkeit bereits erledigter Vermittlungsverbote nach altem Recht besteht. Bei den Betroffenen liegt weder eine konkrete Wiederholungsgefahr noch ein Rehabilitierungsinteresse vor. Ein berechtigtes Feststellungsinteresse ist auch nicht schon wegen eines tiefgreifenden Eingriffs in die Berufsfreiheit oder in unionsrechtliche Grundfreiheiten wie die Dienstleistungsfreiheit zu bejahen. Mit der Absicht, Staatshaftungsklagen zu erheben, lässt es sich in den entschiedenen Fällen ebenfalls nicht begründen.
 
Die Kläger vermittelten in Bayern Sportwetten an private Wettanbieter im EU-Ausland, die ebenso wie sie selbst nicht über eine im Inland erteilte Erlaubnis verfügten. Die beklagten Städte München und Nürnberg sowie drei ebenfalls beklagte bayerische Landkreise untersagten die Vermittlungstätigkeit. Sie stützten ihre Verbote maßgeblich auf das staatliche Sportwettenmonopol. Dieses war bis Ende 2007 im Lotteriestaatsvertrag und anschließend im zwischenzeitlich ebenfalls ausgelaufenen Glücksspielstaatsvertrag alter Fassung geregelt; es schloss eine Wettvermittlung an private Veranstalter aus. Eine der Untersagungsverfügungen verwies zusätzlich auf die Notwendigkeit, den gesetzlichen Erlaubnisvorbehalt durchzusetzen, um die Gefahren einer illegalen Wettvermittlung abzuwehren. Die dagegen erhobenen Klagen wurden in erster Instanz abgewiesen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof gab den Berufungen der Kläger statt. Dagegen legte die Landesanwaltschaft Bayern Revisionen ein. Während der Revisionsverfahren trat am 1. Juli 2012 ein neuer Glücksspielstaatsvertrag in Kraft. Daraufhin erklärten die zuständigen Behörden, aus den angefochtenen Verfügungen nach diesem Zeitpunkt keine Rechte mehr herleiten zu wollen. Im Revisionsverfahren haben die Kläger deshalb zuletzt beantragt, die Rechtswidrigkeit der erledigten Untersagungen nach altem Recht festzustellen.
 
Das Bundesverwaltungsgericht hat insoweit den Revisionen der Landesanwaltschaft Bayern stattgegeben und die klageabweisenden erstinstanzlichen Urteile wiederhergestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klagen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Untersagungsverfügungen unzulässig sind. Für erledigte Sachen können die staatlichen Gerichte nur in Anspruch genommen werden, wenn der Kläger daran ein berechtigtes Interesse hat. Das ist in den entschiedenen Verfahren nicht der Fall.
 
Ein solches Interesse ist nicht mit einer Wiederholungsgefahr zu begründen, weil sich die maßgebliche Rechtslage mit dem Inkrafttreten des neuen Glücksspielstaatsvertrags in Bayern zum 1. Juli 2012 wesentlich geändert hat. Ein Rehabilitierungsinteresse liegt in den entschiedenen Fällen ebenfalls nicht vor. Dieses setzt voraus, dass das soziale Ansehen der Betroffenen herabgesetzt wird. Eine solche Stigmatisierung liegt nicht schon in der Feststellung, die untersagte Tätigkeit sei rechtswidrig oder erfülle den objektiven Tatbestand einer Strafrechtsnorm. Erforderlich ist vielmehr ein personenbezogener Vorwurf schuldhaft kriminellen Verhaltens. Soweit in den entschiedenen Fällen Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren, ist eine etwaige stigmatisierende Außenwirkung mit deren Einstellung entfallen. Wenn ein Verschulden dabei nicht ausdrücklich verneint, sondern mit Bezug auf die unklare Rechtslage nur bezweifelt und als allenfalls geringfügig bezeichnet wurde, ist schon wegen der Einstellung des Verfahrens als Bagatellsache nicht von einer nachhaltigen, heute noch fortwirkenden Stigmatisierung auszugehen. In künftigen Verwaltungsverfahren nach neuem Recht drohen den Klägern wegen der Missachtung des umstrittenen Monopols ebenfalls keine Nachteile, wie der Vertreter des Freistaats Bayern ausdrücklich versichert hat.
 
Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Untersagungen ist auch nicht wegen eines tiefgreifenden Eingriffs in die Berufsfreiheit oder die Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit zu bejahen. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet grundsätzlich nicht, den Rechtsweg gegen erledigte Maßnahmen zu eröffnen, wenn dies für die Beseitigung etwa fortwirkender Nachteile für den Betroffenen nicht von Nutzen sein kann. Anders ist es nur bei Eingriffen, die sich typischerweise kurzfristig endgültig erledigen. Sonst wäre in diesen Fällen eine gerichtliche Klärung in einem Hauptsacheverfahren praktisch ausgeschlossen. Die glücksspielrechtlichen Untersagungen sind als Verwaltungsakte mit Dauerwirkung aber gerade nicht auf eine solch kurzfristige Erledigung, sondern auf langfristige Geltung angelegt. Das belegen die entschiedenen Fälle. In ihnen ist die endgültige Erledigung erst nach mehrjährigem Rechtsstreit aufgrund einer nachträglichen Befristung während des Revisionsverfahrens eingetreten. Bis dahin war eine gerichtliche Überprüfung in der Hauptsache im Rahmen der Anfechtungsklage ohne Weiteres möglich und wurde in den ersten beiden Instanzen auch vorgenommen. Aus den unionsrechtlichen Grundfreiheiten und der Gewährleistung eines wirksamen Rechtsbehelfs nach der Europäischen Grundrechtecharta lässt sich keine Verpflichtung herleiten, in solchen Fällen die Anforderungen an ein berechtigtes Feststellungsinteresse großzügiger zu fassen. Das ergibt sich aus der unionsgerichtlichen Rechtsprechung.
 
Die Absicht, Staatshaftungsansprüche geltend zu machen, kann ein berechtigtes Feststellungsinteresse in den entschiedenen Verfahren ebenfalls nicht begründen. Eine Staatshaftungsklage wäre jeweils offensichtlich aussichtslos. Im Zeitraum bis zum Herbst 2010 liegt nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung weder ein für die Amtshaftung erforderliches Verschulden der zuständigen Amtswalter noch eine hinreichend qualifizierte Verletzung unionsrechtlicher Bestimmungen vor. Den Amtswaltern ist nicht vorzuwerfen, dass sie sich an der damaligen Rechtsprechung der bayerischen Verwaltungsgerichte orientierten, die die Untersagungen gebilligt hatten. Die unionsrechtlichen Anforderungen an das Sportwettenmonopol waren zumindest bis zu den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. September 2010 und den daran anknüpfenden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2010 noch nicht hinreichend geklärt. Für den anschließenden Zeitraum bis zur endgültigen Erledigung der Untersagungen am 30. Juni 2012 fehlt es jedenfalls an der Ursächlichkeit einer etwaigen Rechtswidrigkeit der Verbotsverfügungen für den geltend gemachten Schaden. Bei Ermessensentscheidungen wie den glücksspielrechtlichen Untersagungen ist der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen Rechtsverletzung und Schaden nur zu bejahen, wenn feststeht, dass die Behörde bei fehlerfreier Ermessensausübung eine andere, nicht zum Schaden führende Entscheidung getroffen hätte. Das trifft in den entschiedenen Fällen nicht zu. Die Behörden hätten die unerlaubte Sportwettenvermittlung – unabhängig von der Wirksamkeit und Anwendbarkeit des Monopols – ermessensfehlerfrei untersagen können, um den ordnungsrechtlichen Erlaubnisvorbehalt im Interesse effektiver Gefahrenabwehr durchzusetzen. Der Erlaubnisvorbehalt selbst ist mit Verfassungs- und Unionsrecht vereinbar. Er dient dazu, die persönliche Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zu überprüfen und sicherzustellen, dass seine Wettvermittlung den gesetzlichen Anforderungen entspricht, die insbesondere zum Spieler- und zum Jugendschutz bestehen. Die Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts wäre in den entschiedenen Fällen auch nicht unverhältnismäßig gewesen. Anders wäre es nur, wenn die untersagte Tätigkeit offensichtlich erlaubnisfähig gewesen wäre. Die Ungewissheit, ob sie erlaubnisfähig war, schloss eine Untersagung dagegen nicht aus. Der Erlaubnisvorbehalt soll und darf gerade sicherstellen, dass offene Fragen zur Gefährlichkeit der Tätigkeit im Erlaubnisverfahren geklärt werden. Seine Durchsetzung soll verhindern, dass unkontrolliertes Handeln vollendete Tatsachen schaffen und unüberprüfte Gefahren realisieren kann. Eine Klärung im Erlaubnisverfahren war den Betroffenen auch zuzumuten, weil der Freistaat Bayern dieses Verfahren nach den unionsgerichtlichen Entscheidungen vom September 2010 für private Wettanbieter und deren Vermittler geöffnet hatte. Die landesgesetzliche Regelung ermöglichte eine entsprechende, verfassungs- und unionsrechtskonforme Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften. Gegen etwaige rechtsfehlerhafte – auch unionsrechtswidrige – Entscheidungen im Erlaubnisverfahren stand effektiver Rechtsschutz zur Verfügung.
 
