BGH zu den Anforderungen an den Nachweis eines
Kartellschadens
Urteil vom 12. Juli 2016 - KZR 25/14 – Lottoblock II
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat sich damit
befasst, wie weit die Bindungswirkung an die Feststellung eines
Kartellrechtsverstoßes im Kartellverwaltungsverfahren reicht, wenn später
Schadensersatz wegen dieses Verstoßes begehrt wird, und welche Anforderungen
dabei an die Feststellung eines Schadens zu stellen sind.
Die Klägerin, eine gewerbliche Spielvermittlerin,
verlangt von der Beklagten, der Lottogesellschaft des Landes
Nordrhein-Westfalen, Schadensersatz wegen eines Kartellrechtsverstoßes.
Die Veranstaltung von Lotterien ist in Deutschland
grundsätzlich den Lottogesellschaften der Bundesländer vorbehalten, die sich
im Deutschen Lotto- und Totoblock (DLTB) zusammengeschlossen haben. Ab April
2005 versuchte die Klägerin mit verschiedenen Kooperationspartnern, eine
Vermittlung für Spieleinsätze bei den staatlichen Lotterien aufzubauen. Dazu
sollten Verkaufsstellen in Einzelhandelsgeschäften wie Supermärkten oder
Tankstellen errichtet werden ("terrestrischer Vertrieb"). Einnahmen
wollte die Klägerin aus Gebühren der Spielteilnehmer und Provisionszahlungen
der Lottogesellschaften erzielen. Der Rechtsausschuss des DLTB forderte die
Lottogesellschaften auf, Umsätze aus dem terrestrischen Vertrieb gewerblicher
Spielvermittler zurückzuweisen. Das Bundeskartellamt verbot daraufhin dem DLTB
und den Lottogesellschaften der Länder eine solche Aufforderung und die
Umsetzung des Beschlusses des Rechtsausschusses; diese Verfügung wurde durch
Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14. August 2008 rechtskräftig bestätigt
(KVR 54/07, WuW/E DE-R 2408 – Lottoblock I; s. Pressemitteilung des
Bundesgerichtshofs Nr. 155/2008 vom 14. August 2008).
Die Klägerin verlangt Ersatz entgangenen Gewinns für die
Jahre 2006 bis 2008. Sie macht geltend, wegen des Kartellrechtsverstoßes der
Lottogesellschaften habe sie das Vermittlungsgeschäft nicht wie geplant
aufbauen und entwickeln können.
Das Oberlandesgericht hat die Beklagte zur Zahlung von
Schadensersatz in Höhe von rund 11,5 Mio. € zuzüglich Zinsen verurteilt. Auf
die Revision der Beklagten hat der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs diese
Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Aufgrund der Entscheidung "Lottoblock I" steht
nach § 33 Abs. 4 GWB* für den Schadensersatzprozess bindend fest, dass die
Lottogesellschaften den Beschluss des Rechtsausschusses des DLTB befolgt und
durch ihr in dieser Weise abgestimmtes Verhalten gegen Kartellrecht verstoßen
haben. Anders als vom Oberlandesgericht angenommen, ergibt sich daraus jedoch
nicht, wie lange dieses kartellrechtswidrige Verhalten angedauert hat.
Allerdings durfte das Oberlandesgericht annehmen, dass
sich die Verhaltensabstimmung bis 2008 auf das Marktverhalten der
Lottogesellschaften ausgewirkt hat. Jedenfalls bei einer einmaligen
kartellrechtswidrigen Abstimmung, die auf zeitlich unbeschränkte
Wettbewerbswirkungen angelegt ist, spricht eine Vermutung dafür, dass sie von
den beteiligten Unternehmen dauerhaft beachtet wird und das Marktgeschehen
andauernd beeinflusst, solange sich die maßgeblichen Umstände nicht wesentlich
ändern. Diese Vermutung ist nicht, wie die Revision meint, mit der Zustellung
der Verfügung des Bundeskartellamts entfallen. Vielmehr ist für die Widerlegung
der Vermutung in einem solchen Fall erforderlich, dass sich ein an dem
Kartellrechtsverstoß beteiligtes Unternehmen offen und eindeutig von der
Abstimmung distanziert. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts ist dies
nicht geschehen.
Damit steht jedoch noch nicht fest, ob und gegebenenfalls
in welcher Höhe der Klägerin durch das abgestimmte Verhalten der
Lottogesellschaften ein Schaden entstanden ist. Für diese Beurteilung gilt zwar
die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1** ZPO, wobei § 252 Satz 2 BGB*** dem
Verletzten für die Darlegung und den Nachweis eines entgangenen Gewinns eine
ergänzende Beweiserleichterung in Form einer widerlegbaren Vermutung gewährt.
