Der Glücksspielstaatvertrag (GlüStV) sieht in seinem § 4 Abs. 4 vor, dass das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verboten ist. Was unter diesem Internetverbot konkret zu verstehen ist, wird allerdings in der Praxis völlig unterschiedlich beurteilt, was zwei neue, völlig divergierende Gerichtsentscheidungen des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) vom. 7. bzw. 8. Februar 2012 zum gleichen Sachverhalt zeigen.
1. Sachverhalt
Der in Österreich wohnhafte Antragsteller bot über seine weltweit und damit auch in den Ländern Brandenburg und Bayern aus abrufbare Internetseite die Teilnahme an der einmaligen Verlosung eines Hausgrundstücks in der Nähe von Berlin an. Über die auf der Internetseite angegebene E-mail-Adresse und eine Telefonnummer konnte die Reservierung von Losen erfolgen.
Dieses Angebot wurde ihm sowohl in Brandenburg wie auch Bayern untersagt. Gegen die jeweils sofort vollziehbaren Untersagungsverfügungen des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg bzw. der Regierung von Mittelfranken beantragte der Veranstalter Vollstreckungsschutz.
2. Entscheidungsgründe
Diesen Sachverhalt beurteilen die beiden damit befassten zweitinstanzlichen (und im einstweiligen Rechtsschutz auch letztinstanzlichen) Verwaltungsgerichte völlig konträr, einerseits „bewertend“ und ergebnisorientiert und andererseits am Wortlaut ausgerichtet.
2.1. OVG Berlin-Brandenburg
Das OVG Berlin-Brandenburg argumentiert in seinem Beschluss vom 8. Februar 2012, Az. OVG 1 S 20.11, erkennbar entscheidungsorientiert mit der „absehbaren Nachahmung durch andere“, die nach Ansicht des OVG zu unterbinden sei. Maßgeblich sei bei einer „bewertenden Betrachtung“ nicht eine bestimmte "Internet-Technik", sondern eine am Normzweck orientierte, auf den Vertriebsweg "Internet" abstellende Auslegung.
Das OVG führt hierzu aus:
„Entgegen dem Beschwerdevorbringen unterfällt die fragliche Hausverlosung auch tatbestandlich dem Verbot des § 4 Abs. 4 GlüStV, selbst wenn diese nicht überwiegend im Internet abgewickelt werden sollte. Die Argumentation des Antragstellers, die zwischen dem Angebot von Informationen im Internet (über das Hausgrundstück, die Verlosungsbestimmungen und die Kontaktdaten des Veranstalters) einerseits und der Übermittlung von Kontaktdaten der Teilnehmer über das Internet per E-Mail anderseits differenzieren will, überzeugt nicht. Durch diese technische, allein auf das Bemühen zur Umgehung des Internetvertriebsverbots zurückzuführende Sichtweise wird der Gesamtvorgang der Veranstaltung künstlich aufgespalten, ohne letztlich etwas Wesentliches daran zu ändern, dass die Hausverlosung - soweit ersichtlich - ausschließlich im Internet angeboten wird und ohne die Nutzung dieses Mediums schlechterdings nicht durchführbar wäre. Zudem trägt auch die vom Antragsteller gewählte Glücksspielvariante die für die Schaffung von § 4 Abs. 4 GlüStV ursächlichen typischen Gefahren im Sinne von § 1 GlüStV in sich.
Im Einzelnen:
Trotz der Aufspaltung zwischen der reinen Informationsvermittlung im Internet und den weiteren Schritten (Vertragsschluss, Vertragsabwicklung sowie Auslosung), die - ohne die von der Beschwerdeschrift aufgezeigten Möglichkeiten einer softwaregestützten (automatischen) Registrierung bzw. automatisch generierten Kontaktierung nutzend - per E-Mail, Telefon, Briefpost oder „offline“ durchgeführt werden sollen, ergibt eine bewertende Betrachtung, dass die Verlosung insgesamt gesehen nicht außerhalb des Internet stattfindet (zu Umgehungsvarianten: vgl. Hüsken, GewArch 2010, 336 ff. sowie juris).
