Freitag, 24. November 2017

Lotteriemonopol rechtswidrig: Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts München verstößt das Monopol gegen Unionsrecht und Verfassungsrecht

Erstmalig hat ein deutsches Gericht das von den deutschen Ländern beanspruchte Lotteriemonopol als rechtwidrig beurteilt. Damit sind die Milliardeneinnahmen für die Länder aus den von ihnen angebotenen Glücksspielen gefährdet.

Das Verwaltungsgericht München kommt in seinem von der Kanzlei ARENDTS ANWÄLTE erstrittenen Urteil zu dem Schluss, dass das deutsche Lotteriemonopol in seiner derzeitigen Ausgestaltung sowohl gegen die unionsrechtlich garantierte Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56 ff AEUV als auch gegen die verfassungsrechtlich garantierte Berufswahlfreiheit gem. Art. 12 GG verstößt.

Die in Bayern ansässige Klägerin hatte sich im Oktober 2010 an die für die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis zur Veranstaltung von Lotterien mit nicht nur geringem Gefährdungspotential zuständige Regierung der Oberpfalz gewandt und sich nach einer Erlaubnismöglichkeit für die Veranstaltung einer Zahlenlotterie im Freistaat Bayern erkundigt. Daraufhin erhielt sie eine „Checkliste für eine Erlaubniserteilung zur Veranstaltung öffentlicher Glücksspiele“. Basierend auf den stichpunktartigen Erläuterungen der (nicht veröffentlichten) Checkliste stellte die Klägerin einen Antrag auf Erlaubnis zur Veranstaltung einer Zahlenlotterie im Freistaat Bayern. Aufgrund der unklaren Auskünfte, die die Klägerin auf mehrmalige Nachfragen zu den Erlaubnisvoraussetzungen von der Regierung der Oberpfalz erhielt, besserte die Klägerin ihren Erlaubnisantrag mehrfach nach. Die Regierung der Oberpfalz begründete auf Anweisung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern den Ablehnungsbescheid ausschließlich damit, dass die Klägerin nach Auffassung der Behörde materielle Erlaubnisvoraussetzungen nicht erfülle.

Gegen den Ablehnungsbescheid der Regierung der Oberpfalz erhob die Klägerin nach einem fast eineinhalb Jahre dauernden Verwaltungsverfahren 2012 Klage zum Verwaltungsgericht München. Bemerkenswerterweise erklärte die Regierung der Oberpfalz erst im ersten mündlichen Verhandlungstermin und auch erst auf mehrmaliges Nachfragen der Vorsitzenden Richterin man gehe von der Anwendbarkeit der Monopolregelungen aus, da man diese für verfassungs- und unionsrechtskonform halte.

Dem widersprach das Verwaltungsgericht München in seinem Urteil vom 25. Juli 2017, bei dem kürzlich die Urteilsgründe zugestellt wurden. Nach Ansicht des Gerichts ist das in § 10 Abs. 2 und Abs. 6 des zwischen den Ländern abgeschlossenen Glücksspielstaatvertrag (GlüStV) verankerte Lotteriemonopol wegen der Werbepraxis der Landeslotteriegesellschaften aus unionsrechtlicher Sicht wegen Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56 AEUV nicht anwendbar und zudem verfassungswidrig.

Das Gericht stützt sich auf mehrere Gesichtspunkte. So berücksichtige bereits die Werberichtlinie der Länder, welche die § 5 Abs. 1 bis 3 GlüStV hinsichtlich erlaubter Werbung konkretisiert, nicht strikt die vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) und vom Bundesverwaltungsgericht herausgearbeiteten Kriterien, die zur Rechtfertigung eines Glücksspielmonopols einzuhalten sind. Das Verwaltungsgericht München weist diesbezüglich darauf hin, dass § 3 Abs. 3 Satz 4 der Werberichtlinie entgegen den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts ausdrücklich Imagewerbung erlaube. Nach § 5 Nr. 1 Satz 2 und 3 der Werberichtlinie dürfe überdies attraktiv geworben und der gemeinnützige Charakter der Lotterien in den Vordergrund gestellt werden.

Auch werde die Werbepraxis den Anforderungen der Rechtsprechung nicht gerecht. Das Verwaltungsgericht begründet dies anhand zahlreicher Werbemaßnahmen der Monopolträger, die von der Klägerin in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegt wurden. Zur systematisch betriebenen unzulässige Werbepraxis der Landeslotteriegesellschaften im Bereich der Zahlenlotterien verweist das Verwaltungsgericht auf die unzulässige Werbung der Landeslotteriegesellschaften mit gezielt beworbenen hohen Jackpotsummen in Form von Radio- und Fernsehspots. Unzulässige Jackpotwerbung finde sich zudem in Newslettern und in Kundenmagazinen der Landeslotteriegesellschaften, in sozialen Netzwerken, in Bannerwerbung auf Nachrichtenseiten im Internet sowie auf den Internetstartseiten der Landeslotteriegesellschaften.

Nach Überzeugung des Verwaltungsgerichts werden durch die Jackpot-Werbung der Landeslotteriegesellschaften die Gewinnwünsche der Bürger angeregt und bislang Unentschlossene zum Mitspielen angeregt. Oftmals werde der in Aussicht gestellte hohe Gewinn mit einem künftig (vermeintlich) besseren Leben ohne den Zwang, den Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen zu müssen, verknüpft, um Gewinnbegehrlichkeiten zu wecken. Somit werden mit der Jackpot-Werbung nicht nur bereits vorhandene Spielleidenschaften angesprochen, um sie in geordnete Bahnen zu lenken, sondern bei bislang Nicht-Spielinteressierten erstmalig Spielanreize geschaffen bzw. bei bereits Spielinteressierten ein gesteigertes Bedürfnis nach Glücksspielen hervorgerufen. Darüber hinaus werde nach Auffassung des Gerichts von den Monopolträgern eine unzulässige Image- und Sympathiewerbung betrieben.

Als unzulässiger Anreiz zur Glücksspielteilnahme wirkten ferner die Verlautbarungen der Landeslotteriegesellschaften über Millionäre, insbesondere wenn sie mit der Angabe des vergleichsweise geringen Spieleinsatzes des Gewinners verbunden würden.

Folglich kommt das Verwaltungsgericht München in seinem Urteil zu dem Schluss, dass die Regelungen in der Werberichtlinie und die darauf basierende Werbepraxis für hohe Jackpotgewinne zu werben, weit über eine Kanalisierungs- und Lenkungsfunktion von am öffentlichen Glücksspiel interessierten Personen hinausgingen. Durch die praktizierte Jackpotwerbung würden aktiv und deutlich Anreize gesetzt werden, an öffentlichem Glücksspiel, Zahlenlotterien, teilzunehmen. Durch eine solche Werbepraxis werde letztlich auch den Zielen des GlüStV nicht mehr genüge getan.

Das Verwaltungsgericht München lehnt eine Neuverbescheidung des Genehmigungsantrags der Klägerin schließlich mit dem Argument ab, dass die (gesetzlich allerdings nicht als Voraussetzung geregelte) finanzielle Leistungsfähigkeit nicht hinreichend nachgewiesen worden sei. In der von der Regierung der Oberpfalz an die Klägerin verschickten (nicht veröffentlichten) „Checkliste“ forderte sie allerdings lediglich die Vorlage eines sog. Vertriebskonzeptes.

Rechtsanwalt Clemens Schmautzer von der Kanzlei ARENDTS ANWÄLTE verweist auf die wirtschaftliche Bedeutung des rechtlich nicht mehr haltbaren Lotteriemonopols: „Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts München dürften bei den Bundesländern, die seit dem grundlegenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006, Az. 1 BvR 1054/01, mehr schlecht als recht versuchen, sich die Einnahmen aus der Lotterieveranstaltung auch weiterhin zu sichern, für Panikattacken sorgen.“

Nach Auffassung von Rechtsanwalt Martin Arendts sind die Länder und wenn diese es nicht schaffen, dann der Bund, aufgefordert, endlich eine rechtlich haltbare Regelung zu schaffen: „Dafür bedarf es eines großen Wurfs. Es war ein grober taktischer Fehler, das sich die Länderchefs auf der Ministerpräsidentenkonferenz am 17. März 2016 lediglich zu minimalinvasiven Eingriffen in das bestehende Regelungswerk des GlüStV entschließen konnten. So hatte das Land Hessen, nachdem das Sportwettkonzessionsverfahren von den Ländern aufgrund seiner unionsrechtswidrigen Ausgestaltung an die Wand gefahren worden war, einen Entwurf zur grundlegenden Neuregelung des Glücksspielwesens vorgelegt.“

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Ansprechpartner:

Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Rechtsanwalt Clemens Schmautzer

Rechtsanwaltskanzlei ARENDTS ANWÄLTE
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D - 82031 Grünwald
Tel. ++49 / 89 / 64 91 11 – 75
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Freitag, 27. Oktober 2017

Vorlage aus Ungarn an den EuGH zur Kohärenz der nationalen Glücksspielregelungen (Rechtssache "Sporting Odds")

Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Ungarn),
 eingereicht am 3. Januar 2017 – 
Sporting Odds Limited/Nemzeti Adó- és Vámhivatal Központi Irányítása

(Rechtssache C-3/17)
Verfahrenssprache: Ungarisch

Vorlegendes Gericht
Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság

Parteien des Ausgangsverfahrens
Klägerin: Sporting Odds Limited
Beklagte: Nemzeti Adó- és Vámhivatal Központi Irányítása

Vorlagefragen

Sind Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden: AEUV), das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Begrenzung von Glücksspieltätigkeiten, deren gesetzliches Ziel dem Mitgliedstaat zufolge im Wesentlichen die Bekämpfung der Spielsucht und der Verbraucherschutz sein soll, in einer kohärenten und systematischen Weise erfolgen muss, dahin auszulegen, dass das nationale Monopol des Mitgliedstaates auf On- und Offline veranstaltete Sport- und Pferdewetten im Widerspruch zu ihnen steht, wenn im Übrigen in dem Mitgliedstaat seit der durch ihn vorgenommenen Neuordnung des Marktes private Anbieter andere Online- und Offline-Glücksspiele (Kasinospiele, Kartenspiele, Geldspielautomaten, Online-Kasinospiele und Online-Kartenspiele), die eine erhebliche Suchtgefahr in sich bergen, im Rahmen einer Konzession in Präsenzspielbanken veranstalten dürfen?

Sind Art. 56 AEUV, das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Begrenzung von Glücksspieltätigkeiten in einer kohärenten und systematischen Weise erfolgen muss, dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen diesen Artikel vorliegt und dieses Erfordernis nicht erfüllt ist, wenn sich feststellen lässt, dass die mit der Bekämpfung der Spielsucht und dem gesetzlichen Ziel des Verbraucherschutzes begründete Neuordnung der Marktstruktur in Wirklichkeit zur Folge hat oder bewirkt, dass seit der durch den Mitgliedstaat vorgenommenen Neuordnung des Marktes die Zahl der Spielbanken, die jährlichen Steuern auf Glücksspiele in Spielbanken, die in der staatlichen Haushaltsplanung vorgesehenen Einnahmen aus Gebühren für Spielbankkonzessionen, die von Spielern erworbenen Spielmarken und die zum Erwerb des Spielrechts an Geldspielautomaten erforderlichen Geldbeträge fortlaufend zunehmen?

Sind Art. 56 AEUV, das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Begrenzung von Glücksspieltätigkeiten in einer kohärenten und systematischen Weise erfolgen muss, dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen diesen Artikel vorliegt und dieses Erfordernis nicht erfüllt ist, wenn sich feststellen lässt, dass neben die im Wesentlichen mit der Bekämpfung der Spielsucht und dem gesetzlichen Ziel des Verbraucherschutzes begründete Einführung eines staatlichen Monopols und die zugelassene Veranstaltung von Glücksspielen durch private Anbieter das wirtschaftspolitische Ziel tritt, höhere Nettoeinnahmen aus den Spielen zu erzielen und in möglichst kurzer Zeit außerordentlich hohe Erträge auf dem Spielbankenmarkt zu generieren, um andere Ausgaben aus dem Staatshaushalt und öffentliche Aufgaben zu finanzieren?

Sind Art. 56 AEUV, das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Begrenzung von Glücksspieltätigkeiten in einer kohärenten und systematischen Weise erfolgen muss, dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen diesen Artikel vorliegt und dieses Erfordernis nicht erfüllt ist sowie eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Anbietern vorliegt, wenn sich feststellen lässt, dass der Mitgliedstaat – unter Berufung auf ein und denselben Grund der öffentlichen Ordnung – einige Online-Glücksspielangebote dem staatlichen Monopol vorbehält, während er den Zugang zu anderen Glücksspielangeboten ermöglicht, indem er eine steigende Zahl von Konzessionen vergibt?

