von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat in der letzten Woche in einem Eilverfahren dem Antrag eines Sportwettenanbieters aus Österreich stattgegeben, der die Sicherung seines Anspruchs auf weitere Teilnahme am Konzessionsverfahren für die Vergabe von 20 Sportwettenkonzessionen begehrte (Beschluss vom 16.04.2014, Az.: 5 L 1448/14.WI, zur Pressemitteilung des Gerichts siehe http://wettrecht.blogspot.de/2015/04/erneute-entscheidung-uber-die-zulassung.html). Unabhängig von dem Einzelfall enthält die Gerichtsentscheidung maßgebliche Ausführung zu den Fehlern bei der Konzeption und Durchführung des Konzessionsverfahrens, so dass das Verfahren insgesamt als gescheitert anzusehen sein dürfte.
Die Ausschreibung erfüllt - wie das Verwaltungsgericht umfassend ausführt – gleich unter mehreren Gesichtspunkten nicht die Anforderungen an ein transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren. Das Konzessionsverfahren sei intransparent, weil nicht alle Kriterien für die Konzessionierung im Voraus bekannt gewesen seien (so jedoch die Forderung des EuGH). Die Bewerber hätten weder aus der Ausschreibung noch aus dem Gesetzestext des Glücksspielstaatsvertrags entnehmen können, was letztlich für eine erfolgreiche Bewerbung von ihnen gefordert werde. Als Zwischenfazit hält das Gericht fest:
„Schon das widerspricht dem Transparenzgebot und schränkt die Dienstleistungsfreiheit gerade auch externer Bewerber unverhältnismäßig ein (vgl. dazu die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 06.11.2014 in der Rechtssache C-338/14).“
Harte Kritik übt das Gericht bereits an der mangelhaften Konzeptionierung des Verfahrens. An der fehlenden Zeit habe es nicht gelegen:
„Es bestand ausreichend Zeit zwischen Unterzeichnung des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrages am 15.12.2011 und der Ausschreibung am 08.08.2012, um das gesamte Konzessionsverfahren konzipieren und vorbereiten zu können.“
Die inhaltliche Gestaltung des Auswahlverfahrens verstoße gegen die Anforderungen an eine rechtmäßige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit. So ergebe sich aus dem Glücksspielstaatsvertrag nicht die Forderung nach in der zweiten Stufe des Konzessionsverfahren von den Bewerbern verlangten fünf Konzepte:
„In § 4 b Abs. 2 GlüStV ist von einem Sicherheits-, Sozial- und einem Wirtschaftlichkeitskonzept die Rede, nicht aber von einem Vertriebs- und Zahlungsabwicklungskonzept.“
Auch die Anforderungen seinen unklar. Weder die gesetzlichen noch die europarechtlichen Vorgaben seien erfüllt:
„Die Ausschreibung erfüllt dementsprechend nicht die Anforderungen an ein transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren (§ 4b Abs. 1 Satz 1 GlüStV), weil nicht alle Kriterien für die Konzessionierung im Voraus bekannt waren. Auch die inhaltliche Gestaltung des Konzessionsverfahrens verstößt gegen die Anforderungen an eine rechtmäßige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV).“
Auch der Prüfungsablauf und die Entscheidungsfindung blieben bis zum Abschluss der Prüfung der Mindestanforderungen intransparent. Die Willkür der Behörde einschränkende Vorgaben fehlten:
„Wie der gesamte tatsächliche Verfahrensablauf zeigt, konnten die einzelnen Bewerber sich weder auf Fristabläufe/Fristverlängerungen noch Nachforderungen oder Änderungen von Memoranden und neugestaltete Formblätter einstellen oder bei ihrer Bewerbung von vornherein mit einkalkulieren. Eine vom Europäischen Gerichtshof (a.a.O.) geforderte Beschränkung des Gestaltungsermessens der Behörde kann nicht festgestellt werden.“
Angesichts fehlender Vorgaben sei das Verfahren intransparent (S. 24):
„Dass das Verfahren auf der 2. Stufe insgesamt als intransparent beurteilt werden muss, erschließt sich auch angesichts der Anzahl der von den Konzessionsbewerbern gestellten Fragen, die im Fragen-/Antwortenkatalog aufgeführt sind. Ganz offenkundig waren einer Vielzahl von Bewerbern viele Punkte im Anforderungskatalog auf der 2. Stufe so unklar, dass innerhalb kürzester Zeit fast 600 Fragen zur Klärung nötig waren. Selbst wenn einige der Fragen überflussig waren oder auf Missverständnissen beruht haben sollten, so kann doch aus der Summe der Anfragen abgeleitet werden, dass die Anforderungen nicht von vornherein verständlich und transparent waren und einer Erläuterung bedurften.
