Neue Vorlage an den EuGH durch das Bezirksgericht Linz
von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Nach den bislang bekannten drei Vorlagen aus Österreich zum Glückspielrecht (Rechtssachen Engelmann – Rs. C-64/08, Langer – Rs. 235/08 und Formato – Rs. C-116/09) stehen nunmehr die maßgeblichen österreichischen Regelungen zu Lotterien und Spielbanken auf dem Prüfstand des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Das Bezirksgerichts (BG) Linz hat im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 234 EG-Vertrag den EuGH um Auslegung des Gemeinschaftsrechts im Hinblick auf das österreichische Glücksspielgesetz gebeten. Der EuGH hat die als Rechtssache C-347/09 geführten Vorlagefragen kürzlich veröffentlicht.
Kritisch sieht das BG Linz u. a. die an die Firma Casinos Austria AG erteilten zwölf Spielbankenkonzessionen und deren Verlängerung ohne öffentliche Ausschreibung oder Bekanntgabe. Im Rahmen der europarechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit will das Gericht vom EuGH die Bedeutung einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilten behördlichen Genehmigung umfassend und unter unterschiedlichen Gesichtspunkten geklärt haben (Zulassungs- und Aufsichtsverfahren im Herkunftsstaat, vergleichbares Schutzniveau im Herkunftsstaat, Kontrollen und im Herkunftsstaat geleistete Sicherheiten etc.). Die mehrere Seiten umfassende, aus vier Punkten (mit zahlreichen Nachfragen) bestehende Fragestellung ist unten dokumentiert.
Eine Entscheidung des EuGH in dieser Sache könnte zu einer abschließenden Klärung der europarechtlichen Beurteilung des binnengrenzüberschreitenden Angebots von Glücksspielen führen. Ein entsprechendes Urteil des EuGH hätte weit über Österreich hinaus Bedeutung. Die sehr umfassende Fragestellung des BG Linz ergänzt die zahlreichen bereits anhängigen Vorlageverfahren (vgl. hierzu zuletzt Arendts, Europäisches Glücksspielrecht: Eine unendliche Geschichte? - Weitere Vorlageverfahren zu Wetten und Glücksspielen, ZfWG 2008, 422 ff.). So verhandelt der EuGH bereits in einem Monat, am 8. und 9. Dezember 2009, die insgesamt acht Vorlageverfahren aus Deutschland. Auch die beide Verfahren aus den Niederlanden sollen bald verhandelt werden.
* * *
Vorlagefragen des Bezirksgerichts Linz
1. a) Sind die Artikel 43 und 49 EG dahingehend auszulegen, dass sie einer mitgliedsstaatlichen Regelung wie jener der §3 in Verbindung mit §§ 14f und 21 österreichisches Glückspielgesetz grundsätzlich entgegen stehen, wonach
- eine Konzession für Ausspielungen (z.B. Lotterien, elektronische Lotterien usw.) nur einem einzigen Konzessionswerber für eine Dauer bis zu 15 Jahren erteilt werden darf, der unter anderem eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland zu sein hat, keine Filialbetriebe außerhalb Österreichs errichten darf, über ein eingezahltes Stamm- bzw. Grundkapital von mindestens EUR 109.000.000,- verfügen muss und aufgrund der Umstände erwarten lässt, für den Bund den besten Abgabenertrag zu erzielen;
- eine Konzession für Spielbanken nur an höchsten zwölf Konzessionswerber für eine Dauer bis zu 15 Jahren erteilt werden darf, die unter anderem eine Aktiengesellschaft mit Sitz im Inland zu sein haben, keine Filialbetriebe außerhalb Österreichs errichten dürfen, über ein eingezahltes Grundkapital von EUR 22.000.000,- verfügen müssen und aufgrund der Umstände erwarten lassen, für die Gebietskörperschaften den besten Abgabenertrag zu erzielen?
Diese Fragen stellen sich insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Casinos Austria AG Inhaber aller zwölf Spielbankenkonzessionen ist, welche am 18.12.1991 für die Höchstdauer von 15 Jahren erteilt und in der Zwischenzeit ohne öffentliche Ausschreibung oder Bekanntgabe verlängert wurden.
b) Wenn ja, kann eine solche Regelung auch dann aus Gründen des Allgemeininteresses an einer Begrenzung der Wetttätigkeit gerechtfertigt werden, wenn die Konzessionsinhaber in einer quasi-monopolistischen Struktur ihrerseits durch intensiven Werbeaufwand eine expansionistische Politik im Bereich des Glückspiels betreiben?
c) Wenn ja, ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer solchen Regelung, die das Ziel verfolgt, dadurch Straftaten vorzubeugen, indem die auf diesem Gebiet tätigen Wirtschaftsteilnehmer einer Kontrolle unterworfen und Glückspieltätigkeiten so in Bahnen gelenkt werden, die diesen Kontrollen unterliegen, vom vorliegenden Gericht zu beachten, dass dadurch auch grenzüberschreitende Dienstleistungsanbieter erfasst werden, die ohnehin im Mitgliedsstaat der Niederlassung mit ihrer Konzession verbundenen strengen Auflagen und Kontrollen unterliegen?