Das Oberlandesgericht hat aber bei der unter Beachtung dieses Maßstabs
vorzunehmenden Prüfung, ob und in welcher Höhe der Klägerin ein Schaden
entstanden ist, nicht alle erheblichen Umstände berücksichtigt.
So erscheint es mangels anderweitiger Feststellungen
möglich, dass die Lottogesellschaften trotz bestehender ökonomischer Anreize
für eine Kooperation mit der Klägerin auch ohne kartellrechtswidrige Abstimmung
bei autonomer unternehmerischer Entscheidung nicht oder nur zögernd und in
geringerem als von der Klägerin geplanten Umfang Vermittlungsverträge mit der
Klägerin abgeschlossen und Provisionen an sie gezahlt hätten. Dafür könnte ein
Wunsch, das bisherige Vertriebssystem für Lotterien zu schützen, und die
Unsicherheit über das künftige Glücksspielrecht sprechen, da das
Bundesverfassungsgericht zum damaligen Zeitpunkt eine Neuausrichtung des
Glücksspielrechts am Ziel der Vermeidung von Suchtgefahren für
verfassungsrechtlich geboten erklärt hatte. Außerdem hat das Oberlandesgericht
einen zwischen 2005 und 2008 bei den Lottogesellschaften eingetretenen
Umsatzrückgang sowie die zeitweise in mehreren neuen Bundesländern und Berlin
geltenden gesetzlichen Provisionsverbote bei gewerblicher Spielvermittlung bei
der Schadensberechnung nicht ausreichend berücksichtigt.
Vorinstanzen:
OLG Düsseldorf - Urteil vom 9. April 2014 – VI-U Kart
10/12 (WuW/E DE-R 4394)
LG Dortmund - Urteil vom 24. April 2012 – 25 O 5/11
Karlsruhe, den 12. Juli 2016
* § 33 GWB Unterlassungsanspruch, Schadensersatzpflicht
(…)
(4)Wird wegen eines Verstoßes gegen eine Vorschrift
dieses Gesetzes oder gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrages über die
Arbeitsweise der Europäischen Union Schadensersatz gefordert, ist das Gericht
an die Feststellung des Verstoßes gebunden, wie sie in einer bestandskräftigen
Entscheidung der Kartellbehörde, der Europäischen Kommission oder der
Wettbewerbsbehörde oder des als solche handelnden Gerichts in einem anderen
Mitgliedstaat der Europäischen Union getroffen wurde. Das Gleiche gilt für
entsprechende Feststellungen in rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen, die
infolge der Anfechtung von Entscheidungen nach Satz 1 ergangen sind. (…)
** § 287 ZPO Schadensermittlung; Höhe der Forderung
(1)Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden
entstanden ist und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse
belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände
nach freier Überzeugung. (…)
*** § 252 BGB Entgangener Gewinn
(…) Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem
gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere
nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit
erwartet werden konnte.
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
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Anmerkung von Rechtsanwalt Martin Arendts:
Die Lottoblock II-Entschekdung betrifft den mybet-Konzern, siehe die nachfolgende Pressemitteilung:
mybet Holding SE: Bundesgerichtshof verschiebt Entscheidungsverkündung im Westlotto-Verfahren auf den 12. Juli 2016
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Anmerkung von Rechtsanwalt Martin Arendts:
Die Lottoblock II-Entschekdung betrifft den mybet-Konzern, siehe die nachfolgende Pressemitteilung:
mybet Holding SE: Bundesgerichtshof verschiebt Entscheidungsverkündung im Westlotto-Verfahren auf den 12. Juli 2016
Kiel, 31. Mai 2016. Der Kartellsenat des Bundesgerichts hat den Termin zur Verkündung seiner Entscheidung im Revisionsverfahren SWS Service GmbH / Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG (BGH KZR 25/14) verschoben. Die SWS Service GmbH ist eine 100-prozentige Tochter der mybet Holding SE (ISIN DE000A0JRU67). Statt des ursprünglichen Termins am 7. Juni 2016 wird der Bundesgerichtshof die Entscheidung nun am 12. Juli 2016 bekannt geben. Als Begründung wurden dienstliche Gründe genannt.
Zum Hintergrund: Die SWS Service GmbH (vormals FLUXX GmbH) hatte 2008 Klage auf Schadensersatz wegen der illegalen, kartellrechtswidrigen Boykottierung ihres Geschäfts durch den Deutschen Lotto- und Totoblock eingereicht. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte daraufhin im April 2014 die Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG zur Zahlung eines Schadenersatzes in Höhe von 11,5 Mio. Euro zuzüglich Zinsen verurteilt. Die Revision ließ das Oberlandesgericht nicht zu. Der daraufhin von der Westdeutschen Lotterie GmbH & Co. OHG eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde wurde durch den Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 3. März 2015 stattgegeben.
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