Sind Art. 56 AEUV und das Diskriminierungsverbot dahin auszulegen, dass es mit ihnen unvereinbar ist, wenn ausschließlich Anbieter, die über eine Präsenzspielbank (mit Konzession) in Ungarn verfügen, eine Genehmigung für Online-Kasinospiele erhalten können, weshalb Anbieter, die nicht über eine Präsenzspielbank in Ungarn verfügen (einschließlich solcher Anbieter, die in einem anderen Mitgliedstaat über eine Präsenzspielbank verfügen), von Genehmigungen für Online-Kasinospiele ausgeschlossen sind?

Sind Art. 56 AEUV und das Diskriminierungsverbot dahin auszulegen, dass es zu ihnen im Widerspruch steht, wenn der Mitgliedstaat durch eine eventuelle Ausschreibung von Konzessionen für Präsenzspielbanken bzw. dadurch, dass er es zuverlässigen Glücksspielveranstaltern erlaubt, sich um eine Konzession für eine Präsenzspielbank zu bewerben, zwar die grundsätzliche Möglichkeit gewährleistet, dass jeder Anbieter, der die gesetzlichen Vorgaben erfüllt – auch solche, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind – eine Konzession für eine Präsenzspielbank und, wenn er eine solche besitzt, die Genehmigung für eine Online-Spielbank erhalten kann, der fragliche Mitgliedstaat aber keine öffentliche und transparente Ausschreibung der Vergabe von Konzessionen durchführt und der Anbieter in der Praxis auch nicht die Möglichkeit hat, eine Bewerbung abzugeben und die Behörden des Mitgliedstaats demgegenüber feststellen, dass der Anbieter widerrechtlich gehandelt habe, als er ohne Genehmigung tätig geworden sei, und gegen ihn eine als verwaltungsrechtlich eingestufte Sanktion verhängen?

Sind Art. 56 AEUV, das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass das Genehmigungsverfahren transparent, objektiv und öffentlich sein muss, dahin auszulegen, dass es zu ihnen im Widerspruch steht, wenn der Mitgliedstaat ein System zur Ausschreibung von Konzessionen für bestimmte Glückspielangebote schafft, aber gleichzeitig die Stelle, die über die Konzessionen entscheidet, anstatt die Konzessionen auszuschreiben, auch Konzessionsverträge mit einzelnen Personen abschließen kann, die als zuverlässige Glücksspielveranstalter eingestuft sind, statt allen Anbietern mit einer einzigen Ausschreibung zu ermöglichen, zu gleichen Bedingungen am Vergabeverfahren teilzunehmen?

Für den Fall, dass die siebte Frage zu verneinen ist und dass in dem betreffenden Mitgliedstaat unterschiedliche Verfahren für die Vergabe identischer Konzessionen geschaffen werden dürfen: Muss der Mitgliedstaat in Anwendung von Art. 56 AEUV unter Berücksichtigung des Erfordernisses, dass das Genehmigungsverfahren transparent, objektiv und öffentlich sein muss, und des Gleichbehandlungsgrundsatzes zur wirksamen Durchsetzung der Unionsvorschriften über die Grundfreiheiten die Gleichwertigkeit dieser Verfahren sicherstellen?

Hat es Einfluss auf die Antworten auf die sechste bis achte Frage, wenn gegen die Entscheidung über die Konzessionsvergabe weder im einen noch im anderen Fall eine gerichtliche Überprüfung oder ein anderer wirksamer Rechtsbehelf gewährleistet ist?

Sind Art. 56 AEUV, der in Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union (im Folgenden: EUV) verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sowie die institutionelle und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten in Verbindung mit Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte (im Folgenden: Charta) sowie den sich daraus ergebenden Rechten auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle und auf Verteidigung dahin auszulegen, dass das mit der Sache befasste nationale Gericht bei der Prüfung der sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden unionsrechtlichen Anforderungen sowie der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgeschriebenen Begrenzung auch dann von Amts wegen eine Prüfung und eine Beweiserhebung anordnen und durchführen darf, wenn das nationale Verfahrensrecht des Mitgliedstaats ansonsten keine gesetzliche Befugnis hierzu verleiht?

Ist Art. 56 AEUV in Verbindung mit Art. 47 und 48 der Charta und den sich daraus ergebenden Rechten auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle und auf Verteidigung dahin auszulegen, dass das mit der Sache befasste nationale Gericht bei der Prüfung der sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden unionsrechtlichen Anforderungen sowie der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgeschriebenen Begrenzung die Beweislast nicht den von der Begrenzung betroffenen Anbietern auferlegen darf, sondern dass es dem Mitgliedstaat obliegt – konkret der staatlichen Behörde, die die in dem Rechtsstreit angefochtene Entscheidung erlassen hat –, die Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem Unionsrecht sowie deren Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit darzulegen und zu beweisen, so dass in Ermangelung dessen automatisch feststeht, dass die nationale Regelung gegen das Unionsrecht verstößt?

Ist Art. 56 AEUV auch unter Berücksichtigung des in Art. 41 Abs. 1 der Charta verankerten Rechts auf ein faires Verfahren, des in ihrem Art. 41 Abs. 2 Buchst. a verankerten Rechts, gehört zu werden, und der in ihrem Art. 41 Abs. 2 Buchst. c verankerten Begründungspflicht sowie des in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit, aber auch der institutionellen und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten dahin auszulegen, dass diese Vorgaben nicht erfüllt sind, wenn die mit der Sache befasste Behörde des Mitgliedstaats den Glücksspielveranstalter gemäß den Bestimmungen des nationalen Rechts weder über die Einleitung des Verfahrens zur Verhängung einer verwaltungsrechtlichen Sanktion unterrichtet noch später im Verlauf des Verwaltungsverfahrens seine Stellungnahme zur Vereinbarkeit der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats mit dem Unionsrecht einholt und in einem Verfahren mit nur einer Instanz eine vom nationalem Recht als verwaltungsrechtlich eingestufte Sanktion verhängt, ohne in der Begründung ihrer Entscheidung diese Vereinbarkeit oder die sie untermauernden Beweise im Einzelnen darzulegen?

Sind unter Berücksichtigung von Art. 56 AEUV, der Art. 41 Abs. 1, Art. 41 Abs. 2 Buchst. a und c, Art. 47 und Art. 48 der Charta sowie der sich daraus ergebenden Rechte auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle und auf Verteidigung die in den genannten Artikeln vorgesehenen Anforderungen erfüllt, wenn der Glücksspielveranstalter die Unvereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem Unionsrecht erstmals und ausschließlich vor dem nationalen Gericht geltend machen kann?



Kann Art. 56 AEUV bzw. die Pflicht der Mitgliedstaaten, Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen/begründen, dahin ausgelegt werden, dass der Mitgliedstaat dieser Pflicht nicht genügt hat, wenn weder zum Zeitpunkt der Einführung der Beschränkung noch zum Zeitpunkt ihrer Überprüfung eine einschlägige Folgenabschätzung vorlag bzw. vorliegt, die die mit der Beschränkung verfolgten Zwecke der öffentlichen Ordnung untermauert?

Lässt sich unter Berücksichtigung des gesetzlichen Rahmens für die Höhe der zu verhängenden verwaltungsrechtlichen Sanktion, der Natur der mit der Sanktion belegten Tätigkeit, insbesondere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Tätigkeit, sowie des repressiven Zwecks der Geldbuße auf der Grundlage der Art. 47 und 48 der Charta feststellen, dass die fragliche verwaltungsrechtliche Sanktion „Strafcharakter“ hat, und wirkt sich dieser Umstand auf die Antworten auf die elfte bis vierzehnte Frage aus?

Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass das mit der Sache befasste Gericht, falls es aufgrund der Antworten auf die vorhergehenden Fragen feststellt, dass die Regelung und ihre Anwendung rechtswidrig sind, feststellen muss, dass auch die Sanktion, die auf der nicht mit Art. 56 AEUV im Einklang stehenden nationalen Regelung beruht, gegen Unionsrecht verstößt?

Vorlage aus Ungarn an den EuGH zum Webseitenblocking von Glücksspielanbietern

Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Ungarn), eingereicht am 24. Mai 2017 – 
Headlong Limited/Nemzeti Adó- és Vámhivatal Központi Irányítása

(Rechtssache C-303/17)

Verfahrenssprache: Ungarisch

Vorlegendes Gericht
Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság

Parteien des Ausgangsverfahrens
Klägerin: Headlong Limited
Beklagte: Nemzeti Adó- és Vámhivatal Központi Irányítása

Vorlagefragen


Beinflusst es die Antwort auf die Vorlagefragen, die in dem vom Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság in der Rechtssache C-3/17 eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren gestellt worden sind, wenn die verwaltungsrechtliche Sanktion nicht in einem Bußgeld, sondern darin besteht, dass der Zugriff auf elektronische Daten vorläufig für die Dauer von 90 Tagen gesperrt wird, was eine Sanktion darstellt, die grundlegend andere Merkmale aufweist (zum Beispiel wird die Dienstleistung vorläufig unterbunden, die Entscheidung, mit der die Sanktion verhängt wird, wird nicht mitgeteilt, und eine Möglichkeit, dagegen einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, besteht nicht) und die von der Behörde des Mitgliedstaats wegen ein und derselben Handlung auch kumulativ neben dem Bußgeld verhängt werden kann?

Lässt sich in Anbetracht der Natur der vorläufigen Sperrung elektronischer Daten für die Dauer von 90 Tagen als verwaltungsrechtliche Sanktion, der Art ihrer Verhängung sowie insbesondere des Fehlens einer Möglichkeit, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen diese einzulegen, auf der Grundlage von Art. 56 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) feststellen, dass diese Sanktion als solche eine unverhältnismäßig schwere Beschränkung von Art. 56 AEUV sowie von Art. 17 Abs. 1 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union darstellt, die sich in ihrer derzeitigen Form nicht mit den vom Mitgliedstaat im Bereich der Glücksspiele festgelegten Verbraucherschutzzielen rechtfertigen lässt?

Beeinflusst es die Antwort auf die sechste Vorlagefrage des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság in der Rechtssache C-3/17, wenn der Mitgliedstaat nicht dafür sorgt, dass die Rechtsvorschriften erlassen werden, die erforderlich sind, um – sei es durch die Ausschreibung von Konzessionen, sei es im Wege der Bewerbung – eine Lizenz für die Veranstaltung von Online-Kasinospielen zu erwerben, und aus diesem Grund die Dienstleister die zur Erbringungen der Dienstleistung erforderlichen behördlichen Lizenzen nicht erwerben können?

Vorlage des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich an den EuGH zur Kohärenz eines Glücksspielmonopols

Vorabentscheidungsersuchen des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich (Österreich)
eingereicht am 14. Februar 2017 - Gmalieva s.r.o. u.a. gegen Landespolizeidirektion Oberösterreich
(Rechtssache C-79/17)

Verfahrenssprache: Deutsch

Vorlegendes Gericht
Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Parteien des Ausgangsverfahrens
Beschwerdeführer: Gmalieva s.r.o., Celik KG, PBW GmbH, Antoaneta Claudia Gruber, Play For Me GmbH, Haydar Demir
Belangte Behörde: Landespolizeidirektion Oberösterreich

Vorlagefragen

Ist eine glücksspielrechtliche innerstaatliche Monopolregelung als kohärent i.S.d. Art. 56 ff AEUV anzusehen, hinsichtlich der

– davon ausgehend, dass insoweit

a) eine Sachverhaltsfeststellung und Würdigung anhand der von staatlichen Stellen und von privaten Verfahrensparteien vorgelegten sowie anhand notorischer Beweismittel hinreicht (vgl. hierzu näher C-685/15) und

b) keine Bindung an die Rechtsauffassung anderer innerstaatlicher Gerichte, denen keine autonome Kohärenzprüfung zugrunde liegt, besteht (vgl. hierzu näher C-589/16) –

in einem die eben genannten Kautelen beachtenden und sohin präsumtiv dem Fairnessgrundsatz des Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. des Art. 47 EGRC entsprechenden gerichtlichen Verfahren als wesentliche Eckpunkte festgestellt wurden, dass

• Spielsucht kein einen staatlichen Handlungsbedarf begründendes gesellschaftliches Problem darstellt,

• verbotenes Glücksspiel nicht als kriminelle Handlung, sondern lediglich (wenngleich häufig) als verwaltungspolizeiliche Ordnungsstörung in Erscheinung tritt,

• die Staatseinnahmen aus dem Glücksspiel jährlich mehr als 500 Mio Euro (= 0,4 % des gesamtstaatlichen Jahresbudgets) betragen und

• die Werbemaßnahmen der Konzessionäre maßgeblich auch darauf abzielen, bisher Unbeteiligte zum Glücksspiel zu animieren?