BVerwG 8 C 14.12 – Urteil vom 16. Mai 2013
Vorinstanzen:
VGH München 10 BV 10.2271 – Urteil vom 12. Januar 2012
VG München M 16 K 08.2972 – Urteil vom 27. Januar 2009
 
BVerwG 8 C 15.12 – Urteil vom 16. Mai 2013
Vorinstanzen:
VGH München 10 BV 10.2505 – Urteil vom 12. Januar 2012
VG München M 22 K 07.1080 – Urteil vom 31. Juli 2008
 
BVerwG 8 C 16.12 – Urteil vom 16. Mai 2013
Vorinstanzen:
VGH München 10 BV 10.2665 – Urteil vom 24. Januar 2012
VG München M 22 K 07.3782 – Urteil vom 24. Oktober 2008
 
BVerwG 8 C 35.12 – Urteil vom 16. Mai 2013
Vorinstanzen:
VGH München 10 BV 11.2152 – Urteil vom 12. Juni 2012
VG Regensburg RN 5 K 10.2326 – Urteil vom 21. Juli 2011
 
BVerwG 8 C 41.12 – Urteil vom 16. Mai 2013
Vorinstanzen:
VGH München 10 BV 11.483 – Urteil vom 17. Februar 2012
VG Ansbach AN 4 K 06.1769 – Urteil vom 30. Januar 2007
 
BVerwG 8 C 40.12 – Urteil vom 16. Mai 2013
Vorinstanzen:
VGH München 10 BV 11.482 – Urteil vom 17. Februar 2012
VG Ansbach AN 4 K 06.2642 – Urteil vom 30. Januar 2007
 
BVerwG 8 C 20.12 – Urteil vom 16. Mai 2013
Vorinstanzen:
VGH München 10 BV 10.2257 – Urteil vom 15. Mai 2012
VG München M 16 K 08.5077 – Urteil vom 28. April 2009
 
BVerwG 8 C 22.12 – Urteil vom 16. Mai 2013
Vorinstanzen:
VGH München 10 BV 10.2258 – Urteil vom 15. Mai 2012
VG München M 16 K 08.2700 – Urteil vom 28. April 2009
 
BVerwG 8 C 38.12 – Urteil vom 16. Mai 2013
Vorinstanzen:
VGH München 10 BV 11.2770 – Urteil vom 24. April 2012
VG München M 16 K 08.2756 – Urteil vom 28. April 2009

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