von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) musste sich in seinem Urteil vom 14. Juli 2011 mit der Auslegung der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie (Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977) hinsichtlich von Wettbürobetreibern beschäftigen. Anders als bei Call-Center-Dienstleistungen (EuGH-Urteil United Utilities, Rs. C-89/05) bejahte der EuGH in diesem Fall die Steuerfreiheit von Wettbürobetreibern, da diese im eigenen Namen auftraten.
In den Urteilsgründen führt der EuGH wie folgt aus (Rn. 32 ff.):
"Das Ausgangsverfahren unterscheidet sich jedoch in mehreren Punkten von dem, das zum Urteil United Utilities geführt hat. Zum einen ist nämlich die Tätigkeit der Wettbürobetreiber insbesondere insofern anders als die der genannten Call-Center, als Wettbürobetreiber den Wettern bekannt sind, die Annahme einer Wette jederzeit ganz oder teilweise verweigern können, ohne dies begründen zu müssen, und auch für die Auszahlung der Gewinne an die Wetter zuständig sind. Zum anderen betraf die Rechtssache, die zum genannten Urteil führte, die Annahme von Wetten im Namen des Wettorganisators, während sich die im Ausgangsverfahren aufgeworfene Frage ausdrücklich auf die Situation eines Wirtschaftsteilnehmers bezieht, der für die Annahme der genannten Wetten zwar für Rechnung des Wettorganisators, jedoch im eigenen Namen auftritt.
Ein solches Auftreten im eigenen Namen bedeutet, dass, anders als es in der Rechtssache, die dem Urteil United Utilities zugrunde lag, gemäß dessen Randnr. 27 der Fall war, das Rechtsverhältnis nicht unmittelbar zwischen dem Wetter und dem Unternehmen, für dessen Rechnung der hinzutretende Wirtschaftsteilnehmer tätig wird, sondern zwischen diesem Wirtschaftsteilnehmer und dem Wetter auf der einen und diesem Wirtschaftsteilnehmer und dem genannten Unternehmen auf der anderen Seite entsteht.
Was die Beurteilung eines solchen Auftretens in Bezug auf die Mehrwertsteuer angeht, bestimmt Art. 6 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie, dass Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, so behandelt werden, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.
Diese Vorschrift begründet somit die juristische Fiktion zweier gleichartiger Dienstleistungen, die nacheinander erbracht werden. Gemäß dieser Fiktion wird der Wirtschaftsteilnehmer, der bei der Erbringung von Dienstleistungen hinzutritt und Kommissionär ist, so behandelt, als ob er zunächst die fraglichen Dienstleistungen von dem Wirtschaftsteilnehmer, für dessen Rechnung er tätig wird und der Kommittent ist, erhalten hätte und anschließend diese Dienstleistungen dem Kunden selbst erbrächte. In dem zwischen Kommittent und Kommissionär bestehenden Rechtsverhältnis werden also ihre jeweiligen Rollen als Dienstleister und als Zahler in Bezug auf die Mehrwertsteuer fiktiv vertauscht.
Da Art. 6 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie in deren Abschnitt V („Steuerbarer Umsatz“) fällt und allgemein gefasst ist, ohne Beschränkungen in Bezug auf seinen Anwendungsbereich oder seine Tragweite zu enthalten, betrifft die mit dieser Vorschrift geschaffene Fiktion auch die Anwendung von nach der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiungen von der Mehrwertsteuer. Wenn demzufolge die Erbringung von Dienstleistungen, bei der der Kommissionär hinzutritt, von der Mehrwertsteuer befreit ist, gilt diese Befreiung auch im Rechtsverhältnis zwischen Kommittent und Kommissionär."
Aufgrund dessen hält der EuGH in seinem Urteilstenor fest:
"Die Art. 6 Abs. 4 und Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer bei der Annahme von Wetten, die nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sind, im eigenen Namen, aber für Rechnung eines die Tätigkeit eines Wettannehmers ausübenden Unternehmens auftritt, dieses Unternehmen gemäß Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie so behandelt wird, als ob es dem genannten Wirtschaftsteilnehmer Wettdienstleistungen erbrächte, die unter die genannte Steuerbefreiung fallen."
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