Die maßgeblichen Kriterien müssen aber auch im Verwaltungsvergabeverfahren (vgl. zur Definition Hess. VGH, Beschluss vom 23.07.2012, Az.: 8 B 2244/11, zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen) sowohl für die Erfüllung der Mindestvoraussetzungen als auch für die Auswahlentscheidung so klar, präzise und eindeutig formuliert und im Vorhinein bekannt sein, dass jeder Bewerber sich gebührend informieren und deren Bedeutung verstehen und auslegen kann. Jeder Bewerber soll damit in die Lage versetzt werden, die Anforderungen einzuschätzen und ein unter allen Umstanden vergleichbares sowie bestmögliches Angebot abzugeben. Es ist nicht Aufgabe der Bewerber, so lange Fragen an die Behörde zu richten, bis deren Anforderungen und Entscheidungskriterien hinreichend deutlich geworden sind (vgl. dazu die Ausführungen des Hess. VGH, Urteil vom 15.10.2014, Az.: 9 C 1276/13.T, juris, Rn. 69, zur Vergabe von Bodenabfertigungsdienstleistungen).“
Auch der Prüfungsablauf sei als intransparent zu beurteilen:
„Es wird zwar immer wieder betont, dass die Prüfung nach dem Vier-Augen-Prinzip erfolgt sei, aber trotz Nachfrage nicht offengelegt, welche Personen mit welcher Qualifikation im jeweiligen Prüfteam eingesetzt und wie eine durchgängige Beurteilung des für alle Bewerber gleichen Kriterienkatalogs durch jeweils dieselben Prüfer gewährleistet wurde. Eine personelle Kontinuität im Prüfungsverfahren erscheint schon deshalb nicht gegeben, weil ein häufiger Wechsel in der zuständigen Abteilung des Ministeriums (durch den zeitlich begrenzten Einsatz von Trainees, Wechsel im Einsatzbereich, Krankheit, Erziehungsurlaub usw.) - wie es gerichtsbekannt ist - stattgefunden hat.“
Die Entscheidungsfindung im Glücksspielkollegium sei ebenfalls fehlerhaft und rechtlich nicht haltbar. Das Gericht hält hinsichtlich des Glücksspielkollegiums auf S. 25 f. fest:
„Auch die Entscheidungsfindung im Glücksspielkollegium, dessen Beschlüsse nach dem Gesetz für den Antragsgegner bindend sind (§ 9 a Abs. 8 GlüStV), bleibt intransparent und fehlerbehaftet. Nach § 4 Abs. 4 der Geschäfts- und Verfahrensordnung des Glücksspielkollegiums sind dessen Beschlüsse zu begründen. In den dem Gericht überlassenen Auszügen aus den jeweiligen Sitzungsniederschriften finden sich aber hinsichtlich der Prüfungs- und Auswahlentscheidungen regelmäßig keine Angaben von Gründen, sondern lediglich Hinweise zum Verfahren und das Abstimmungsergebnis. (…)
Aus den Behördenakten, die das Verwaltungsverfahren der Antragstellerin betreffen, ergibt sich, dass der von 10 Prüfern unterschriebene Prüfvermerk das Datum 22.04.2014 trägt und jedenfalls bei Beschlussfassung am 09.04.2014 nicht vollständig vorgelegen haben kann. Eine ordnungsgemäße Prüfung und Beschlussfassung durch das Glücksspielkollegium kann dementsprechend nicht festgestellt werden.
