Mittwoch, 30. Mai 2007

Der EFTA-Gerichtshof überprüft die norwegische Gesetzgebung zu Glücksspiel und Wetten

Pressemitteilung des EFTA-Gerichtshofs vom 30. Mai 2007

Urteil in der Rechtssache E-3/06 Ladbrokes


In einem heute ergangenen Urteil befasst sich der EFTA-Gerichtshof mit der Vereinbarkeit der Regulierung von Glücksspiel und Wetten in Norwegen mit dem Recht des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Vor dem Bezirksgericht in Oslo, das den Fall an den EFTA-Gerichtshof zur Prüfung verwies, hatte Ladbrokes auf Erteilung einer Genehmigung zur Veranstaltung verschiedener Arten von Glücksspiel und Wetten geklagt. Ladbrokes ist die weltgröβte Buchmachergesellschaft mit Sitz in Groβbritannien. Nach norwegischem Recht hatte die Klage keine Aussicht auf Erfolg. Die Veranstaltung von Wetten und Glücksspielen ist in Norwegen in drei verschiedenen Gesetzen geregelt, nämlich (1) dem Glückspielgesetz, das der staatlichen Gesellschaft Norsk Tipping ein Monopol für u.a. Lotto und Sportwetten einräumt; (2) dem Totalisatorgesetz, unter dessen Geltung ein Monopol der ebenfalls staatlich kontrollierten Stiftung Norsk Rikstoto für Pferdewetten errichtet wurde sowie (3) dem Lotteriegesetz, wonach die Veranstaltung von Glücksspielen kleineren Formats wie Bingo und Rubbelkarten nichtgewerblichen Wohlfahrtsorganisationen und -verbänden vorbehalten ist.

Der EFTA-Gerichtshof hält eingangs fest, dass die Veranstaltung jeglichen Glücksspiels gegen Geld eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt, auf die die Grundfreiheiten des EWR-Abkommens anwendbar sind. Monopole, wie sie das Glücksspiel- und das Totalisatorgesetz vorsehen, verwehren privaten Veranstaltern jeglichen Zugang zum Markt und verletzen damit die Dienstleistungsfreiheit ebenso wie die Niederlassungsfreiheit. Das gleiche gilt auch für den Ausschluss gewerblicher Veranstalter vom Markt für solche Glücksspiele, deren Betrieb vom Lotteriegesetz geregelt wird.

Um diese Verletzungen der EWR-Grundfreiheiten zu rechtfertigen, muss die norwegische Regierung vor den nationalen Gerichten den Nachweis erbringen, dass die jeweils einschlägige Gesetzgebung auf zwingende Gründe des Allgemeinwohls gestützt ist. In diesem Zusammenhang anerkennt der EFTA-Gerichtshof, dass die gesetzgeberischen Ziele der Bekämpfung von Spielsucht sowie von Kriminalität und Unregelmäβigkeiten als solche legitim sind. Um zu gewährleisten, dass insbesondere das Ziel der Suchtbekämpfung auch tatsächlich verfolgt wird, muss sich in den zu prüfenden Gesetzen das Bemühen um eine tatsächliche Verminderung von Gelegenheiten zum Spiel wieder finden. Die Finanzierung von gemeinnützigen Aktivitäten im öffentlichen Interesse kommt für sich genommen als Rechtfertigung nicht in Betracht. Auch die Absicht, die kommerzielle Ausbeutung des Glücksspiels zu verhindern, kommt als Rechtfertigungsgrund nur dann in Betracht, wenn in der darauf gestützten Gesetzgebung Bedenken moralischer Natur zum Ausdruck kommen; wo ein staatliches Monopol eineganze Reihe von Glücksspielvariationen anbieten kann, kann nicht davon ausgegangen werden, dass damit tatsächlich die kommerzielle Ausbeutung des Glücksspiels verhindert werden soll. Nach der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem EFTA-Gerichtshof und dem nationalen Gericht ist es Sache des letzteren, die norwegische Gesetzgebung daraufhin zu überprüfen, ob tatsächlich zulässige Rechtfertigungsgründe vorliegen. Was allerdings das Totalisatorgesetz angeht, hat der EFTA-Gerichtshof klargemacht dass die dahinter stehende Zielsetzung, nämlich die gewerbsmäβige Pferdezucht zu finanzieren, nicht als zulässiges Gemeinwohlinteresse gewertet werden kann.