2. Sind die Grundfreiheiten des EG-Vertrages, insbesondere der freie Dienstleistungsverkehr nach Art. 49 EG, dahingehend auszulegen, dass ungeachtet der fortbestehenden grundsätzlich mitgliedsstaatlichen Zuständigkeit zur Regelung der Strafrechtsordnung auch eine mitgliedstaatliche Strafbestimmung dann am Gemeinschaftsrecht zu messen ist, wenn sie die Ausübung einer der Grundfreiheiten zu unterbinden oder zu behindern geeignet ist?
3. a) Ist Art. 49 EG in Verbindung mit Art. 10 EG dahingehend auszulegen, dass die im Niederlassungsstaat eines Dienstleistungserbringers durchgeführten Kontrollen und dort geleisteten Sicherheiten im Sinne des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens im Staat der Dienstleistungserbringung zu berücksichtigen sind?
b) Wenn ja, ist Art. 49 EG weiters dahingehend auszulegen, dass im Fall einer aus Gründen des Allgemeininteresses vorgenommene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darauf zu achten ist, ob diesem Allgemeininteresse nicht bereits durch die Rechtsvorschriften, Kontrollen und Überprüfungen ausreichend Rechnung getragen wird, denen der Dienst leistende in dem Staat unterliegt, in dem er ansässig ist?
c) Wenn ja, ist bei der Überprüfung der Verhältnismäßigkeit einer mitgliedstaatlichen Bestimmung, die das grenzüberschreitende Anbieten von Glücksspieldienstleistungen ohne inländische Lizenz mit Strafe bedroht, zu berücksichtigen, dass den vom Staat der Dienstleistungserbringung zur Rechtfertigung der Beschränkung der Grundfreiheit herangezogenen ordnungspolitischen Interessen schon im Staat der Niederlassung durch ein strenges Zulassungs- und Aufsichtsverfahren ausreichend Rechnung getragen wird?
d) Wenn ja, hat das vorliegende Gericht dabei im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer solchen Beschränkung zu berücksichtigen, dass die betreffenden Vorschriften in dem Staat, in dem der Dienstleistende ansässig ist, an Kontrolldichte über jene des Staates der Dienstleistungserbringung sogar hinaus gehen?
e) Erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Falle eines aus ordnungspolitischen Gründen wie dem Spielerschutz und der Kriminalitätsbekämpfung vorgenommenen Strafbewertenverbots des Glücksspiels weiters, dass vom vorliegenden Gericht eine Unterscheidung vorgenommen wird zwischen jenen Anbietern einerseits, die ohne jegliche Genehmigung Glücksspiele anbieten, und jenen andererseits, die in anderen Mitgliedsstaaten der EU niedergelassen und konzessioniert sind und unter Inanspruchnahme ihrer Dienstleistungsfreiheit tätig werden?
f) Ist schließlich bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer mitgliedsstaatlichen Bestimmung, die das grenzüberschreitende Anbieten von Glückspieldienstleistungen ohne inländische Konzession oder Genehmigung unter Strafdrohung verbietet, zu berücksichtigen, dass es einem ordnungsgemäß in einem anderen Mitgliedsstaat lizenzierten Anbieter von Glücksspielen aufgrund objektiver mittelbar diskriminierender Zugangsschranken nicht möglich war, eine inländische Lizenz zu erlangen und das Lizenzierungs- und Aufsichtsverfahren im Staat der Niederlassung ein dem innerstaatlichen, zumindest vergleichbares Schutzniveau aufweist?
4. a) Ist Art. 49 EG dahingehend auszulegen, dass der vorübergehende Charakter der Dienstleistungserbringung für den Dienstleistenden die Möglichkeit ausschließen würde, sich im Aufnahmemitgliedsstaat mit einer bestimmten Infrastruktur (wie etwa einem Server) auszustatten, ohne ihn als in diesem Mitgliedsstaat niedergelassen anzusehen?
b) Ist Art. 49 EG weiters dahingehend auszulegen, dass ein an inländische Supportleister gerichtetes Verbot, einem Dienstleister, der seinen Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat hat, die Erbringung seiner Dienstleistung zu erleichtern, auch dann eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dieses Dienstleistungserbringers darstellt, wenn die Supportleister in demselben Mitgliedsstaat wie ein Teil der Empfänger der Dienstleistung ansässig sind?
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