Donnerstag, 27. Oktober 2011

EMNID Studie: Glücksspiel in Deutschland - Verbote schützen nicht

Bielefeld/Frankfurt/M. - Im Vorfeld der politischen Diskussion um eine neue Glückspielordnung in Deutschland hat TNS Emnid im Frühjahr in einer groß angelegten repräsentativen Meinungsumfrage das Geldspielverhalten der Deutschen untersucht. Um statistisch belastbares Datenmaterial über das Verhalten aller Glücksspieler, auch der kleinen Zahl der problematischen und pathologischen, zu erhalten, musste TNS Emnid 15.000 Interviews durchführen.

Das Ergebnis: Knapp zwei Drittel der erwachsenen Deutschen haben in den vergangenen 12 Monaten wenigstens einmal mit und um Geld gespielt. Von diesen Glücksspielern spielen 61% Lotto, 29% Fernsehlotterien, 10% Kartenspiele um Geld; 6% Poker um Geld, 6% Staatliche Klassenlotterien, 5% Geld-Gewinn-Spielgeräte in Gaststätten oder Spielstätten, 5% Fußballtoto, 4% Roulette etc. in Spielbanken und 3% Sport- und Pferdewetten. Im Durchschnitt spielen die Glücksspieler zwei unterschiedliche Spielformen, krankhafte Spieler hingegen beteiligen sich an fünf Spielarten parallel - und zwar häufig und intensiv. Die Studie von TNS Emnid räumt mit dem Vorurteil auf, dass krankhafte Spieler auf ein spezielles Spiel fixiert seien. So gibt es weder den krankhaften Wett-Freak noch den zwanghaften Automaten-Zocker. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass es in der erwachsenen deutschen Bevölkerung einen verschwindend geringen Prozentsatz (0,23 %) krankhafter Spieler gibt, die gleichzeitig auf alles "zocken", was ihr krankhaftes Spielbedürfnis befriedigt. Hier legt die Untersuchung ein radikales Umdenken nahe. Wenn es um die Eindämmung und Bekämpfung krankhaften Spielverhaltens geht, gehört die Spielerpersönlichkeit ins Zentrum der Betrachtung und nicht das Spiel, dem der krankhafte Spieler mehr oder minder zufällig frönt. "Dies stellt", so K.P. Schöppner, Geschäftsführer von TNS Emnid", die Spielerschutz-Politik vor neue Herausforderungen." Henning Haase, Professor für Psychologie an der Universität Frankfurt/M., der die Untersuchung wissenschaftliche begleitet hat, konkretisiert: "Wer eine Spielform bekämpft und meint, damit das Problem des krankhaften Spielens in den Griff zu bekommen, der irrt". Vielmehr lassen die Ergebnisse der Studie erwarten, dass die Zurückdrängung oder gar das Verbot eines Spielangebotes, den krankhaften Spieler nicht dazu bringt, mit dem Spielen aufzuhören, sondern ihn nur dazu treibt, die Spielformen zu wechseln.

Welche Glücksspiele bevorzugt werden, hängt davon ab, welche Spielformen in "Griffnähe" und somit für den Spieler am leichtesten erreichbar und welche Spielformen gerade "angesagt" sind, wie sehr gut am inzwischen wieder abklingenden Poker-Hype erkennbar ist. Dem Bedürfnis nach "Spielvergnügen rund um die Uhr" kommt das faktisch unregulierbare und unkontrollierbare Spielangebot im Internet entgegen. Ca. drei Viertel der erwachsenen Bevölkerung ist online, aber nur 1,3% aller Befragten besuchen mindestens einmal im Monat eine Spielhalle oder Spielothek; und 0,7% eine staatliche Spielbank. Hier stehen das regulierte und kontrollierbare "körperliche" Spiel in Gast- und Spielstätten und das unregulierte, aber doch zumindest kontrollierbare Spiel in den Spielbanken im direkten Wettbewerb mit dem virtuellen Glücksspiel im Internet, das der nationalstaatlichen Kontrolle entzogen ist. "Die TNS Emnid-Studie", so Professor Haase, "legt mit diesen Ergebnissen das Dilemma offen, in dem sich die deutsche Glücksspielpolitik befindet. Entscheidet sie sich für das bestehende kontrollierbare stationäre Spielangebot in Lottoannahmestellen, Spielbanken, Wettbüros und Spielhallen oder überlässt sie den Geld- und Glücksspielmarkt den unregulierbaren Angeboten im Internet?"

Die TNS Emnid-Studie zeigt weiterhin, dass sich die Beteiligung an den meisten Glücksspielen in der Regel auf bestimmte Lebensphasen beschränkt; Lottospieler sind im Durchschnitt etwa doppelt so alt wie Pokerspieler. Jedenfalls scheint die Beteiligung an Geld- und Glücksspielen kein lebenslanges Schicksal zu sein. Die meisten der Spieler hören einfach auf damit, wenn sie keine Lust mehr dazu haben. Ähnlich wie beim Sport ist auch beim Spiel die Herausforderung in Bezug auf die Reaktionsschnelligkeit und sonstige Kompetenzen ein wesentliches Kriterium dafür, wann eine "Spielerkarriere" endet. Im Vergleich zum Lottospieler, der nur den Lottoschein ausfüllen muss, ist die "Karriere" eines Automatenspielers kurz, denn moderne Geldspiel-Automaten verlangen hohe Aufmerksamkeit und Reaktionsschnelligkeit, die mit zunehmendem Lebensalter geringer werden. Dementsprechend sinkt die Attraktivität dieser speziellen Spielangebote und veranlasst die Spieler, sich in anderen Spielformen zu versuchen. Compu-terbasierte Spielformen - wie z.B. das Automatenspiel in Spielhallen - sind wegen ihrer Schnelligkeit offensichtlich weniger geeignet, Spieler langfristig zu binden wie dies "langsame" Glücksspiele wie Lotto, aber auch Sportwetten tun. Deswegen verwundert der Befund der Studie auch nicht, dass Geld-Automatenspieler in den höheren Alters-Jahrgängen kaum noch anzutreffen sind.

"Die tatsächliche Bedeutung des Spielens mit und um Geld, wie wir sie statistisch zuverlässig gemessen haben, ist weit geringer, als ihr in der aktuellen politischen Diskussion beigemessen wird. Auch das pathologische Spielverhalten, die Spielsucht, ist im Vergleich zu anderen Suchtformen relativ unbedeutend," kommentiert Professor Haase die Ergebnisse des TNS Emnid-Untersuchung. Eine Spielerschutz-Politik, die ich ausschließlich mit der Frage beschäftige, welche Glücksspielangebote zugelassen und wie sie reguliert werden sollen, gehe am Kernpunkt vorbei. "Wer Spieler wirksam schützen will, der muss ihre Kompetenz im Umgang mit risikoreichen Spielen fördern. Denn bei der Allgegenwärtigkeit von Glücksspielangeboten im Internet, sind Verbote weitgehend nutzlos", resümiert Haase. "Im schlimmsten Fall können sie sogar das Gegenteil bewirken. Wer ein Wettbüro oder eine Spielhalle verbietet, treibt den Spieler aus dem gesetzlich geregelten und sozial kontrollierten ´Spielraum` in die Anonymität des unkontrollierbaren Internets."

Befragte: 15.000

Zeitraum: Frühjahr 2011

Auftraggeber und Deklaration möglicher Interessenkonflikte Bei dieser Studie handelt sich um die erste große repräsentative Untersuchung zum Glücksspielverhalten in Deutschland, die nicht mit Fördermitteln aus der Glücksspielabgabe der Unternehmen, die dem staatlichen Glücksspielmonopols unterliegen, durchgeführt wurde. Die Studie wurde im Auftrag der AWI - Automaten-Wirtschaftsverbände-Info GmbhH in der Zeit von Februar bis Juni 2011 durchgeführt. Die Mitarbeiter der Studie waren unabhängig in der Auswahl der Untersuchungsinstrumente und Fragestellungen, der Planung der Untersuchung sowie in der Auswertung und Interpretation der Ergebnisse.

Die komplette Studie wird am Mittwoch, den 2. November 2011 um 11.00 Uhr im dbb forum berlin, Friedrichstraße 169/170, 10117 Berlin vorgestellt. Interessierte Journalisten können sich per E-Mail mc.gruetzner(at)wmp-ag.de anmelden.

Pressekontakt:
Bei Nachfragen: Prof. Dr. Henning Haase, +49 69 77 66 05

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