Außerdem hat die Kammer erhebliche Bedenken gegen die Bindung des Antragsgegners an das Votum des Glücksspielkollegiums und dessen bestimmende Stellung im Konzessionsverfahren. Wie sie bereits im Verfahren 5 L 330/13.WI (Beschluss vom 11.06.2013) dargelegt hat, kann das Kollegium schon wegen der unterschiedlichen Aufgabenstellung nicht mit entsprechenden Gremien im Rundfunkrecht verglichen werden. (…)
Aber selbst wenn man die Tätigkeit des Glücksspielkollegiums entgegen dem Gesetzeswortlaut auf eine beratende beschränken könnte, bleibt dessen dem Antragsgegner zuzurechnendes Verfahren intransparent und die Beschlussfassung - soweit sie sich aus den dem Gericht vorgelegten Auszügen aus den Sitzungsniederschriften ergibt - inhaltlich nicht nachvollziehbar. Das gilt auch hinsichtlich der Abstimmung zum Verstoß gegen das Trennungsgebot (§ 21 Abs. 3 GlüStV). Der Antrag, einen Antragsteller (Name geschwärzt) aus der Liste der ersten 20 positiv bewerteten Bewerber herauszunehmen, wurde ohne Begründung mit 5 : 7 : 4 Stimmen abgelehnt, obwohl diese Entscheidung maßgeblichen Einfluss auf das gesamte Auswahlverfahren haben kann.“
Neben den Durchführungsmängeln bestünden auch konzeptionelle Defizite des Konzessionsverfahrens. Das bislang zur Rechtfertigung des Monopols und nunmehr zur Begründung der nur beschränkten Konzessionierung herangezogenen öffentliche Interesse an der Bekämpfung der Spielsucht und der Lenkung des Spieltriebs in geordneten Bahnen finde sich in der konkreten Ausgestaltung nicht wieder:
„Entsprechend ist das Sozialkonzept, das auch singulär in § 6 GlüStV nochmals erwähnt und beschrieben wird, von hervorgehobener Bedeutung. In der konkreten Ausgestaltung kommt diese Wertigkeit jedoch nicht zweifelsfrei zum Ausdruck. Vielmehr werden die Einzelanforderungen aller Konzepte gleich gewichtet, und die Nichterfüllung auch nur einer Anforderung aus einem der Konzepte führt - nach den Vorgaben des Antragsgegners, vgl. zuletzt Informationsmemorandum vom 08.04.2014 - ohne Unterscheidung zur Ablehnung des Antrags. Für das Sozialkonzept listet der Anforderungskatalog insgesamt 24 Anforderungen auf, für das Sicherheitskonzept dagegen 33 Anforderungen, u. a. zur Protokollierung der Betriebsvorgange, zur Unterstützung der Aufsichtsbehörde, für den Datenschutz sowie zur Betrugs- und Geldwäscheabwehr. Letztere Anforderungen dienen überwiegend der Erleichterung der behördlichen Überwachungstätigkeit, während das Sozialkonzept auf Spielerschutz und Suchtbekämpfung ausgerichtet ist. (…)“
Angesichts der Intransparenz des Konzessionsverfahrens und des Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit komme es auf die die Frage, ob die Unterlagen der Antragstellerin tatsächlich unzureichend waren, daher nicht mehr entscheidend an:
„Denn eine in einem mit Fehlern behafteten Verwaltungsverfahren abgegebene Bewerbung kann nicht Gegenstand einer rechtmäßigen behördlichen Beurteilung sein. Auch mit dem Argument, 35 anderen Mitbewerbern sei es möglich gewesen, die Mindestanforderungen zu erfüllen, kann der Antragsgegner nicht durchdringen. Verfahrensfehler können nicht dadurch geheilt werden, dass Einzelne das fehlerhafte Verfahren erfolgreich durchlaufen konnten.“
Kommentar:
Hält der Hessische Verwaltungsgerichtshof, der sich vermutlich als Beschwerdeinstanz erneut mit dem Konzessionsverfahren befassen muss, diese Entscheidung des VG Wiesbaden auch nur teilweise, ist das derzeit laufende Konzessionsverfahren endgültig gescheitert. Eine Korrektur der vom Gericht festgehaltenen zahlreichen gravierenden Fehler ist aus meiner Sicht nicht möglich, selbst wenn die Länder nachträglich die zahlenmäßige Beschränkung der Konzessionen aufgeben sollten. Eine rechtlich haltbare Vergabe der Konzessionen („rechtmäßige behördliche Beurteilung“) ist damit ausgeschlossen. Angesichts der vom Gericht festgestellten gravierenden Konzeptions- und Durchführungsfehler stellt sich darüber hinaus die Frage nach Schadensersatzansprüchen für den nutzlosen Bewerbungsaufwand.
Viele potentielle Bewerber (insbesondere in anderen EU-Mitgliedstaaten zugelassene Sportwettenanbieter) haben sich angesichts der Intransparenz des Konzessionsverfahrens nicht beteiligt bzw. sind im laufenden Verfahren abgesprungen. Insoweit müsste das Verfahren, will man es auf eine rechtlich sichere Grundlage stellen, neu eröffnet und eine völlig neue Ausschreibung (mit Bekanntgabe sämtlicher Auswahlkriterien) veröffentlicht werden. Insbesondere angesichts der immer weiter ablaufenden Restlaufzeit der Experimentierklausel (auslaufend zum 30. Juni 2019), auf die das Verwaltungsgericht verwiesen hat, und angesichts der aufgezeigten Konzeptionsfehler ist allerdings zunächst eine umgehende gesetzliche Neuregelung erforderlich.
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