Insoweit als die norwegische Glücksspielgesetzgebung tatsächlich zulässige Ziele verfolgt, muss das nationale Gericht des Weiteren prüfen, ob sie dem Grundsatz der Verhältnismäβigkeit genügt. Zwar steht es den Mitgliedstaaten frei, das für notwendig erachtete Schutzniveau festzulegen. Doch wäre das Vorgehen bei der Regulierung des Glücksspielssektors inkonsistent, wenn der Staat Maβnahmen ergreifen, erleichtern oder dulden würde, die den zugrunde liegenden Zielsetzungen zuwiderliefen. Im Anwendungsbereich des Glücksspielgesetzes sind bei der Prüfung der Konsistenz vor allem Norsk Tippings Werbetätigkeit und die Entwicklung neuer Spiele maβgeblich.

Schlieβlich muss das nationale Gericht auch prüfen ob die zu beurteilenden Gesetze über das Maβ dessen hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. Dabei ist wiederum das vom Gesetzgeber festgelegte Schutzniveau entscheidend. Sollten andere, weniger einschneidende Beschränkungen genügen, um das gesetzgeberische Ziel auf dem festgelegten Niveau zu erreichen, kann ein Monopol nicht als erforderlich angesehen werden nur weil es ein höheres Schutzniveau gewährleisten mag. Bei der diesbezüglichen Prüfung muss das nationale Gericht insbesondere feststellen, ob und inwieweit den einzelnen Arten von Glücksspielen ein tatsächliches Suchtpotenzial innewohnt. Den Aussagen des norwegischen Regierungsvertreters zufolge ist dies etwa bei Lotto nicht der Fall. Ebenso ist zu untersuchen ob Norsk Tipping geringere ökonomische Anreize zum Übertreten der anwendbaren Regeln hat oder ein geringeres Interesse an einer aggressiven Werbestrategie als ein gewerbsmäβiger Veranstalter im Rahmen eines Genehmigungssystems.

In seiner Antwort auf eine zusätzliche Frage des nationalen Gerichts führt der EFTA-Gerichtshof zudem Folgendes aus: Insoweit als das nationale Gericht den drei die Rechte privater Veranstalter beschränkenden Gesetzen Rechtfertigung gewährt, muss dem Staat in logischer Folge auch das Recht zustehen, die Veranstaltung und die Vermarktung von Glücksspielen aus dem Ausland zu verbieten, und zwar unabhängig davon ob sie in ihrem Herkunftsstaat zulässig sind oder nicht. Insoweit das nationale Gericht den drei zu überprüfenden Gesetzen die Rechtfertigung verweigert, darf der norwegische Staat von ausländischen Veranstaltern zwar immer noch eine Genehmigung verlangt werden, und zwar unter den für einheimische Bewerber geltenden Voraussetzungen. Die Genehmigungspflicht wäre allerdings unverhältnismässig wo das fragliche Unternehmen bereits über eine Genehmigung in seinem Heimatstaat verfügt und die zur Erlangung dieser Genehmigung erforderlichen Nachweise mit jenen übereinstimmen, die im Zielstaat verlangt werden.

Das Urteil kann im Volltext im Internet unter www.eftacourt.lu herunter geladen werden.

Diese Pressemitteilung ist kein offizielles Dokument. Bitte beachten Sie, dass der Gerichtshof zu dem Fall keine Stellung nehmen kann.

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