Die Differenzierung des Antragstellers zwischen einer Veranstaltung „im Internet“ und einer „Übermittlung über Internetleitungen“ bzw. zwischen einer „Datenübermittlung im world wide web und dem e-mail-Verkehr“ überzeugt schon in technischer Hinsicht nicht (...). Dies muss hier jedoch nicht weiter vertieft werden, denn auch bei der Betrachtungsweise des Antragstellers wäre eine Erlaubnisfähigkeit nicht begründbar (vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 6. April 2011 - RO 5 S 11.268 - juris); dies gilt auch deshalb, weil ein Verstoß gegen das in § 5 Abs. 3 GlüStV bestimmte Werbeverbot auch danach nicht entfiele.
Entscheidend ist jedoch, dass dem Erlass der maßgeblichen Regelungen in § 4 Abs. 4 bzw. § 5 Abs. 3 GlüStV - wie bereits angedeutet - nicht ein auf eine bestimmte „Internet-Technik“ festgelegtes, sondern ein gefahrenorientiertes, schon an der Ermöglichung der Teilnahme ansetzendes Verständnis des im Glücksspielstaatsvertrag und den Ausführungsgesetzen der Länder nicht näher definierten Tatbestandsmerkmals „im Internet“ zugrunde liegt (ebenso VG Mainz, Urteil vom 22. März 2010 - 6 K 1135/08.MZ - juris Rn. 25 und VG Ansbach, a.a.O., Rn. 18 f.). Diese Regelungsintention ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien (vgl. Landtag Brandenburg, Drs. 4/5156, Teil B., zu § 4 GlüStV, S. 69), wonach der Gesetzgeber nicht zwischen einer Veranstaltung im Internet und einer solchen über das Internet unterschieden, sondern zur Sicherung der Ziele des § 1 GlüStV maßgeblich auf den „Vertriebsweg Internet“ abgestellt hat, der dem Glücksspielbereich generell untersagt werden sollte (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2008, a.a.O., Rn. 40 und 48 sowie Urteil vom 28. März 2006, a.a.O., Rn. 137, 139 und 153). In der bereits zitierten Entscheidung des VG Ansbach (a.a.O., Rn. 19) wird zutreffend darauf hingewiesen, dass auch der über das Internet erfolgende E-Mail-Verkehr eine erleichterte Zugangsmöglichkeit für die Spielteilnahme sowie eine fehlende soziale Kontrolle aufweist, die im Interesse des effektiven Jugendschutzes durch § 4 Abs. 4 GlüStV unterbunden werden soll. Diese auf den Zweck des Internetvertriebs- bzw. Werbeverbots abstellende Auslegung des Tatbestandsmerkmals „im Internet“ liegt auch der Entscheidung des EuGH in Sachen Carmen Media (Rn. 100 ff. m.w.Nachw.) zugrunde, wonach das Verbot in § 4 Abs. 4 GlüStV nicht die Vermarktung einer bestimmten Art von Glücksspielen, sondern das Internet als einen bestimmten Vertriebskanal für Glücksspiele betrifft. Insofern ist zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „im Internet“ von Bedeutung, ob die Ausspielung über das Internet „vermarktet“ bzw. „vertrieben“ wird und ob sie in ihren Auswirkungen den bekannten, nach § 4 Abs. 4 GlüStV zu unterbindenden Glücksspielen gleichsteht. Hiervon ist der Antragsgegner zu Recht ausgegangen, wobei nicht speziell die Person des Antragstellers und dessen Seriosität im Fokus der Betrachtung steht, sondern das von ihm gewählte Geschäftsmodell („Erste legale Hausverlosung dieses Hauses in Deutschland“) und dessen absehbare Nachahmung durch andere.“
2.2. BayVGH
Der BayVGH argumentiert zwar auch mit Sinn und Zweck der Regelung (die teleologische Auslegung als Königsdisziplin der Juristen), geht aber zunächst einmal vom Wortlaut der Regelung und nicht gleich vom angestrebten Ergebnis aus.