2.) Falls Frage 1.) bejaht wird: Ist ein solches System, das weder die damit verfolgten Ziele noch die Beweislast des Staates hinsichtlich deren tatsächlicher Erreichung explizit gesetzlich festlegt, sondern die Herausarbeitung der essentiellen Kohärenzkriterien und deren Verifizierung den nationalen Gerichten derart überantwortet, dass im Ergebnis ein faires Verfahren i.S.d. Art 6 Abs. 1 EMRK bzw. i.S.d. Art. 47 AEUV nicht zuverlässig gewährleistet ist, als kohärent i.S.d. Art. 56 ff AEUV anzusehen?

3.) Falls Frage 1.) und/oder Frage 2.) bejaht wird/werden: Ist ein solches System hinsichtlich der gesetzlich normierten, weit reichenden exekutivbehördlichen Eingriffsbefugnisse, die jeweils keiner vorangehenden richterlichen Genehmigung oder Kontrolle unterliegen, als verhältnismäßig i.S.d. Art. 56 ff AEUV zu qualifizieren?

4.) Falls die Fragen 1.), 2.) und 3.) bejaht werden: Ist ein solches System im Hinblick darauf, dass die alleinige Normierung von strengen Zugangsvoraussetzungen ohne gleichzeitige Fixierung der Anzahl der zu vergebenden Konzessionen einen vergleichsweise geringeren Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit bewirken würde, als verhältnismäßig i.S.d. Art. 56 ff AEUV zu qualifizieren?

5.) Falls eine der vorgenannten Fragen verneint wird: Hat ein nationales Gericht, das die Unionsrechtswidrigkeit des Monopolsystems des GSpG festgestellt hat, davon ausgehend nicht nur die in den bei ihm anhängigen Verfahren gesetzten Eingriffsmaßnahmen aus diesem Grund als rechtswidrig festzustellen, sondern darüber hinaus im Rahmen seiner Zuständigkeit von Amts wegen (z. B. durch Wiederaufnahme jener Verfahren) auch eine Rückabwicklung von notwendig akzessorischen, aber bereits in Rechtskraft erwachsenen Sanktionen (wie z. B. Verwaltungsstrafen) vorzunehmen?

Vorlage des italienischen Staatsrats an den EuGH zu Glücksspielkonzessionen

Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato (Italien), eingereicht am 21. Juni 2017 – Stanley International Betting Ltd, Stanleybet Malta Ltd/Ministero dell’Economia e delle Finanze, Agenzia delle Dogane e dei Monopoli

(Rechtssache C-375/17)
Verfahrenssprache: Italienisch

Vorlegendes Gericht
Consiglio di Stato

Parteien des Ausgangsverfahrens
Rechtsmittelführerinnen: Stanley International Betting Ltd, Stanleybet Malta Ltd
Rechtsmittelgegner: Ministero dell’Economia e delle Finanze, Agenzia delle Dogane e dei Monopoli

Vorlagefragen

Sind die Bestimmungen des Unionsrechts – insbesondere das Niederlassungsrecht und die Dienstleistungsfreiheit sowie die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz, der Wettbewerbsfreiheit, der Verhältnismäßigkeit und der Kohärenz – dahin auszulegen, dass sie einer Regelung wie der des Art. 1 Abs. 653 der Legge di stabilità (Stabilitätsgesetz 2015) und der betreffenden Durchführungsregelungen entgegenstehen, die für den Betrieb des Lottospiels, nicht aber für andere Glücksspiele, Prognosewettbewerbe oder Wetten das Modell einer ausschließlich auf einen Konzessionär zugeschnittenen Konzessionsvergabe vorsieht?

Sind die Bestimmungen des Unionsrechts – insbesondere das Niederlassungsrecht, die Dienstleistungsfreiheit und die Richtlinie 2014/23/EU1 sowie die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz, der Wettbewerbsfreiheit, der Verhältnismäßigkeit und der Kohärenz – dahin auszulegen, dass sie einer Vergabebekanntmachung entgegenstehen, die einen Richtwert vorsieht, der im Hinblick auf die wirtschaftlich-finanziellen und technisch-organisatorischen Kapazitätserfordernisse, wie sie die Abschnitte 5.3, 5.4, 11, 12.4 und 15.3 des Lastenhefts bezüglich der Konzessionsvergabe für das Lottospiel vorsehen, weit überhöht und ungerechtfertigt ist?

Sind die Bestimmungen des Unionsrechts – insbesondere das Niederlassungsrecht, die Dienstleistungsfreiheit und die Richtlinie 2014/23/EU sowie die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz, der Wettbewerbsfreiheit, der Verhältnismäßigkeit und der Kohärenz – dahin auszulegen, dass sie einer Regelung entgegenstehen, die zur Entscheidung zwingt, entweder eine neue Konzession zu erwerben oder die Freiheit der Erbringung grenzüberschreitender Wettleistungen in Anspruch zu nehmen – eine Alternative, wie sie sich aus Art. 30 des Vertragsentwurfs ergibt –, so dass die Entscheidung für eine Teilnahme an der Ausschreibung zur Vergabe der neuen Konzession den Verzicht auf die grenzüberschreitende Tätigkeit erfordern würde, obwohl die Rechtmäßigkeit der letztgenannten Tätigkeit bereits mehrfach vom Gerichtshof bestätigt wurde?


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1 Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1).

Deutscher Sportwettenverband (DSWV): Sportwetten: Gerichtsurteil erhöht politischen Handlungsdruck

Pressemitteilung des Deutschen Sportwettenverbands (DSWV) vom 27. Oktober 2017

Berlin. – Nach der heutigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Sportwettenkonzessionsverfahren sieht der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) die Politik mehr denn je gefordert, den Glücksspielstaatsvertrag so anzupassen, dass ein faires und transparentes Erlaubnisverfahren durchgeführt werden kann.

Wie aus einer heute veröffentlichen Pressemitteilung des Gerichts hervorgeht, haben die Richter die gesetzlichen Grundlagen des faktisch gescheiterten Sportwettenkonzessionsverfahrens im Kern zwar als rechtskonform bestätigt. Allerdings führt das Urteil nicht zu einer Lösung der seit Jahren bestehenden Hängepartie bei der Vergabe von Sportwettenkonzessionen.

DSWV-Präsident Mathias Dahms erklärt:

“Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht darüber entschieden, ob das Konzessionsverfahren damals rechtskonform durchgeführt wurde. Hier gilt weiterhin die Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, der eklatante Verfahrensfehler festgestellt hat. Diese Mängel können nicht ad hoc geheilt werden. Eine Erteilung von Sportwettenkonzessionen in absehbarer Zeit wird durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ermöglicht.”

DSWV-Präsident Mathias Dahms appelliert an die Bundesländer, weiter eine gemeinsame Reform des Glücksspielstaatsvertrags voranzutreiben, damit die seit 2012 von den Ministerpräsidenten angestrebte Öffnung des Sportwettenmarktes für private Anbieter endlich umgesetzt werden kann:

“Die Länder sollten ein Erlaubnisverfahren schaffen, durch das alle Bewerber, welche die hohen staatlichen Qualitätsanforderungen erfüllen, eine Erlaubnis erhalten.”

Die schriftliche Urteilsbegründung wird voraussichtlich erst in einigen Wochen vorliegen.

Über den DSWV

Der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) wurde im Jahr 2014 von den führenden deutschen und europäischen Sportwettenanbietern in Berlin gegründet und versteht sich als öffentlicher Ansprechpartner, insbesondere für Politik, Sport und Medien. Alle Mitgliedsunternehmen verfügen über Lizenzen in EU-Mitgliedstaaten und streben eine Regulierung und Konzessionierung auch für den deutschen Markt an. Seit 2012 haben sie in Deutschland über 1 Mrd. Euro Sportwettsteuern gezahlt. Die meisten Mitglieder sind auch als Sponsoren im deutschen Profisport aktiv.

Bundesverwaltungsgericht: Internetverbot für drei Glücksspielarten bestätigt

Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2017

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass das Verbot, Casino-, Rubbellos- und Pokerspiele im Internet zu veranstalten oder zu vermitteln, auch nach der teilweisen Öffnung des Vertriebswegs „Internet“ für Sportwetten und Lotterien mit Verfassungs- und Unionsrecht vereinbar ist.

Die auf Malta und in Gibraltar niedergelassenen Klägerinnen wandten sich gegen glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen. Sie boten im Internet Casino-, Rubbellos- und Pokerspiele an. Die Klägerin im Verfahren BVerwG 8 C 18.16 bot außerdem Online-Sportwetten an, ohne über eine Konzession nach dem Glücksspielstaatsvertrag zu verfügen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat der Berufung der Klägerinnen gegen die Abweisung ihrer Klagen stattgegeben und die Untersagungen aufgehoben. Die Revisionen des beklagten Landes hatten Erfolg.

Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die in den Untersagungsverfügungen ausdrücklich genannten Glücksspielarten hätten detailliert beschrieben werden müssen, überspannt die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots. Außerdem hat der Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht angenommen, eine Untersagungsverfügung sei selbst bei einer Verpflichtung der Behörde zum Einschreiten willkürlich, wenn ihr kein im Voraus festgelegtes Eingriffskonzept zugrunde liege.

Die Aufhebung der Untersagungen durch den Verwaltungsgerichtshof stellt sich auch nicht als im Ergebnis richtig dar. Mit Ausnahme von Sportwetten und Lotterien ist das Veranstalten und Vermitteln von öffentlichem Glücksspiel im Internet verboten und dementsprechend zu untersagen. Dieses Internetverbot verstößt nicht gegen die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit. Das haben der Gerichtshof der Europäischen Union und das Bundesverwaltungsgericht bezogen auf das vormalige generelle Internetverbot wegen der besonderen Gefährlichkeit des Glücksspiels im Internet gegenüber dem herkömmlichen Glücksspiel (u.a. unbeschränkte Verfügbarkeit des Angebots, Bequemlichkeit, fehlender Jugendschutz) bereits festgestellt. Dass der Glücksspielstaatsvertrag nunmehr ein streng reguliertes Angebot von Sportwetten und Lotterien im Internet vorsieht, gibt keinen Anlass, diese Rechtsprechung zu ändern. Durch diese begrenzte Legalisierung soll der Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen gelenkt und der Schwarzmarkt für Glücksspiele im Internet bekämpft werden.

Die darüber hinaus im Verfahren BVerwG 8 C 18.16 angegriffene Untersagung von Online-Sportwetten ist nicht zu beanstanden, weil die Klägerin nicht über die erforderliche Konzession verfügt und diese auch nicht beantragt hatte. Dies kann ihr entgegengehalten werden, weil das Erfordernis einer Konzession mit Verfassungs- und Unionsrecht vereinbar ist. Die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags über die Erteilung von Konzessionen für die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten bewirken keine Diskriminierung von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmern. Sie sind hinreichend klar, genau und eindeutig formuliert und setzen dem Auswahlermessen in ausreichendem Umfang Grenzen.

BVerwG 8 C 14.16 - Urteil vom 26. Oktober 2017
Vorinstanzen:
VGH Mannheim, 6 S 1406/14 - Urteil vom 27. Mai 2016 -
VG Karlsruhe, 3 K 576/10 - Urteil vom 03. November 2011 -

BVerwG 8 C 18.16 - Urteil vom 26. Oktober 2017
Vorinstanzen:
VGH Mannheim, 6 S 1426/14 - Urteil vom 08. September 2015 -
VG Karlsruhe, 3 K 386/10 - Urteil vom 03. November 2011 -

Freitag, 7. Juli 2017

Bundesverwaltungsgericht: Dortmunder Wettbürosteuer unzulässig

Pressemitteilung des BVerwG vom 29. Juni 2017

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass die Wettbürosteuer der Stadt Dortmund in der derzeitigen Ausgestaltung unzulässig ist.

Mit der 2014 neu eingeführten Vergnügungssteuersatzung besteuert die Stadt das Vermitteln oder Veranstalten von Pferde- und Sportwetten in Wettbüros. Das sind Einrichtungen, die neben der Annahme von Wettscheinen das Mitverfolgen der Wettereignisse, u.a. durch Liveübertragung, ermöglichen. Steuerschuldner ist nach der Satzung der Betreiber des Wettbüros. Bemessungsgrundlage ist die näher definierte Veranstaltungsfläche. Der Steuersatz beträgt für jeden Kalendermonat 250 € je 20 m² Veranstaltungsfläche.

Drei Kläger, die in Dortmund Wettbüros betreiben, wandten sich gegen ihre Heranziehung zu der Steuer. Sie sollen - abhängig von der Größe der Veranstaltungsfläche ihrer Wettbüros - 1.000 und 1.250 € monatlich zahlen. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und das Oberverwaltungsgericht Münster haben die Klagen abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat ihnen nunmehr stattgegeben.

Zwar handelt es sich bei der Wettbürosteuer um eine örtliche Aufwandsteuer, zu deren Erhebung die Kommunen im Prinzip berechtigt sind. Denn mit der neuen Steuer soll der über die Befriedigung der allgemeinen Lebensführung hinausgehende Aufwand - das Wetten in einem ortsansässigen Wettbüro - besteuert werden. Die Steuer ist darauf angelegt, dass sie auf den Wettkunden als den eigentlichen Steuerträger abgewälzt wird.

Die Wettbürosteuer setzt sich auch nicht in einen unzulässigen Widerspruch zur 2012 eingeführten Sportwettensteuer des Bundes. Der Bundesgesetzgeber hält einen relativ geringen Steuersatz von 5 % auf den Wetteinsatz für gerechtfertigt. Er will damit im Zusammenhang mit dem von den Bundesländern im Glücksspielstaatsvertrag vereinbarten Konzessionssystem einen Anreiz dafür bieten, den derzeit illegalen Markt für Sportwetten in die Legalität zu überführen. Mit dieser Zielsetzung steht die (zusätzliche) kommunale Wettbürosteuer jedenfalls dann nicht in Widerspruch, wenn sie - wie vorliegend - einen hinreichenden Abstand zu der bereits durch die Bundessteuer verursachten Steuerlast wahrt.

Der von der Stadt gewählte Flächenmaßstab verletzt aber die Steuergerechtigkeit. Den sachgerechtesten Maßstab für eine Vergnügungssteuer bildet der individuelle, wirkliche Vergnügungsaufwand, hier also der Wetteinsatz. Der Rechtfertigungsbedarf für einen Ersatzmaßstab ist umso höher, je weiter er sich von dem eigentlichen Belastungsgrund entfernt. Mit dem Flächenmaßstab sind gravierende Abweichungen von dem wirklichen Vergnügungsaufwand verbunden, den die Wettkunden tatsächlich betreiben. Stattdessen steht mit dem Wetteinsatz ein praktikabler Wirklichkeitsmaßstab zur Verfügung.

BVerwG 9 C 7.16 - Urteil vom 29. Juni 2017
Vorinstanzen:
OVG Münster 14 A 1599/15 - Urteil vom 13. April 2016
VG Gelsenkirchen 2 K 5800/14 - Urteil vom 12. Juni 2015

BVerwG 9 C 8.16 - Urteil vom 29. Juni 2017
Vorinstanzen:
OVG Münster 14 A 1648/15 - Urteil vom 13. April 2016
VG Gelsenkirchen 2 K 280/15 - Urteil vom 12. Juni 2015

BVerwG 9 C 9.16 - Urteil vom 29. Juni 2017
Vorinstanzen:
OVG Münster 14 A 1728/15 - Urteil vom 13. April 2016
VG Gelsenkirchen 2 K 626/15 - Urteil vom 12. Juni 2015

Dienstag, 27. Juni 2017

Schleswig-Holstein wird Glücksspielstaatsvertrag kündigen - Chance für umfassende Reform der deutschen Glücksspielregulierung / Deutscher Lottoverband fordert Änderungen auch im Lotteriebereich

Pressemitteilung des Deutschen Lottoverbandes

Hamburg - Nach dem positiven Ergebnis des Mitgliedervotums der Grünen steht fest: Die neue schleswig-holsteinische Regierungskoalition wird den 2. Glücksspieländerungsstaatsvertrag (GlüÄndStV) nicht ratifizieren und den bestehenden 1. GlüÄndStV kündigen. Das haben CDU, FDP und Die Grünen in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Darin heißt es: "Schleswig-Holstein wird ... mit anderen Ländern nach einer tragfähigen, europarechtskonformen Lösung für den gesamten Bereich ... suchen, die sich an den Regelungen des bis 2013 gültigen Glücksspielgesetzes Schleswig-Holstein orientiert."

Der Deutsche Lottoverband (DLV) begrüßt diese Absicht und fordert in dem Zusammenhang erneut, im Zuge einer umfassenden Reform der Glücksspielregulierung - wie im Glücksspielgesetz Schleswig-Holsteins auch die völlig überzogenen Werbe- und Vertriebsbeschränkungen im Lotteriebereich aufzuheben. "Nur so können die von der Europäischen Kommission wiederholt geäußerten unionsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Überregulierung des Lotteriesektors ausgeräumt werden", so DLV-Präsident Norman Faber. "Hiermit können auch die Lotterieumsätze gesichert und wieder gesteigert werden." Seit 2008 sind den Landeshaushalten und Destinatären durch den Rückgang der Lotterieumsätze - im Gegensatz zum Wachstum europäischer Lotterien - rund 10 bis 15 Milliarden Euro an Steuern und Zweckerträgen entgangen, die u.a. für die Förderung von Breitensport, Wohlfahrt und Kultur hätten eingesetzt werden können. "Kurzzeitig konnten die Lottogesellschaften die Talfahrt durch eine saftige Preiserhöhung und die Einführung des EuroJackpot abbremsen", so Faber. "Dieser Effekt ist jetzt verpufft; die Lotto-Umsätze sind im laufenden Jahr erneut rückläufig. Und das trotz hoher Jackpots und der Verdopplung der Werbeausgaben seit 2012."

Den Grund für die sinkende Lust Lotto zu spielen sieht Faber insbesondere in der Konkurrenz zu anderen Glücksspielen, die trotz ihres Gefährdungspotenzials mit offensiver Werbung und attraktiven Produkten immer mehr Kunden vom Lotto wegziehen: "Dem deutschen Lotto fehlen innovative neue Produkte und zeitgemäße Werbe- und Vertriebsregelungen, die den Bedürfnissen einer digitalen Gesellschaft gerecht wird, um im Wettbewerb bestehen zu können."

Faber fordert die Bundesländer auf, sich jetzt an einen Tisch zu setzen, um eine umfassende Regulierung aller Glücksspielbereiche auf den Weg zu bringen. "Ansonsten drohen massive Verluste für das deutsche Lotto und die ungebremste Ausweitung des Rechtschaos, möglicherweise sogar das Ende des Lotterieveranstaltungsmonopols."

Hintergrund

Die Ministerpräsidenten hatten sich im Frühjahr auf minimale Änderungen der aktuellen Glücksspielstaatsvertrages geeinigt, um ein Vertragsverletzungsverfahrung aus Brüssel abzuwehren. Die Änderungen liegen derzeit den Länderparlamenten zu Ratifizierung vor. Sind bis zum 1. Januar 2018 nicht alle 16 Urkunden hinterlegt, bleibt es bis zum 30. Juni 2021 bei den derzeitigen Regelungen. Die Folge wäre zwangläufig ein europäisches Vertragsverletzungsverfahren, das Deutschland teuer zu stehen kommen würde. Der von den Bundesländern in 2012 verabschiedete Staatsvertrag wurde immer wieder als verfassungs- und europarechtswidrig kritisiert und sogar von Gerichten in zentralen Punkten für unanwendbar erklärt. Denn bislang werden die Glücksspielformen unterschiedlich restriktiv reguliert. Während das traditionelle Lotto staatlich monopolisiert ist und der unabhängige Vertrieb massiven Beschränkungen unterliegt, werden andere Glücksspielformen vergleichsweise großzügig gehandhabt. Der Gesetzgeber kann eine europarechtskonforme Glücksspielregulierung in Deutschland jedoch nur erreichen, wenn er das Gebot der Kohärenz in einer zukünftigen Regulierung manifestiert.

Freitag, 16. Juni 2017

Deutscher Sportwettenverband (DSWV): Kartenhaus Glücksspielstaatsvertrag stürzt ein

Pressemitteilung des Deutschen Sportwettenverbands (DSWV)

Absage Schleswig-Holsteins macht Neuverhandlungen erforderlich


Berlin. Die geplante Reform des Glücksspielstaatsvertrags steht vor dem Aus. In dem heute vorgestellten schleswig-holsteinischen Koalitionsvertrag kündigt das Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP an, die Ratifizierung des Staatsvertrags auszusetzen. Damit ist die im März von den Ministerpräsidenten unterzeichnete „minimalinvasive“ Reform der deutschen Glücksspielregulierung hinfällig. Die Reform kann nämlich nur in Krafttreten, wenn alle Landesparlamente zustimmen.

Mathias Dahms, Präsident des Deutschen Sportwettenverbands (DSWV), fordert deshalb zügige Neuverhandlungen der Länder:

„Nach dem Scheitern der Novelle ist es an der Zeit, den Staatsvertrag grundlegend neu zu konzipieren. Wir benötigen endlich eine qualitativ hochwertige und marktkonforme Sportwettenregulierung in Deutschland. Nur so können wir sicherstellen, dass Verbraucher- und Jugendschutz gewährleistet sind. Der DSWV steht jederzeit als Ansprechpartner für eine Neufassung der Sportwettenregulierung zur Verfügung.“

Schleswig-Holstein kündigt zugleich an, zusammen mit anderen Bundesländern einen europarechtskonformen Staatsvertrag auszuhandeln. Das Land hatte 2012 bereits erfolgreich ein eigenes Glücksspielgesetz auf den Weg gebracht und — mit grünem Licht von EU-Kommission und Europäischem Gerichtshof — Lizenzen für private Glücksspieldienstleistungen erteilt.

Mathias Dahms ergänzt:

“Schleswig-Holstein — wo die meisten DSWV-Mitglieder lizenziert sind — hat in den letzten fünf Jahren gezeigt, dass eine qualitative Regulierung mit Fokus auf Verbraucherschutz sehr gut geeignet ist, den Schwarzmarkt zurückzudrängen und Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.

Im Gegensatz dazu hatte der Europäische Gerichtshof 2016 festgestellt, dass der Glücksspielstaatsvertrag ein rechtswidriges staatliches Sportwettenmonopol fortschreibt. Der Staatsvertrag war zuletzt auch von Seiten der Wissenschaft kritisiert worden: Im Rahmen einer faktenbasierten Evaluierung hatten der Ökonom Justus Haucap, der Jurist Martin Nolte und der Suchtforscher Heino Stöver kritisiert, dass der Glücksspielstaatsvertrag alle seine Ziele deutlich verfehle.

Über den Deutschen Sportwettenverband

Der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) wurde im Jahr 2014 von den führenden deutschen und europäischen Sportwettenanbietern in Berlin gegründet und versteht sich als öffentlicher Ansprechpartner, insbesondere für Politik, Sport und Medien.

Alle Mitgliedsunternehmen verfügen über Lizenzen in EU-Mitgliedstaaten und streben eine Regulierung und Konzessionierung auch für den deutschen Markt an. Sofern sie in Deutschland aktiv sind, zahlen sie dort Steuern. Die meisten Mitglieder sind auch als Sponsoren im deutschen Profisport aktiv.

Mittwoch, 14. Juni 2017

Oberverwaltungsgericht Münster: Betrieb von Bestandsspielhallen nach dem 1.7.2017 nur noch mit glücksspielrechtlicher Erlaubnis zulässig

8. Juni 2017 - Mit Beschluss vom heutigen Tage hat das Oberverwaltungsgericht bezogen auf zwei Spielhallen in Wuppertal entschieden, dass Bestandsspielhallen, für die die fünfjährige Übergangsfrist nach dem Glücksspielstaatsvertrag gilt, für den weiteren Betrieb auch in Nordrhein-Westfalen ab dem 1.7.2017 eine glücksspielrechtliche Erlaubnis benötigen. Diese kann grundsätzlich nur erteilt werden, wenn eine Spielhalle nicht in einem baulichen Verbund mit weiteren Spielhallen steht (Verbundverbot) und einen Mindestabstand von 350 Metern Luftlinie zu einer anderen Spielhalle nicht unterschreitet (Mindestabstandsgebot). Sofern unter diesen Umständen nicht alle bestehenden Spielhallen weiter betrieben werden könnten, müssten die Behörden ihre Auswahlentscheidung vor dem 1.7.2017 treffen und nicht erst vor dem 1.12.2017.

Nach Einschätzung des 4. Senats, der einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur vergleichbaren Rechtslage im Saarland folgt, steht in Nordrhein-Westfalen ein verfassungsgemäßes und europarechtskonformes Auswahlverfahren zur Verfügung. Glücksspielrechtliche Erlaubnisse für den Betrieb von Spielhallen seien keine Dienstleistungskonzessionen und unterlägen nicht dem förmlichen Vergaberecht. Für das Auswahlverfahren gelte allerdings die aus dem Gleichbehandlungsgebot folgende Pflicht zur Transparenz, die nicht notwendig eine öffentliche Ausschreibung erfordere. Diesem Gebot entsprechend beruhe das gesetzlich vorgesehene Auswahlverfahren auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien. Es gebe ausreichend gesetzlich fundierte und durch Verwaltungsvorschrift näher konkretisierte Maßstäbe, durch die die Gefahr willkürlicher Entscheidungen ausgeschlossen werde.

Der Senat hat im Streitfall angenommen, dass ein konkreter Verstoß der Stadt Wuppertal gegen das Transparenzgebot zum jetzigen Zeitpunkt nicht festgestellt werden könne und der Antragstellerin, einer Betreiberin zweier Bestandsspielhallen mit Sitz in Großbritannien, deshalb zuzumuten sei, zunächst einen Erlaubnisantrag zu stellen. Da die Stadt die Betreiber von Bestandsspielhallen darauf hingewiesen habe, dass die Übergangsfrist bis zum 30.11.2017 laufe, hat der Senat klargestellt, bei ihnen dürften für die Zeit bis dahin zur Vermeidung unbilliger Härten jedenfalls die Voraussetzungen für die Befreiung vom Mindestabstandsgebot und vom Verbundverbot gegeben sein; eine Härtefallbefreiung für einen jeweils angemessenen Zeitraum komme im Übrigen gerade bei vergleichsweise spät getroffenen behördlichen Auswahlentscheidungen in Betracht, um die nach einer etwaigen negativen Auswahlentscheidung ggf. noch vorzunehmenden Abwicklungsmaßnahmen zu ermöglichen.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Aktenzeichen: 4 B 307/17 (I. Instanz: VG Düsseldorf - 3 L 4398/16)

Pressemitteilung des OVG Münster

Mittwoch, 31. Mai 2017

Hessischer Verwaltungsgerichtshof: Duldungsverfahren für Sportwettenanbieter rechtswidrig

Pressemitteilung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs Nr. 7/2017 vom 30. Mai 2017

Keine Berechtigung des Landes Hessen, von einem Sportwettenveranstalter mit Sitz in Malta die Teilnahme an einem Duldungsverfahren zu verlangen, um einer Untersagungsverfügung bzw. einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zu entgehen.


Mit Beschluss vom 29. Mai 2017, der den Beteiligten heute bekanntgegeben worden ist, hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass das Land Hessen nicht berechtigt ist, von einem Sportwettenveranstalter mit Sitz in Malta die Teilnahme an einem sog. Duldungsverfahren zu verlangen, um einer auf das Veranstalten von Sportwetten bezogenen Untersagungsverfügung bzw. einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zu entgehen.

Zur Begründung hat der 8. Senat in seiner in einem Beschwerdeverfahren getroffenen Entscheidung ausgeführt, die Antragstellerin sei derzeit berechtigt, Sportwetten in Hessen zu veranstalten, ohne hierzu einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis zu bedürfen. Die Veranstaltung von Sportwetten durch die Antragstellerin weise einen grenzüberschreitenden Bezug auf und unterfalle daher der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit, in deren Ausübung die Antragstellerin derzeit nicht beschränkt sei.

Denn sowohl das Sportwettenmonopol als auch das für eine Experimentierphase geschaffene Konzessionsvergabeverfahren und die nunmehr vom Land Hessen eröffnete Möglichkeit, eine Duldung im Bereich der Sportwetten zu erlangen, genügten den unionsrechtlichen Anforderungen nicht.

Das vom Hessischen Ministerium des Innern und für Sport durchgeführte Konzessionsvergabeverfahren für die Vermittlung von Sportwetten verletze das unionsrechtlich fundierte sog. Transparenzgebot. Nach diesem Gebot sind alle Bedingungen und Modalitäten des Konzessionsvergabeverfahrens vor dem Vergabeverfahren klar, genau und eindeutig zu formulieren, so dass alle Bieter die genaue Bedeutung dieser Informationen verstehen können.
Das sei hier nicht der Fall gewesen, weil das für die Vergabe maßgebliche Auswahlkriterium unzutreffend angegeben worden sei, und auch die Gewichtung der Auswahlkriterien nicht im Einklang mit den Vorgaben des Glücksspielstaatsvertrages gestanden hätten.

Das staatliche Sportwettenmonopol beschränke die Dienstleistungsfreiheit der Antragstellerin ebenfalls in europarechtlich nicht zulässiger Weise, weil es jedenfalls im Hinblick auf den tatsächlichen Normvollzug an einer kohärenten, d. h. in sich stimmigen, Verfolgung des gesetzgeberischen Ziels der Suchtprävention fehle.

Auch das vor diesem Hintergrund für eine Übergangszeit vom Land Hessen entwickelte Duldungsverfahren widerspreche europarechtlichen Vorgaben. Zum einen gehe es dabei nicht um die Eröffnung eines durch eine Erlaubnis rechtlich abgesicherten Marktzugangs, sondern um die Vermeidung repressiver Maßnahmen, und zum anderen genüge der bloße Hinweis des Landes Hessen im Internet auf die Voraussetzungen, unter denen eine solche Duldung erteilt werden kann, nicht dem Transparenzgebot.

Ob das vom Land Hessen initiierte Duldungsverfahren nach nationalem deutschen Recht zulässig ist, hat das Beschwerdegericht dahinstehen lassen.

Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ist unanfechtbar.

Aktenzeichen: 8 B 2744/16

Montag, 29. Mai 2017

Über die „Faktenbasierte Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrags“

1) Erstmals haben Wissenschaftler den 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrag (GlüÄndStV) unter Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse und internationaler Erfahrungswerte evaluiert. Das Ergebnis dieser ersten faktenbasierten Untersuchung: Die Regulierung ist auf ganzer Linie gescheitert; alle Ziele des Staatsvertrags werden verfehlt. 

Die Studie der drei Professoren orientiert sich an den selbstgesteckten Zielen der Regulierung: Spielsuchtprävention, Kanalisierung und Schwarzmarktbekämpfung, Jugendund Spielerschutz, Betrugs- und Kriminalitätsbekämpfung sowie Schutz der Integrität des sportlichen Wettbewerbs. Sie wurde erstellt von:

- Prof. Dr. Justus Haucap, Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,

- Prof. Dr. Martin Nolte, Direktor des Instituts für Sportrecht an der Deutschen Sporthochschule Köln,

-  Prof. Dr. Heino Stöver, Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences.

Die Studie beinhaltet zudem einen Beitrag von Prof. Dr. Gregor Kirchhof, LL.M., Direktor des Instituts für Wirtschafts- und Steuerrecht an der Universität Augsburg.

Die Professoren haben für ihre Untersuchung sozialwissenschaftliche, ökonomische und juristische Methoden eingesetzt, außerdem Mitglieder des Sportbeirates sowie Glücksspielanbieter befragt. Erstmals wurden damit auch die Fachexpertise des Breiten- und Profisports sowie von Dach- und Fachverbänden in eine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema Glücksspiel einbezogen. Mit ihrem faktenbasierten Ansatz möchten die Wissenschaftler zu einer Versachlichung der Debatte beitragen.

2) Deutschland gelingt es im europäischen Vergleich besonders schlecht, den Grauund Schwarzmarkt beim Glücksspiel einzudämmen. Die erfolgreiche Kanalisierung des Spiels in geordnete Bahnen ist allerdings die Grundvoraussetzung, um die weiteren Ziele des GlüStV zu erreichen.

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist der so genannte „DICE Kanalisierung-Index“. Dieser beschreibt, wie gut das Bündel aller Maßnahmen eines Landes zur Glücksspielregulierung geeignet ist, die Kanalisierung des Spiels in geordnete Bahnen zu erreichen. Deutschland erreicht nur 67 von 185 möglichen Index-Punkten und liegt damit im internationalen Vergleich auf dem letzten Platz – hinter Polen (85 Punkte), Frankreich (117), Spanien (136), Großbritannien (155) und Spitzenreiter Dänemark (169).

Beim Kanalisierungsziel scheitert der GlüÄndStV vollumfänglich. Im Sportwettenbereich ist bis heute keine einzige staatliche Lizenz vergeben worden. Das Totalverbot im Bereich von Online-Poker und -Casinoangeboten hat sich als völlig ineffektiv herausgestellt; es existiert ein veritabler Markt ohne jegliche staatliche Kontrolle. Laut aktuellem Jahresreport der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder ist der nicht-regulierte Markt im Jahr 2015 allein im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent angewachsen. Für das Segment privater Sportwetten berichten die Länder von einem Wachstum in 2015 von zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der 2. GlüÄndStV, der am 1. Januar 2018 in Kraft treten soll, wird das Kanalisierungsproblem nicht beheben, da er an dem Totalverbot für Online-Poker und - Casinoangeboten sowie an restriktiven Regelungen beim Sportwettprogram – etwa bei LiveWetten – festhält. Jedoch besteht gerade für diese Glücksspielformen eine wachsende Nachfrage, weshalb Verbraucher weiter auf attraktivere Angebote des unregulierten Marktes ausweichen werden.
Scheitert das Kanalisierungsziel, können jedoch auch die anderen Ziele des GlüÄndStV nicht erreicht werden. Maßnahmen der Suchtprävention und des Spielerschutzes, des Jugendschutzes, der Betrugs- und Kriminalitätsbekämpfung und zur Wahrung der Integrität des Sportes können sachlogisch nur im regulierten Markt Wirkung entfalten.

3) Wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfahrungen anderer EU-Mitgliedstaaten werden im deutschen Regulierungsansatz abermals ignoriert: Der Staat muss legales Glücksspiel ermöglichen – und sogar attraktiv machen –, um seine selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Insbesondere die Verbote von Online-Poker/-Casino und von Ereigniswetten sowie die Einschränkungen bei Live-Wetten sind mit Blick auf die Ziele der Suchtprävention, des Jugend- und Spielerschutzes sowie der Wahrung der Integrität des sportlichen Wettbewerbes kontraproduktiv und gehören auf den Prüfstand. 

Der Verbraucher verbleibt nur dann im regulierten Markt, wenn er ein attraktives Angebot vorfindet, das die gesamte nachgefragte Produktpalette abbildet. Die Erfahrungen aus erfolgreichen Regulierungsregimen zeigen, dass dafür die folgenden Maßnahmen erforderlich sind:

a) Eine zentrale Glücksspielregulierungsbehörde ist zu errichten, um das verfassungswidrige Glücksspielkollegium abzulösen und mittels gebündelter und umfassender Kompetenzen effektive Marktkontrolle auszuüben.

b) Das ineffektive Totalverbot für Online-Poker und-Casinospiele ist durch ein staatliches Lizenzierungsverfahren zu ersetzen. Restriktive Einschränkungen des Produktangebotes in den genannten Spielformen und bei der Sportwette sind nicht zielführend, da sie von den Verbrauchern nicht akzeptiert werden und sie so in unregulierte Angebote abwandern.

c) Stattdessen sollte der Regulierer ein engmaschiges und zentrales Kontroll- und Monitoringsystem für Glücksspielanbieter einrichten – etwa mittels eines revisionssicherer Safe-Servers, auf den die zuständigen Behörden Zugriff haben.

d) Für Online-Glückspiele sind adäquate kundenfreundliche Identifizierungs- und Authentifizierungsverfahren zu etablieren, die auf unnötige Medienbrüche verzichten.

e) Das bisherige Einsatzlimit von 1.000 Euro pro Monat sollte abgeschafft und in ein System freiwilliger Selbstlimitierungen umgewandelt werden.

f) Eine bundesweite länder-, anbieter- und spielformübergreifende Sperrdatei sollte installiert werden.

Keine dieser notwendigen Maßnahmen wird durch den 2. GlüÄndStV umgesetzt. Angesichts eines digitalen und dynamischen Glücksspielmarktes ist es zudem dringend geboten, auch die Regulierung dynamischer und innovationsoffener zu gestalten. Das statische Regulierungsinstrument des Staatsvertrags hat sich in der Vergangenheit nicht bewährt.

Quelle: gluecksspielstudie.de 

Glücksspielstudie: Deutschland ist Schlusslicht beim Kampf gegen illegales Glücksspiel

Pressemitteilung 

- Umfassende wissenschaftliche Evaluierung der deutschen Glücksspielregulierung sieht große Defizite 

- Staat verschließt Augen vor Nachfrage nach digitalen Glücksspielangeboten 

- Wissenschaftler schlagen umfassende Reform der Glücksspielregulierung vor 

BERLIN – Im internationalen Vergleich gelingt es Deutschland besonders schlecht, seinen Glücksspielmarkt in geordnete Bahnen zu lenken. Zu diesem Schluss kommt eine umfassende wissenschaftliche Evaluierung der Glücksspielregulierung in Deutschland, die am 29. Mai 2017 in Berlin vorgestellt wurde. Erstmals wurden hierfür auch die Positionen des organisierten Sports und von Glücksspielanbietern berücksichtigt. Im sogenannten „DICE-Kanalisierungsindex“, der sechs europäische Länder vergleicht, belegt Deutschland den letzten Rang – hinter Spitzenreiter Dänemark sowie Großbritannien, Spanien, Frankreich und Polen. Der Index beschreibt, wie geeignet die gesetzgeberischen Maßnahmen eines Landes sind, Glücksspiele aus dem Grau- oder Schwarzmarkt in den regulierten Bereich zu überführen.

Für die Wissenschaftler steht fest: Die jüngst von den Ministerpräsidenten beschlossenen Änderungen am Glücksspielstaatsvertrag, welche nun von allen 16 Landtagen ratifiziert werden müssen, beheben die vorhandenen Defizite nicht. Stattdessen müsste ein Glücksspielmarkt gestaltet werden, auf dem Verbraucher attraktive legale Angebote nutzen können. Nur so kann der Staat die Kontrolle über den bestehenden Markt erlangen.

„Nur, wenn Glücksspiel legal stattfindet, kann der Staat auch seine anderen Ziele erreichen: Verbraucher zu schützen, Spielsucht zu bekämpfen und Manipulationen im Sport zu verhindern“, sagt Prof. Dr. Justus Haucap vom Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Genau damit scheitert die aktuelle Regulierung aber auf ganzer Linie.“

Prof. Dr. Martin Nolte, Direktor des Instituts für Sportrecht an der Deutschen Sporthochschule Köln, ergänzt: „Zahlreiche Verbote und Restriktionen im Staatsvertrag entbehren einer empirischen Grundlage — so auch die Restriktionen in Bezug auf (Live-) Ereigniswetten. Der Gesetzgeber muss hier nachbessern.“

Prof. Dr. Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences kommentiert „Die Vorstellung, es gäbe einen linearen Zusammenhang zwischen der Verfügbarkeit eines Suchtobjektes und dem Ausmaß der Suchthäufigkeit ist völlig antiquiert. Wie aktuelle Suchtstudien belegen, können Verbote sogar kontraproduktiv wirken.“

Für die konkrete Ausgestaltung der Regulierung sollte sich der Gesetzgeber an den Best-Practice-Beispielen Dänemark und Großbritannien – oder auch Schleswig-Holstein – orientieren. Schließlich sei eine umfassende Reform des Glücksspielkollegiums erforderlich, damit an dessen Stelle eine zentrale und verfassungskonforme Kontroll- und Regulierungsbehörde entstehen kann.

Für Rückfragen steht zur Verfügung:
Glücksspielstudie
Brunnenstraße 181, 10119 Berlin
Telefon: 030 749 27 731
presse@gluecksspielstudie.de  

Deutscher Sportwettenverband (DSWV): Studie: Länder scheitern bei Sportwettenregulierung

• Ziele des Glücksspielstaatsvertrags werden allesamt verfehlt

• Geplante Gesetzesnovelle löst Probleme nicht

• Beschränkungen bei Live-Wetten und Internetspiel nicht zielführend


Berlin. In einer heute vorgestellten Studie übt eine Gruppe von Wissenschaftlern umfassende Kritik an der Regulierung von Glücksspielen in Deutschland. Die Regelungen der Bundesländer, die für die Aufsicht über Sportwetten und andere Glücksspiele zuständig sind, seien nicht geeignet, die selbst definierten gesetzgeberischen Ziele wie Jugend- und Verbraucherschutz, Suchtprävention und die Wahrung der Sportintegrität zu erreichen.

Der Wettbewerbsökonom Justus Haucap, der Sportrechtswissenschaftler Martin Nolte und der Suchtforscher Heino Stöver haben den deutschen Glücksspielmarkt gemeinschaftlich untersucht: Grundvoraussetzung für eine geeignete Regulierung sei es, den bestehenden Markt für Sportwetten in geordnete Bahnen zu lenken. Denn nur im regulierten Spiel könnten Maßnahmen zur Suchtprävention sowie zum Jugend- und Spielerschutz effektiv greifen. Der bisherige — durch Verbote und Restriktionen geprägte — Regulierungsansatz hingegen sei vollumfänglich gescheitert, da er deutsche Verbraucher fahrlässig in den Schwarzmarkt treibe.

Insbesondere im stark wachsenden Bereich der Internet-Glücksspiele übten die Länder nur Kontrolle über etwa drei Prozent des Marktgeschehens aus. Damit belege Deutschland im internationalen Vergleich den letzten Platz.

Mathias Dahms, Präsident des Deutschen Sportwettenverbands (DSWV), kommentiert:
„Der Glücksspielstaatsvertrag hat sich nicht bewährt. Die Ministerpräsidenten haben jedoch erkannt, dass der bisherige Ansatz verfehlt war. Sie haben Prüfaufträge erteilt, um den Staatsvertrag zu verbessern. Die heute vorgestellte Studie sollte das Interesse der Länder wecken, da sie im Detail zeigt, welche regulatorischen Maßnahmen im internationalen Vergleich erfolgreich waren.“

Was den deutschen Markt betrifft, bemängeln die Wissenschaftler, dass Grau- und Schwarzmarktangebote allein zwischen 2014 und 2015 um etwa 30 Prozent gewachsen seien. Dies sei weder im Interesse von Staat und Sport noch von Anbietern und Verbrauchern von Glücksspielen.

Allerdings könne die für 2018 geplante Novelle des Glücksspielstaatsvertrags, der die 16 Landtage in diesem Jahr zustimmen sollen, zahlreiche grundsätzlichen Probleme nicht ausräumen.

Mathias Dahms ruft zur Fortentwicklung der Sportwettenregulierung auf:
„Weitere Reformschritte sind dringend notwendig. Künftig sollte die Kanalisierung des bestehenden Glücksspielmarktes in geordnete Bahnen im Vordergrund stehen. Dabei sollte das legale Spielangebot in Deutschland für Verbraucher attraktiv gestaltet werden. Dies gelingt nicht durch Verbote und Beschränkungen. Davon profitieren nur Anbieter, die ihre Wetten aus Asien oder der Karibik anbieten.“

Über den Deutschen Sportwettenverband

Der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) wurde im Jahr 2014 von den führenden deutschen und europäischen Sportwettenanbietern in Berlin gegründet und versteht sich als öffentlicher Ansprechpartner, insbesondere für Politik, Sport und Medien.

Alle Mitgliedsunternehmen verfügen über Lizenzen in EU-Mitgliedsstaaten und streben eine Regulierung und Konzessionierung auch für den deutschen Markt an. Sofern sie in Deutschland tätig sind, zahlen sie dort Steuern. Die meisten Mitglieder sind auch als Sponsoren im deutschen Profisport aktiv.

Über die Studie

Die Studie „Faktenbasierte Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrags“ wurde erstellt von:

• Prof. Dr. Justus Haucap, Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,

• Prof. Dr. Martin Nolte, Direktor des Instituts für Sportrecht an der Deutschen Sporthochschule Köln,

• Prof. Dr. Heino Stöver, Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences.

Die Studie wurde vom Deutschen Sportwettenverband (DSWV) und vom Deutschen Online Casinoverband (DOCV) gefördert. Sie ist im Volltext unter www.gluecksspielstudie.de abrufbar.

Montag, 22. Mai 2017

Bundesgerichtshof: Verhandlung zu einem betrügerischen Gewinnspiel

Bundesgerichtshof: Mitteilung der Pressestelle Nr. 081/2017 vom 22.05.2017

Verhandlungstermin am 31. Mai 2017, 9.15 Uhr, in Sachen 2 StR 489/16 (Verurteilung eines Radiomoderators der "Ostseewelle" u.a. wegen Betrugs)
  
Das Landgericht Rostock hat einen ehemaligen Moderator des Radiosenders "Ostseewelle" wegen Betruges in neun Fällen und Bankrotts unter Einbeziehung früherer Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Er hatte nach den Urteilsfeststellungen gemeinsam mit einem Mittäter als Moderator der "Morgenshow" des Senders ein Gewinnspiel dahingehend manipuliert, dass vorher von ihm ausgewählte und über die Lösung unterrichtete Anrufer den Gewinn erhielten. Diese gaben den größten Teil des Gewinns an den Angeklagten weiter. 

Über die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil verhandelt der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs am 31. Mai 2017 um 09.15 Uhr. 

Vorinstanz: 
Landgericht Rostock - Urteil vom 27. April 2017 - 18 KLs 94/13 

Sonntag, 14. Mai 2017

Bundesfinanzhof: Turnierbridge ist gemeinnützig

Pressemitteilung des BFH

Urteil vom 9.2.2017 V R 69/14
Urteil vom 9.2.2017 V R 70/14


Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit den Urteilen vom 9. Februar 2017 V R 69/14 und V R 70/14 entschieden, dass ein Anspruch auf Anerkennung der Förderung von Turnierbridge als gemeinnützig besteht, weil Turnierbridge die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet ebenso fördert wie Sport.

Geklagt hatte ein Dachverband von Bridge-Vereinen in der Bundesrepublik Deutschland, der die Interessen des deutschen Bridge auf nationaler und internationaler Ebene vertritt und für die Organisation und Reglementierung des nationalen und internationalen Wettbewerbsbetriebs sowie die Veranstaltung nationaler und internationaler Wettbewerbe zuständig ist.

Wer als gemeinnützig anerkannt ist, ist grundsätzlich von der Körperschaftsteuer befreit. Dabei sind die als gemeinnützig anerkannten Zwecke, zu denen auch Sport gehört, in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 25 der Abgabenordnung (AO) abschließend aufgezählt. Hiervon nicht umfasste Zwecke können aber gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 AO für gemeinnützig erklärt werden, wenn durch sie die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet entsprechend selbstlos gefördert wird.

Zwar ist Turnierbridge kein Sport (BFH-Urteil vom 9. Februar 2017 V R 69/14). Wie Schach, das als Sport gilt, fördert Turnierbridge aber die Allgemeinheit. Deshalb hat der BFH mit Urteil vom 9. Februar 2017 (V R 70/14) das für den Kläger zuständige Landes-Finanzministerium verpflichtet, Turnierbridge als gemeinnützig anzuerkennen.

Freitag, 12. Mai 2017

Niedersächsische Landesregierung: Änderung des Glücksspielgesetzes: Land will Spielsucht-Prävention und effektivere Bekämpfung illegalen Glücksspiels

Pressemeldung der Niedersächsischen Landesregierung

Das Niedersächsische Glücksspielgesetz soll geändert werden. Einen entsprechenden Ent­wurf des Niedersächsischen Innenministeriums hat das Kabinett am Dienstag zur Einbringung in den Landtag freigegeben. Mit den geplanten Änderungen sollen in der Praxis des Verwaltungsvollzugs bereits bewährte Vorgehensweisen normiert und vorhan­dene Regelungslücken geschlossen werden. Dabei stehen insbesondere die Spielhallen im Fokus.

Die im Bereich der Spielhallen vorgesehenen Änderungen gehen auf Vorschläge des Niedersächsischen Wirtschaftsmi­nisteriums zurück. Insbesondere soll das bereits angewandte Losverfahren zur Auflösung des Verbots von Mehrfachkonzessionen gesetzlich geregelt werden. Dadurch soll ab Juli 2017 nach Ablauf der Übergangsfrist die Einhaltung des Mindestabstan­des zwischen Spielhallen gewährleistet werden. Von dieser Regelung sind in Niedersachsen etwa 1.900 Spielhallen betroffen. Ungefähr die Hälfte der Betriebe dürfte wegen der gelten­den Abstandsregelung des Glücksspielstaatsvertrags an ihren bisherigen Standorten nicht mehr erlaubnisfähig sein.

Hintergrund ist die in den vergangenen Jahren stark angestiegene Zahl von Spielhallenbe­trieben in Niedersachsen. Damit hängt natürlich auch die Gefahr zusammen, dass immer mehr Menschen spielsüchtig werden. Fachkreise gehen davon aus, dass deutschlandweit etwa eine viertel Million Menschen pathologisch in Spielhallen spielen. Als Reaktion hierauf haben die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten aller Länder bereits 2012 verein­bart, mit der Änderung des Glücksspielstaatsvertrages eine neue Erlaubnispflicht für Spiel­hallen vorzuschreiben, um so dem Problem der Spielsucht entgegenzuwirken. Der jetzt ver­abschiedete Gesetzentwurf der Landesregierung setzt das um.

Zur effektiveren Bekämpfung des illegalen Glücksspiels soll außerdem eine Rechtsgrundlage für die rechtssichere Durchführung von behördlichen Testspielen geschaffen werden. Test­käufe und Testspiel sind dabei wichtige Instrumente bei der Bekämpfung illegaler Glücks­spiele. Die Einführung einer entsprechenden Rechtsgrundlage stellt klar, dass die Aufsichts­behörde zu Ermittlungszwecken und zum Nachweis unerlaubten Glücksspiels Testkäufe und Testspiele durchführen darf, die nicht als behördliche Maßnahme erkennbar sind.

Darüber hinaus soll die Regelung zur Verwendung der Glücksspielabgabe als Finanzhilfe für die „Niedersächsische Bingo-Umweltstiftung“ an die Praxis angepasst werden. Mit der Rege­lung über die Verwendung der Finanzhilfe für die Stiftung wird einer Empfehlung des Lan­desrechnungshofes gefolgt.

Die übrigen im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen dienen der Vereinheitlichung der Verfahrensgestaltung und der inhaltlichen Klarstellung von Regelungen, die in der Praxis zu Auslegungsfragen geführt haben. Sie leisten damit einen Beitrag zur Erreichung der Ziele des geltenden Glücksspielstaatsvertrages und des Niedersächsischen Glücksspielgesetzes.

Donnerstag, 13. April 2017

Vorlage an den EuGH in der Rechtssache Sporting Odds

Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Ungarn), eingereicht am 3. Januar 2017 – Sporting Odds Limited/Nemzeti Adó- és Vámhivatal Központi Irányítása

(Rechtssache C-3/17)

Verfahrenssprache: Ungarisch

Vorlegendes Gericht

Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság

Parteien des Ausgangsverfahrens

Klägerin: Sporting Odds Limited

Beklagte: Nemzeti Adó- és Vámhivatal Központi Irányítása

Vorlagefragen

Sind Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden: AEUV), das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Begrenzung von Glücksspieltätigkeiten, deren gesetzliches Ziel dem Mitgliedstaat zufolge im Wesentlichen die Bekämpfung der Spielsucht und der Verbraucherschutz sein soll, in einer kohärenten und systematischen Weise erfolgen muss, dahin auszulegen, dass das nationale Monopol des Mitgliedstaates auf On- und Offline veranstaltete Sport- und Pferdewetten im Widerspruch zu ihnen steht, wenn im Übrigen in dem Mitgliedstaat seit der durch ihn vorgenommenen Neuordnung des Marktes private Anbieter andere Online- und Offline-Glücksspiele (Kasinospiele, Kartenspiele, Geldspielautomaten, Online-Kasinospiele und Online-Kartenspiele), die eine erhebliche Suchtgefahr in sich bergen, im Rahmen einer Konzession in Präsenzspielbanken veranstalten dürfen?

Sind Art. 56 AEUV, das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Begrenzung von Glücksspieltätigkeiten in einer kohärenten und systematischen Weise erfolgen muss, dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen diesen Artikel vorliegt und dieses Erfordernis nicht erfüllt ist, wenn sich feststellen lässt, dass die mit der Bekämpfung der Spielsucht und dem gesetzlichen Ziel des Verbraucherschutzes begründete Neuordnung der Marktstruktur in Wirklichkeit zur Folge hat oder bewirkt, dass seit der durch den Mitgliedstaat vorgenommenen Neuordnung des Marktes die Zahl der Spielbanken, die jährlichen Steuern auf Glücksspiele in Spielbanken, die in der staatlichen Haushaltsplanung vorgesehenen Einnahmen aus Gebühren für Spielbankkonzessionen, die von Spielern erworbenen Spielmarken und die zum Erwerb des Spielrechts an Geldspielautomaten erforderlichen Geldbeträge fortlaufend zunehmen?

Sind Art. 56 AEUV, das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Begrenzung von Glücksspieltätigkeiten in einer kohärenten und systematischen Weise erfolgen muss, dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen diesen Artikel vorliegt und dieses Erfordernis nicht erfüllt ist, wenn sich feststellen lässt, dass neben die im Wesentlichen mit der Bekämpfung der Spielsucht und dem gesetzlichen Ziel des Verbraucherschutzes begründete Einführung eines staatlichen Monopols und die zugelassene Veranstaltung von Glücksspielen durch private Anbieter das wirtschaftspolitische Ziel tritt, höhere Nettoeinnahmen aus den Spielen zu erzielen und in möglichst kurzer Zeit außerordentlich hohe Erträge auf dem Spielbankenmarkt zu generieren, um andere Ausgaben aus dem Staatshaushalt und öffentliche Aufgaben zu finanzieren?

Sind Art. 56 AEUV, das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass die von einem Mitgliedstaat vorgenommene Begrenzung von Glücksspieltätigkeiten in einer kohärenten und systematischen Weise erfolgen muss, dahin auszulegen, dass ein Verstoß gegen diesen Artikel vorliegt und dieses Erfordernis nicht erfüllt ist sowie eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Anbietern vorliegt, wenn sich feststellen lässt, dass der Mitgliedstaat – unter Berufung auf ein und denselben Grund der öffentlichen Ordnung – einige Online-Glücksspielangebote dem staatlichen Monopol vorbehält, während er den Zugang zu anderen Glücksspielangeboten ermöglicht, indem er eine steigende Zahl von Konzessionen vergibt?

Sind Art. 56 AEUV und das Diskriminierungsverbot dahin auszulegen, dass es mit ihnen unvereinbar ist, wenn ausschließlich Anbieter, die über eine Präsenzspielbank (mit Konzession) in Ungarn verfügen, eine Genehmigung für Online-Kasinospiele erhalten können, weshalb Anbieter, die nicht über eine Präsenzspielbank in Ungarn verfügen (einschließlich solcher Anbieter, die in einem anderen Mitgliedstaat über eine Präsenzspielbank verfügen), von Genehmigungen für Online-Kasinospiele ausgeschlossen sind?

Sind Art. 56 AEUV und das Diskriminierungsverbot dahin auszulegen, dass es zu ihnen im Widerspruch steht, wenn der Mitgliedstaat durch eine eventuelle Ausschreibung von Konzessionen für Präsenzspielbanken bzw. dadurch, dass er es zuverlässigen Glücksspielveranstaltern erlaubt, sich um eine Konzession für eine Präsenzspielbank zu bewerben, zwar die grundsätzliche Möglichkeit gewährleistet, dass jeder Anbieter, der die gesetzlichen Vorgaben erfüllt – auch solche, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind – eine Konzession für eine Präsenzspielbank und, wenn er eine solche besitzt, die Genehmigung für eine Online-Spielbank erhalten kann, der fragliche Mitgliedstaat aber keine öffentliche und transparente Ausschreibung der Vergabe von Konzessionen durchführt und der Anbieter in der Praxis auch nicht die Möglichkeit hat, eine Bewerbung abzugeben und die Behörden des Mitgliedstaats demgegenüber feststellen, dass der Anbieter widerrechtlich gehandelt habe, als er ohne Genehmigung tätig geworden sei, und gegen ihn eine als verwaltungsrechtlich eingestufte Sanktion verhängen?

Sind Art. 56 AEUV, das Diskriminierungsverbot und das Erfordernis, dass das Genehmigungsverfahren transparent, objektiv und öffentlich sein muss, dahin auszulegen, dass es zu ihnen im Widerspruch steht, wenn der Mitgliedstaat ein System zur Ausschreibung von Konzessionen für bestimmte Glückspielangebote schafft, aber gleichzeitig die Stelle, die über die Konzessionen entscheidet, anstatt die Konzessionen auszuschreiben, auch Konzessionsverträge mit einzelnen Personen abschließen kann, die als zuverlässige Glücksspielveranstalter eingestuft sind, statt allen Anbietern mit einer einzigen Ausschreibung zu ermöglichen, zu gleichen Bedingungen am Vergabeverfahren teilzunehmen?

Für den Fall, dass die siebte Frage zu verneinen ist und dass in dem betreffenden Mitgliedstaat unterschiedliche Verfahren für die Vergabe identischer Konzessionen geschaffen werden dürfen: Muss der Mitgliedstaat in Anwendung von Art. 56 AEUV unter Berücksichtigung des Erfordernisses, dass das Genehmigungsverfahren transparent, objektiv und öffentlich sein muss, und des Gleichbehandlungsgrundsatzes zur wirksamen Durchsetzung der Unionsvorschriften über die Grundfreiheiten die Gleichwertigkeit dieser Verfahren sicherstellen?

Hat es Einfluss auf die Antworten auf die sechste bis achte Frage, wenn gegen die Entscheidung über die Konzessionsvergabe weder im einen noch im anderen Fall eine gerichtliche Überprüfung oder ein anderer wirksamer Rechtsbehelf gewährleistet ist?

Sind Art. 56 AEUV, der in Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union (im Folgenden: EUV) verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sowie die institutionelle und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten in Verbindung mit Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte (im Folgenden: Charta) sowie den sich daraus ergebenden Rechten auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle und auf Verteidigung dahin auszulegen, dass das mit der Sache befasste nationale Gericht bei der Prüfung der sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden unionsrechtlichen Anforderungen sowie der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgeschriebenen Begrenzung auch dann von Amts wegen eine Prüfung und eine Beweiserhebung anordnen und durchführen darf, wenn das nationale Verfahrensrecht des Mitgliedstaats ansonsten keine gesetzliche Befugnis hierzu verleiht?

Ist Art. 56 AEUV in Verbindung mit Art. 47 und 48 der Charta und den sich daraus ergebenden Rechten auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle und auf Verteidigung dahin auszulegen, dass das mit der Sache befasste nationale Gericht bei der Prüfung der sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden unionsrechtlichen Anforderungen sowie der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgeschriebenen Begrenzung die Beweislast nicht den von der Begrenzung betroffenen Anbietern auferlegen darf, sondern dass es dem Mitgliedstaat obliegt – konkret der staatlichen Behörde, die die in dem Rechtsstreit angefochtene Entscheidung erlassen hat –, die Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem Unionsrecht sowie deren Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit darzulegen und zu beweisen, so dass in Ermangelung dessen automatisch feststeht, dass die nationale Regelung gegen das Unionsrecht verstößt?

Ist Art. 56 AEUV auch unter Berücksichtigung des in Art. 41 Abs. 1 der Charta verankerten Rechts auf ein faires Verfahren, des in ihrem Art. 41 Abs. 2 Buchst. a verankerten Rechts, gehört zu werden, und der in ihrem Art. 41 Abs. 2 Buchst. c verankerten Begründungspflicht sowie des in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit, aber auch der institutionellen und Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten dahin auszulegen, dass diese Vorgaben nicht erfüllt sind, wenn die mit der Sache befasste Behörde des Mitgliedstaats den Glücksspielveranstalter gemäß den Bestimmungen des nationalen Rechts weder über die Einleitung des Verfahrens zur Verhängung einer verwaltungsrechtlichen Sanktion unterrichtet noch später im Verlauf des Verwaltungsverfahrens seine Stellungnahme zur Vereinbarkeit der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats mit dem Unionsrecht einholt und in einem Verfahren mit nur einer Instanz eine vom nationalem Recht als verwaltungsrechtlich eingestufte Sanktion verhängt, ohne in der Begründung ihrer Entscheidung diese Vereinbarkeit oder die sie untermauernden Beweise im Einzelnen darzulegen?

Sind unter Berücksichtigung von Art. 56 AEUV, der Art. 41 Abs. 1, Art. 41 Abs. 2 Buchst. a und c, Art. 47 und Art. 48 der Charta sowie der sich daraus ergebenden Rechte auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle und auf Verteidigung die in den genannten Artikeln vorgesehenen Anforderungen erfüllt, wenn der Glücksspielveranstalter die Unvereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem Unionsrecht erstmals und ausschließlich vor dem nationalen Gericht geltend machen kann?

Kann Art. 56 AEUV bzw. die Pflicht der Mitgliedstaaten, Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen/begründen, dahin ausgelegt werden, dass der Mitgliedstaat dieser Pflicht nicht genügt hat, wenn weder zum Zeitpunkt der Einführung der Beschränkung noch zum Zeitpunkt ihrer Überprüfung eine einschlägige Folgenabschätzung vorlag bzw. vorliegt, die die mit der Beschränkung verfolgten Zwecke der öffentlichen Ordnung untermauert?

Lässt sich unter Berücksichtigung des gesetzlichen Rahmens für die Höhe der zu verhängenden verwaltungsrechtlichen Sanktion, der Natur der mit der Sanktion belegten Tätigkeit, insbesondere der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Tätigkeit, sowie des repressiven Zwecks der Geldbuße auf der Grundlage der Art. 47 und 48 der Charta feststellen, dass die fragliche verwaltungsrechtliche Sanktion „Strafcharakter“ hat, und wirkt sich dieser Umstand auf die Antworten auf die elfte bis vierzehnte Frage aus?

Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass das mit der Sache befasste Gericht, falls es aufgrund der Antworten auf die vorhergehenden Fragen feststellt, dass die Regelung und ihre Anwendung rechtswidrig sind, feststellen muss, dass auch die Sanktion, die auf der nicht mit Art. 56 AEUV im Einklang stehenden nationalen Regelung beruht, gegen Unionsrecht verstößt?
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Dienstag, 11. April 2017

Bundesverfassungsgericht: Erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen landesrechtliche Einschränkungen für Spielhallen

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. April 2017

Beschluss vom 07. März 2017
1 BvR 1314/12, 1 BvR 1874/13, 1 BvR 1694/13, 1 BvR 1630/12

Die durch den Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag und landesrechtliche Vorschriften vorgenommenen Verschärfungen der Anforderungen an die Genehmigung und den Betrieb von Spielhallen sind verfassungsgemäß. Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgericht mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden und die Verfassungsbeschwerden von vier Spielhallenbetreiberinnen aus Berlin, Bayern und dem Saarland zurückgewiesen.

Sachverhalt:

Die Befugnis zum Erlass von Gesetzen zum Recht der Spielhallen steht seit der Föderalismusreform im Jahre 2006 den Ländern zu. Der von den Ländern im Jahre 2008 geschlossene Glücksspielstaatsvertrag enthielt zunächst keine spezifischen Regelungen für Spielhallen, weshalb die vom Bund erlassenen Vorschriften zur Regulierung der Spielhallen weiter zur Anwendung kamen. Nachdem die Umsätze bei Spielautomaten außerhalb von Spielbanken deutlich gestiegen waren und Untersuchungen das erhebliche Gefahrenpotential des gewerblichen Automatenspiels belegten, verschärften die Länder im Jahr 2012 mit dem Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag die Anforderungen an die Genehmigung und den Betrieb von Spielhallen. Zur Regulierung des Spielhallensektors wurde insbesondere ein Verbundverbot eingeführt, nach dem eine Spielhalle mit weiteren Spielhallen nicht in einem gemeinsamen Gebäude oder Gebäudekomplex untergebracht sein darf. Zudem ist zwischen Spielhallen ein Mindestabstand einzuhalten (Abstandsgebot). Spielhallen, denen vor Erlass der neuen Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags und der spielhallenbezogenen Landesgesetze bereits eine gewerberechtliche Erlaubnis erteilt worden war, müssen, um weiter betrieben werden zu können, die verschärften Anforderungen innerhalb bestimmter Übergangsfristen erfüllen.

Bereits im Jahre 2011 hatte das Land Berlin ein Spielhallengesetz erlassen, das ähnliche Regelungen wie der Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag enthält; daneben ist dort auch ein Abstandsgebot gegenüber Kinder- und Jugendeinrichtungen vorgesehen. Die zulässige Gerätehöchstzahl in Spielhallen wurde auf acht Geräte reduziert; weiterhin besteht eine Pflicht zur dauernden Anwesenheit einer Aufsichtsperson.

Die vier Beschwerdeführinnen sind Betreiberinnen von Spielhallen in Berlin, in Bayern und im Saarland. Mit ihren Verfassungsbeschwerden wenden sie sich gegen die landesgesetzlichen Vorschriften zur Regulierung des Spielhallensektors. Sie rügen im Wesentlichen die Verletzung ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und des Gleichheitssatzes (Art. 3 GG).

Wesentliche Erwägungen des Senats:

1. Die Verfassungsbeschwerden sind zum Teil bereits unzulässig. Die Beschwerdeführerinnen haben insoweit nicht hinreichend dargelegt, durch die von ihnen angegriffenen Vorschriften gegenwärtig und unmittelbar betroffen zu sein. Teilweise werden die Verfassungsbeschwerden zudem dem Subsidiaritätsgrundsatz und den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht gerecht.

2. Soweit zulässig, sind die Verfassungsbeschwerden unbegründet. Die angegriffenen Neuregelungen sind verfassungsgemäß.

a) Die Länder besitzen die ausschließliche Zuständigkeit für das Recht der Spielhallen, das die Befugnis zur Regelung der gewerberechtlichen Anforderungen an den Betrieb und die Zulassung von Spielhallen umfasst. Der Gesetzgebung des Bundes kommt aus dessen Zuständigkeit für das Bodenrecht und das Recht der öffentlichen Fürsorge keine Sperrwirkung zu.

b) Die angegriffenen Vorschriften zur Zulassung und zum Betrieb von Spielhallen greifen zwar in die Grundrechte der Beschwerdeführerinnen ein. Die Eingriffe sind aber gerechtfertigt.

aa) Das Verbundverbot und die Abstandsgebote sind mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Die Regelungen dienen mit der Vermeidung und Abwehr der vom Glücksspiel in Spielhallen ausgehenden Suchtgefahren und dem Schutz von Kindern und Jugendlichen einem besonders wichtigen Gemeinwohlziel. Zweck des Verbundverbots und des Abstandsgebots zu anderen Spielhallen ist die Begrenzung der Spielhallendichte und damit eine Beschränkung des Gesamtangebots an Spielhallen. Das Abstandsgebot zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche dient der möglichst frühzeitigen Vorbeugung von Spielsucht und soll einem Gewöhnungseffekt entgegenwirken. Diese Einschätzungen des Gesetzgebers sind nicht offensichtlich fehlerhaft.

Das Verbundverbot und die Abstandsgebote sind im Blick auf die unter staatlicher Beteiligung betriebenen Spielbanken hinreichend konsequent auf das legitime Ziel der Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht ausgerichtet. Auch für Spielbanken sehen die Länder umfangreiche Spielerschutzvorschriften vor; zudem ist die Anzahl der Spielbanken in den Ländern gesetzlich begrenzt, wodurch sie aus dem Alltag herausgehoben sind. Die Länder haben jedoch auch in Zukunft dafür Sorge zu tragen, dass die Reduzierung der Zahl der Spielhallen nicht durch eine Ausweitung des Automatenspiels und eine Vermehrung der Standorte von Spielbanken konterkariert wird.

Verbundverbot und Abstandsgebote sind auch verhältnismäßig. Sie sind ein geeignetes Mittel zur Erreichung der vom Gesetzgeber verfolgten legitimen Gemeinwohlziele, da sie die Bekämpfung der Spielsucht jedenfalls fördern. Die Einschätzung der Geeignetheit durch die Gesetzgeber der Länder ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. So ist plausibel, dass gerade Mehrfachkomplexe durch die Vervielfachung des leicht verfügbaren Angebots zu einem verstärkten Spielanreiz führen. Mit dem Abstandsgebot wird eine Reduzierung der für die Ansiedelung von Spielhallen zur Verfügung stehenden Standorte und eine Begrenzung der Spielhallendichte bewirkt, was zu einer Beschränkung des Gesamtangebots an Spielhallen beiträgt. Ein milderes, gleich effektives Mittel ist nicht ersichtlich. Insbesondere sind rein spieler- oder gerätebezogene Maßnahmen keine gleich wirksamen Mittel zur Bekämpfung und Verhinderung von Spielsucht. Das Zutrittsverbot für Minderjährige hat nicht die gleiche Wirksamkeit wie das Abstandsgebot zu Kinder- und Jugendeinrichtungen, da es den Werbe- und Gewöhnungseffekt nicht gleichermaßen verringert. Verbundverbot und Abstandsgebote sind auch angemessen. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere der Eingriffe und dem Gewicht und der Dringlichkeit der sie rechtfertigenden Gründe wahren die gesetzlichen Regelungen insgesamt die Grenze der Zumutbarkeit und belasten die Betroffenen nicht übermäßig.

bb) Auch die mit der Reduzierung der Gerätehöchstzahl in Spielhallen und der Pflicht zur dauernden Anwesenheit einer Aufsichtsperson einhergehenden Eingriffe in die Berufsfreiheit sind gerechtfertigt.
Mit der Reduzierung der Gerätehöchstzahl in Spielhallen verfolgt der Gesetzgeber das Ziel der Suchtprävention durch Reduzierung der Anreize zu übermäßigem Spielen in den Spielhallen. Die Regelung ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet, da der Landesgesetzgeber davon ausgehen durfte, dass Anreize für die Spieler zum fortgesetzten Spielen in Spielhallen umso geringer sind, je weniger Geräte sich dort befinden. Die Reduzierung der Gerätehöchstzahl war auch erforderlich und belastet Spielhallenbetreiber nicht übermäßig. Zwar liegt nahe, dass sich die Reduzierung der Höchstzahl der Geldspielgeräte negativ auf die Rentabilität von Spielhallen auswirkt. Eine bestimmte Rentabilität gewährleistet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedoch nicht.

Die Pflicht zur Anwesenheit einer Aufsichtsperson, die das Erkennen problematischen Spielverhaltens und eine unmittelbare Einflussnahme darauf ermöglichen soll, dient ebenfalls dem besonders wichtigen Gemeinwohlziel der Suchtprävention und ist verhältnismäßig.

cc) Die angegriffenen Neuregelungen bewirken keine mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbare Ungleichbehandlung von Spielhallenbetreibern gegenüber den Betreibern von Spielbanken und von Gaststätten, in denen Geldspielgeräte aufgestellt sind. Zwar werden Spielhallenbetreiber durch die angegriffenen Vorschriften gegenüber den Betreibern von Spielbanken und von Gaststätten ungleich behandelt, da Spielhallen Beschränkungen unterworfen werden, die für den Betrieb von Spielautomaten in Spielbanken und Geldspielgeräten in Gaststätten nicht gelten. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch gerechtfertigt. Ein hinreichender Sachgrund für die unterschiedliche Behandlung liegt in dem unterschiedlichen Gefährdungspotential und in der unterschiedlichen Verfügbarkeit der Spielmöglichkeiten.

c) Auch die von den Beschwerdeführerinnen angegriffenen Übergangsregelungen sind verfassungsgemäß.

aa) Die fünfjährige Übergangsfrist für Bestandsspielhallen greift zwar in die Berufsfreiheit der Spielhallenbetreiber ein, ist aber von Verfassungs wegen gerechtfertigt. Sie wird dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes gerecht, da sich die wesentlichen Parameter der Auswahlentscheidung in Konkurrenzsituationen zwischen Bestandsspielhallen den Spielhallengesetzen in hinreichendem Maße entnehmen lassen. Die fünfjährigen Übergangsregelungen sind auch mit dem in Art. 12 GG enthaltenen Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar. Dieser verleiht weder im Hinblick auf die vorherige Rechtslage noch auf die vorhandenen Spielhallenerlaubnisse ein uneingeschränktes Recht auf Amortisierung getätigter Investitionen. Auch ein in umfangreichen Dispositionen betätigtes besonderes Vertrauen in den Bestand des geltenden Rechts begründet grundsätzlich noch keinen abwägungsresistenten Vertrauensschutz. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt. Die Belange der Spielhallenbetreiber sind mit der Einräumung einer fünfjährigen Übergangsfrist genügend berücksichtigt, zumal die Länder die Möglichkeit von Härtefallbefreiungen im Einzelfall geschaffen haben.

bb) Der Eingriff in die Berufsfreiheit durch die einjährige Übergangsregelung für nach dem 28. Oktober 2011 genehmigte Bestandsspielhallen ist ebenfalls mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Die Unterscheidung zwischen ein- und fünfjähriger Übergangszeit dient legitimen Gemeinwohlzielen und trägt auch dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hinreichend Rechnung. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in den Fortbestand der gesetzlichen Regelung und der erteilten Erlaubnisse war spätestens mit dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz über den Glücksspieländerungsstaatsvertrag beseitigt oder zumindest erheblich herabgesetzt. Das Abstellen auf die Erteilung der gewerberechtlichen Erlaubnis für diese Unterscheidung ist ebenfalls verfassungsgemäß. Da die von der einjährigen Übergangsfrist betroffenen Spielhallenbetreiber bereits zum Zeitpunkt der Erteilung der gewerberechtlichen Erlaubnis nicht mehr auf den Fortbestand der alten Rechtslage vertrauen konnten, erweist sich die Übergangsregelung auch als verhältnismäßig. Dem Gesetzgeber ist es auch durch Art. 3 Abs. 1 GG nicht verwehrt, zu der möglichst effektiven Bekämpfung der Glücksspielsucht durch eine möglichst schnelle Reduzierung des Spielhallenangebots eine an Vertrauensschutzgesichtspunkten orientierte Staffelung der Übergangsfristen mit einer Stichtagsregelung zu wählen.

3. Soweit die Verfassungsbeschwerde einer Beschwerdeführerin nachträglich auf das Mindestabstandsumsetzungsgesetz Berlin sowie die im Jahr 2016 neu eingefügten Regelungen des Spielhallengesetzes Berlin erstreckt wurde, hat der Senat das Verfahren abgetrennt; es wird einer gesonderten Entscheidung zugeführt.