Der Verwaltungsgerichtshof hält in seinem Beschluss vom 7. Februar 2012, Az. 10 CS 11.1212, fest, dass die Verlosung außerhalb des Internets stattfinde:
„Dafür spricht zunächst der Wortlaut der Regelung. Denn bereits nach natürlichem Sprachgebrauch spielt sich das vom Antragsteller angebotene Glücksspiel nicht im Internet, sondern außerhalb davon ab. Zwar wird im Internet über die Hausverlosung und ihre Einzelheiten informiert. Es werden die Modalitäten in den Teilnahmebedingungen detailliert beschrieben und eine E-Mail-Adresse sowie eine Telefonnummer benannt, über die Kontakt zum Veranstalter aufgenommen werden kann, um unter Angabe von Namen, Adresse, Telefonnummer und E-Mail-Adresse Wünsche für eine Losreservierung mitzuteilen. Die Spielteilnahme als solche erfolgt aber außerhalb des Internets. Die Reservierung von Losen wird nicht auf der Internetseite des Antragstellers vorgenommen, sondern erfolgt in mehreren Schritten außerhalb dieser Seite. Zunächst übermittelt der Teilnahmewillige seine Reservierungswünsche unter Angabe der genannten Daten per E-Mail oder per Telefon an den Veranstalter. Dieser fordert den Teilnahmewilligen sodann mit einer manuell und nicht automatisch erstellten Antwort auf, die Reservierungsgebühr auf ein gleichzeitig mitgeteiltes Treuhandkonto zu übermitteln. Erst mit dem Eingang der Zahlung auf dem Treuhandkonto ist die Reservierung verbindlich abgeschlossen. Die Verlosung selbst findet ebenfalls außerhalb des Internets statt.
Dass das Glücksspiel des Antragstellers in Form der Hausverlosung nicht im Sinne von § 4 Abs. 4 GlüStV im Internet veranstaltet wird, bestätigt schließlich auch der Sinn und Zweck dieser Regelung. Ziel des Internetverbots ist es, die Spiel- und Wettsucht zu bekämpfen sowie einen effektiven Jugendschutz zu gewährleisten (vgl. BVerwG vom 01.06.2011 Az. 8 C 5/10
Legt man dies zugrunde, so ist auch nach seinem Sinn und Zweck § 4 Abs. 4 GlüStV nicht auf die Hausverlosung des Antragstellers anwendbar. Denn der Reservierungswunsch, ist auch dann unverbindlich, wenn er nicht ohnehin per Telefon, sondern per E-Mail an den Veranstalter übermittelt wird. Verbindlich reserviert ist ein Los vielmehr erst dann, wenn der Veranstalter den Teilnahmewilligen außerhalb des Internets unter Angabe des dafür vorgesehenen Treuhandkontos zur Zahlung aufgefordert hat und die Zahlung dort eingegangen ist.
Bestätigt wird dieses Ergebnis schließlich auch durch die Systematik des Glücksspielstaatsvertrags. Neben dem Verbot des § 4 Abs. 4 GlüStV, im Internet öffentliche Glücksspiele zu veranstalten oder zu vermitteln, enthält dieser in § 5 Abs. 3 GlüStV auch das Verbot, für öffentliches Glücksspiel im Internet zu werben. Dies macht eine Abgrenzung von Veranstaltung und Vermittlung einerseits und Werbung andererseits erforderlich und zeigt, dass nicht jeder Internetauftritt, der die Möglichkeit der Teilnahme an einem Glücksspiel betrifft, ein Veranstalten oder Vermitteln von Glücksspielen darstellt, sondern auch Werbung für ein Glücksspiel sein kann, das anderweitig veranstaltet wird.“
Die ausschließlich für Glücksspielangebote im Internet zuständige Regierung von Mittelfranken war damit für die verfahrensgegenständliche Untersagung nicht zuständig.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen